Köhler und Kollegen melden sich zu Wort: Relevante Hygienemaßnahmen bei der Coronapandemie

Corona-Virus Sauerland

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Dieter Köhler, Gerhard Scheuch, Thomas Hausen und Thomas Voshaar 

Am Anfang der Pandemie vor bald zwei Jahren wussten wir wenig und waren daher aus guten Gründen besonders vorsichtig. Davon waren auch die Hygieneempfehlungen geprägt, weil wir nicht viel über die Ausbreitung wussten und den wichtigsten Ausbreitungsweg in einer Pandemie noch nicht im Blick hatten: Die Abatmung von virushaltigen kleinen Aerosolen. Es dauerte seine Zeit bis sich hier der Nebel lichtete, um einmal im Bild zu bleiben. Dieser Ausbreitungsweg ist nämlich seit 2008 (1), insbesondere bei der Influenza gut untersucht und abgesichert. Unsere Hygienemaßnahmen haben das aber bisweilen immer noch nicht mit der nötigen Konsequenz umgesetzt. Ansonsten ist es nicht zu erklären, dass man in Innenräumen (etwa in Restaurants) nach dem Platz nehmen die Maske wieder abnehmen kann. Die abgeatmeten virushaltigen Aerosole sind mit ca. 0,25μ m sehr klein, (2-4) etwa so wie Zigarettenrauch und verbreiten sich sofort im Raum. Ohne Nasenmundschutz können sie ungehindert in die Atemwege eindringen. Die Abstandsregel hilft nur gegen die Übertragung im sogenannten Nahfeld (Bereich um 2m). Dieses spielt bei der Coronapandemie aber praktisch keine Rolle (5, 6). 

AHA-Regeln stammen aus der Zeit der Tuberkuloseerkrankungen

Wie sind solche Widersprüche zu erklären? Die Hygienemaßnahmen (AHA- Regeln) stammen aus der Zeit der Tuberkuloseerkrankungen, deren Übertragung über kurze Distanzen im Nahfeld stattfindet. Hier werden die Bazillen, die nur in größeren Tröpfchen Platz haben, abgehustet und können bei Einatmung die Lungentuberkulose auslösen. Auch die häufigen banalen respiratorischen Infekte, die immer virusbedingt sind, verbreiten sich oft über Husten und Nießen. Aufgrund der viel größeren Tröpfchen (ca. 1-100μm), die beim Husten und Nießen entstehen, sind Masken und Abstand hier besonders wirksam. Andere akute Erkrankungen, die mitunter auch die Lunge betreffen, können zwar teilweise auch über die Hände und kontaminierten Oberflächen auf die Nasen-, Augen- oder Mundschleimhaut übertragen werden. Diese Art der Übertragung ist aber im Vergleich zu der Transmission via Aerosole eher unbedeutend. 

Eine weitere wichtige Erkenntnis: Coronaviren verbreiten sich nicht über Oberflächen. Man findet dort zwar oft viele Viren und Virusbestandteile (RNA), diese sind jedoch wegen der Empfindlichkeit des Virus nur sehr selten noch infektiös (in Kulturen nicht mehr anzüchtbar). Zudem gelangen diese Viren nicht über die Haut ins Blut, können dem Menschen daher auch nicht gefährlich werden. Da an Oberflächen hohe Adhäsionskräfte (van der Waals Kräfte) herrschen, gelangen Viren von dort nicht wieder in die Luft (7). Aus dem gleichen Grund löst sich am Auto klebender Schmutz auch bei sehr schneller Fahrt nicht ab. Nur Flüssigkeit ist in der Lage, diese Adhäsionskräfte zu überwinden. Daraus folgt: Die routinemäßige Oberflächen- und Händedesinfektion hat in dieser Pandemie keinen Nutzen; sie verursacht hohe Kosten und begünstigt nicht wenige Hauterkrankungen. 

Coronaviren werden in der Regel über die Nase eingeatmet

Um den Nutzen von Hygienemaßnahmen zu verstehen, müssen wir zuerst die infektiologischen Grundlagen einer Infektion klären: Die Coronaviren werden in der Regel über die Nase eingeatmet, wo sie sich bevorzugt absetzen und in den Schleimhautzellen vermehren. Auch die Zellen der Riechschleimhaut sind Vermehrungsorte, was den Geruchs- und Geschmacksverlust erklärt. Besonders bei Mundatmung können die virushaltigen Aerosolpartikel auch direkt die Lunge erreichen, an die Alveolar Typ 2 Zellen (Pneumozyten II) andocken und dort eine Infektion auslösen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Inhalation von virushaltigen Aerosolen in hoher Konzentration mit direkter Deposition in der Lunge besonders schnell zu Symptomen führt und schwere Verläufe verursacht, da das Immunsystem dann kaum Zeit hat zu reagieren. 

Im Gegensatz zur Nase (als herausragendem Filter für eingeatmete Partikel und Tröpfchen) deponieren direkt im Rachen keine oder nur ganz wenige Viren, da die Aerosole viel zu klein sind, um sich dort niederzuschlagen. Der trotzdem häufig positive Rachentest bei Covidverdacht entsteht dadurch, dass die Flimmerhärchen der Nase einen kontinuierlichen Schleimtransport in Richtung Rachen aufrechterhalten, der die Viren mitnimmt. Man kann das leicht selbst testen, wenn etwas Saccharinlösung in ein Nasenloch gegeben wird. Bei funktionierender Aktivität der Flimmerhärchen schmeckt man nach 10-20 Minuten die Süße im Rachen (8). 

Die meisten Personen mit positivem Abstrich sind auch nicht ansteckend

Der hier beschriebene Infektionsweg erklärt ein weiteres Phänomen: Nicht wenige mit positivem Abstrich (einschl. PCR-Test) entwickeln keine oder nur geringe Erkrankungssymptome. In einer großen, erstrangig publizierten Studie zeigte sich, dass etwa 75 Prozent aller Infizierten niemanden anstecken und im Gegenzug etwa acht Prozent aller Infizierten für 60 Prozent der Infektionen verantwortlich sind (9). Bei Geimpften ist die Kombination eines positiven Nasenabstrichs mit kaum spürbarer oder fehlender Erkrankung besonders häufig. Die meisten Personen mit positivem Abstrich sind auch nicht ansteckend. Denn das Virus muss erst die Schleimhautschranke durchbrechen, um ins Blut zu gelangen. Hier erreicht es dann sekundär die Lungen, wo es sich in bestimmten Lungenzellen (Pneumozyten II) vermehrt (10) und von dort nach Vermehrung verstärkt abgeatmet wird (Näheres im Abschnitt zur Ausbreitung der Pandemie, unter: https://www.sokrates-rationalisten-forum.de/ ). 

Eine alte Regel der Infektionslehre besagt, dass man aus der Viruslast auf die Infektiosität schließen kann. Da man natürlich viele Coronaviren in der Nasenschleimhaut findet, war man also zunächst fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich das neue Coronavirus wie die Tuberkulose über die beim Niesen, Husten oder Sprechen ausgestoßene Tropfen verbreitet. Diese sind jedoch in der Regel recht groß, so dass sie rasch zu Boden fallen. Daher stammt auch das Abstandsgebot, was sich in der Tuberkulosezeit gut bewährt hat. 

Bei der Coronapandemie aber zeigte sich, dass die Ausbreitungswege über ballistische Tröpfchen nur eine sehr nachgeordnete Bedeutung haben. Die Coronaerkrankung entspricht dem Ausbreitungsweg einer Influenza, was früher bereits gut untersucht wurde. Man muss sich nur an den Beginn und den Verlauf der Pandemie erinnern. Hustende und niesende Zeitgenossen wurden als besonderes Infektionsrisiko wahrgenommen. Wer erlebte solche Situationen nicht? Wo bis dahin das menschliche Mitgefühl ausgedrückt wurde, sah man jetzt in solchen Zeitgenossen ein Risiko für sich selbst. Der Lockdown hatte noch zusätzliche Effekte. Wegen der Reise- und Kontaktbeschränkungen sowie dem Tragen der Masken nahmen die gewohnten respiratorischen Infekte, insbesondere die Influenza, stark ab oder waren sogar ganz verschwunden. Trotzdem kam es regional und in bestimmten Personengruppen zu bisweilen erheblichen Ausbrüchen der Coronainfektion. Das kann nur durch die direkte Abatmung der beschriebenen kleinen Partikel erklärt werden. Oft sind Infizierte, die viele virushaltige Partikel abatmen (Superspreader) und Menschen, die sich davon angesteckt haben, nie direkt begegnet. 

Die Coronaviren brauchen ein spezifisches Umfeld

Inzwischen ist das alles gut dokumentiert (11). Abgeatmete Aerosolwolken können wie Zigarettenrauch in unbelüfteten Räumen lange in der Schwebe bleiben (6). Kleine Räume sind daher wichtige Infektionsorte (Fahrstühle, Toiletten, kleine Büros, das z. B. ein Superspreader vielleicht gerade verlassen hat, Busse. PKWs usw.) (Auswahl: 12-16) . Die Coronaviren brauchen ein spezifisches Umfeld, um sich zu verbreiten: die virushaltigen Partikel sind nämlich durchaus empfindlich: Sie werden durch Licht und Änderung der Luftfeuchte abgetötet bzw. trocknen aus, wenn die Wasserhülle verdampft. So erklärt sich auch, warum Coronaviren in der Zimmerluft eine Halbwertszeit von etwa einer Stunde haben. (17, 18). Im Freien, und insbesondere bei Sonnenlicht, überleben die Viren dagegen nur wenige Minuten. Kälte verlängert die Lebensdauer, wie man in der fleischverarbeiteten Industrie gesehen hat. Durch den warmen Atem und die Körperwärme werden die abgeatmeten Partikel dagegen draußen in die Höhe transportiert, wo sie sich schnell verdünnen. Deswegen sind kleine und flache Räume besonders gefährlich; hohe hingegen nicht. Daraus ergibt sich eine weitere zentrale Erkenntnis: An der Außenluft besteht keine Ansteckungsgefahr, weil der Atem sofort nach oben steigt und sich stark verdünnt, weshalb dort auf Masken oder Abstand verzichtet werden kann (19-21). 

Unser Fazit lautet:

Je länger die Pandemie dauert, umso mehr können wir über die Tücken eines solchen Virus lernen. Die Veränderung etwa von Hygieneregeln ist deshalb als Teil dieses Erkenntnisprozesses zu verstehen. Sie ermöglicht es uns, Risiken besser einzuschätzen. Gut begründete Hygieneregeln sollten auch nicht als Einschränkung unseres Alltags begriffen werden, sondern sie ermöglichen ihn uns. Deshalb hat unser Lufthygiene-Check für Innenräume (unter: https://www.sokrates-rationalisten-forum.de/ ) auch das Ziel, uns möglichst sicher durch diesen Herbst und Winter zu bringen. Und so müssen wir noch eine Frage beantworten: Welchen Sinn macht es aus dieser Perspektive, die Weihnachtsmärkte im Freien zu schließen, um die Menschen zum gemütlichen Umtrunk in ihre engen Wohnzimmer zu zwingen? Die Antwort lautet: Keinen. 

1. Fabian P, McDevitt JJ, DeHaan WH, Fung RO, Cowling BJ, Chan KH, Leung GM, Milton DK. Influenza virus in human exhaled breath: an observational study. PLoS One. 2008 Jul 16;3(7):e2691. doi: 10.1371/journal.pone.0002691 

2. Scheuch G. Breathing Is Enough: For the Spread of Influenza Virus and SARS-CoV-2 by Breathing Only. J Aerosol Med Pulm Drug Deliv. 2020 Aug;33(4):230-234. doi: 10.1089/jamp.2020.1616. 

3. Sosnowski TR. Inhaled aerosols: Their role in COVID-19 transmission, including biophysical interactions in the lungs. Curr Opin Colloid Interface Sci. 2021 Aug;54:101451. doi: 10.1016/j.cocis.2021.101451. 

4. Edwards DA, Ausiello D, Salzman J, Devlin T, Langer R, Beddingfield BJ, Fears AC, Doyle-Meyers LA, Redmann RK, Killeen SZ, Maness NJ, Roy CJ. Exhaled aerosol increases with COVID-19 infection, age, and obesity. Proc Natl Acad Sci U S A. 2021 Feb 23;118(8):e2021830118. doi: 10.1073/pnas.2021830118. Erratum in: Proc Natl Acad Sci U S A. 2021 Jul 6;118(27): 

5. Milton DK, Fabian MP, Cowling BJ, Grantham ML, McDevitt JJ. Influenza virus aerosols in human exhaled breath: particle size, culturability, and effect of surgical masks. PLoS Pathog. 2013 Mar;9(3):e1003205. doi: 10.1371/journal.ppat.1003205. 

6. Pöhlker, M. L., Krüger, O. O., Förster, J. D., Berkemeier, T., Elbert, W., Fröhlich-Nowoisky, J., … & Mikhailov, E. (2021). Respiratory aerosols and droplets in the transmission of infectious diseases. arXiv preprint arXiv:2103.01188. 

7. Hermann J, DiStasio RA Jr, Tkatchenko A. First-Principles Models for van der Waals Interactions in Molecules and Materials: Concepts, Theory, and Applications. Chem Rev. 2017 Mar 22;117(6):4714-4758. doi: 10.1021/acs.chemrev.6b00446. 

8. Ho JC, Chan KN, Hu WH, Lam WK, Zheng L, Tipoe GL, Sun J, Leung R, Tsang KW. The effect of aging on nasal mucociliary clearance, beat frequency, and ultrastructure of respiratory cilia. Am J Respir Crit Care Med. 2001 Mar;163(4):983-8. doi: 10.1164/ajrccm.163.4.9909121. 

9. Laxminarayan R, Wahl B, Dudala SR, Gopal K, Mohan B C, Neelima S, Jawahar Reddy KS, Radhakrishnan J, Lewnard JA. Epidemiology and transmission dynamics of COVID-19 in two Indian states. Science. 2020 Nov 6;370(6517):691-697. doi: 10.1126/science.abd7672. 

10. Bake B, Larsson P, Ljungkvist G, Ljungström E, Olin AC. Exhaled particles and small airways. Respir Res. 2019 Jan 11;20(1):8. doi: 10.1186/s12931-019-0970-9. 

11. Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen https://www.info.gaef.de/positionspapier (2021) 

12. Bender JK, Brandl M, Höhle M, Buchholz U, Zeitlmann N. Analysis of Asymptomatic and Presymptomatic Transmission in SARS-CoV-2 Outbreak, Germany, 2020. Emerg Infect Dis. 2021 Apr;27(4):1159–63. doi: 10.3201/eid2704.204576. Epub 2021 Feb 18. 

13. Gu Y, Lu J, Su W, Liu Y, Xie C, Yuan J. Transmission of SARS-CoV-2 in the Karaoke Room: An Outbreak of COVID-19 in Guangzhou, China, 2020. J Epidemiol Glob Health. 2021 Mar;11(1):6-9. doi: 10.2991/jegh.k.201007.001. Epub 2020 Oct 12. PMID: 33095983; PMCID: PMC7958275. 

14. https://www.nzherald.co.nz/world/covid-19-coronavirus-superspreader-woman-infects-71-people-in-60-seconds-in-elevator-cdc-study/53JG57MKXGM5FS2HLBUCLVQPRY/ 

15. Shen Y, Li C, Dong H, Wang Z, Martinez L, Sun Z, Handel A, Chen Z, Chen E, Ebell MH, Wang F, Yi B, Wang H, Wang X, Wang A, Chen B, Qi Y, Liang L, Li Y, Ling F, Chen J, Xu G. Community Outbreak Investigation of SARS-CoV-2 Transmission Among Bus Riders in Eastern China. JAMA Intern Med. 2020 Dec 1;180(12):1665-1671. doi: 10.1001/jamainternmed.2020.5225. 

16. Streeck H, Schulte B, Kümmerer BM, Richter E, Höller T, Fuhrmann C, Bartok E, Dolscheid-Pommerich R, Berger M, Wessendorf L, Eschbach-Bludau M, Kellings A, Schwaiger A, Coenen M, Hoffmann P, Stoffel-Wagner B, Nöthen MM, Eis-Hübinger AM, Exner M, Schmithausen RM, Schmid M, Hartmann G. Infection fatality rate of SARS-CoV2 in a super-spreading event in Germany. Nat Commun. 2020 Nov 17;11(1):5829. doi: 10.1038/s41467-020-19509-y. 

17. van Doremalen N, Bushmaker T, Morris DH, Holbrook MG, Gamble A, Williamson BN, Tamin A, Harcourt JL, Thornburg NJ, Gerber SI, Lloyd-Smith JO, de Wit E, Munster VJ. Aerosol and Surface Stability of SARS-CoV-2 as Compared with SARS-CoV-1. N Engl J Med. 2020 Apr 16;382(16):1564-1567. doi: 10.1056/NEJMc2004973. 

18. Smither SJ, Eastaugh LS, Findlay JS, Lever MS. Experimental aerosol survival of SARS-CoV-2 in artificial saliva and tissue culture media at medium and high humidity. Emerg Microbes Infect. 2020 Dec;9(1):1415-1417. doi: 10.1080/22221751.2020.1777906. 

19. Bulfone TC, Malekinejad M, Rutherford GW, Razani N. Outdoor Transmission of SARS-CoV-2 and Other Respiratory Viruses: A Systematic Review. J Infect Dis. 2021 Feb 24;223(4):550-561. doi: 10.1093/infdis/jiaa742. 

20. Goodwin L, Hayward T, Krishan P, Nolan G, Nundy M, Ostrishko K, Attili A, Cárceles SB, Epelle EI, Gabl R, Pappa EJ, Stajuda M, Zen S, Dozier M, Anderson N, Viola IM, McQuillan R. Which factors influence the extent of indoor transmission of SARS-CoV-2? A rapid evidence review. J Glob Health. 2021 Apr 3;11:10002. doi: 10.7189/jogh.11.10002. 

21. Qian H, Miao T, Liu L, Zheng X, Luo D, Li Y. Indoor transmission of SARS-CoV-2. Indoor Air. 2021 May;31(3):639-645. doi: 10.1111/ina.12766.