"Reise, Reise!"

Acht SKS-Anwärter an Bord und 300 Seemeilen im Kielwasser: Der Yacht-club Lister auf Segeltörn
Das kroatische Trogir ist ein schmuckes Hafenstädtchen. Von griechischen Seefahrern im 3. Jahrhundert v. Chr. gegründet steht es seit 1997 als Weltkulturerbe unter dem prominenten Schutz der Unesco. Der historische Kern befindet sich auf einer winzigen Insel, besticht durch seine Bau-werke aus verschiedenen Jahrhunderten und ein unüberschaubares Gewirr von marmornen Gassen. Trogir diente in „Winnetou II“ als Santa Fe und war Filmkulisse für die Piratenserie „Jack Holborn“. Überhaupt eignet sich die zerklüftete dalmatinische Küste für Piratengeschichten aller Art. Bereits vor 3.000 Jahren wimmelte es hier von Seeräubern, die ihr Unwesen trieben. Zu einigem Ruhm brachten es die Uskoken im 16. und 17. Jahrhundert. Die Realität hat natürlich nichts mit der roman-tischen Schwärmerei um Augenklappe und Holzbein, Säbel, Silber und Segelschiff zu tun. Dennoch können wir uns einer gewissen mythischen Verklärung nicht entziehen: Wir liegen mit unserer Flottille direkt an der mit Palmen bepflanzten Hafenpromenade mit Blick auf die Festung Kamerlengo.

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Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung.


Ende September charterte der Yacht-Club Lister in Kroatien vier Segelboote für insgesamt 30 Männer und Frauen, die ihr Heimatrevier am Biggesee haben. Mit an Bord: wir acht Anwärter für den Sportküsten-schifffahrtsschein. Im März dieses Jahres – W.O.L.L. berichtete in der Frühjahrsausgabe – hatten wir uns auf den Weg zu der Lizenz gemacht, die uns das Führen von Yachten in Küsten-gewässern aller Meere erlaubt. Und dazu gehört neben der theoretischen Ausbildung rund um Navigation, Seemannschaft, Schifffahrtsrecht und Wetterkunde auch eine praktische, bei der der Umgang mit einer Yacht auf See wie im Hafen trainiert sowie 300 Seemeilen zurückgelegt werden wollen.
Ausgangspunkt des Törns ist die „Marina Kremik“ bei Primosten, eine kleine, dem Festland unmittelbar vorgelagerte Insel in der Nähe von Split. An die 400 Liegeplätze gibt es in der geschützten Bucht. Die sanitären Anlagen sind gut gepflegt, auch wenn das warme Wasser schnell knapp wird. Wir Segel-Azubis sind am Nachmittag in Dortmund gestartet, abends gegen 20 Uhr vor Ort. Im Restaurant ist dann erste Gelegenheit, den großen Rest der Besatzung kennenzulernen sowie Aussicht auf die kroatische Speisekarte zu nehmen. En gros heißt das wahlweise fangfrischer, unbesehen gut zubereiteter Fisch oder „gemischte Fleischplatte“ – Letztere für einige von uns die Basis an allen sieben Tagen in dieser Woche und alleine schon deshalb eine ewige Erinnerung.
Die erste Nacht ist erwartungsgemäß kurz. Viel gibt es bei landestypischem Tischwein und dem kroatischen Bier Karlovačko zu erzählen. Und dann müssen noch die Kojen aufgeteilt werden. „Jeanne“, „Gabriela“, „Paris“ und „Amourette“ heißen unsere Fahrtenyachten, die in der Länge 13,75 Meter und in der Breite 4,37 Meter messen und über je zwei Kabinen in Heck und Bug verfügen. Verdammt eng! Auf der „Jeanne“ hausen nur Männer, allesamt große Kerle. Nach einigem hin und her entschließen sich zwei, im Salon zu schlafen. Der absenkbare Tisch ergibt zusammen mit der gepolsterten Sitzbank ein vergleichsweise annehmbares Bett.

Ein unbedingtes Muss: Gruppenfoto des YCL-Segeltörns 2013


Unsere Skipper sind Heiner Prinz (68), im Übrigen Vorsitzender des Prüfungsausschusses, Hans-Werner Faulenbach (72), Eckard Follmann (56) und Klaus Schulte (63), der uns als Ausbilder seit März dieses Jahres überhaupt erst bis Kroatien brachte. Die vier sind sozusagen altgediente Seebären, betreiben den Sport seit ihrer Jugend, waren auf der Nord- und Ostsee und in Teilen der Weltmeere unterwegs und haben zusammen mehr als einmal den Globus umrundet.
Die östliche Adria mit den etwa 150 Inseln und Inselchen der Kornaten ist ein beliebtes Segelrevier. Bizarre Steilklippen und kahle Felswüsten bestimmen das Panorama. Das Meer ist tief, stellenweise über 90 Meter, hat aber einige Untiefen, und zwischen der Vielzahl von Landformationen kann man schnell die Orientierung verlieren, was beim Navigieren zur Vorsicht rät. Dazu kommen verschiedene Winde, so der Maestral, der Jugo und die gefürchtete Bora. Ansonsten gibt es freie Auswahl: kurze Strecken zwischen den Inseln oder längere Schläge, romantische Ankerbuchten und kleine Häfen neben gut ausgestatteten größeren Marinas. In der Route ist man so variabel, dass eine Woche Segeln eine rundum gelungene Sache wird.
„Reise, Reise“, ertönt es morgens um sieben auf der „Amourette“. Heiner ruft zum Aufstehen. Und der Kapitän hat immer und jederzeit das uneingeschränkte Sagen. Also raus aus den Federn und ein erstes Seemannsfrühstück an Deck. Die Bordkasse ist angelegt, Proviant an Bord, die Crew eingewiesen, der Törn beginnt. Leinen los für ein Abenteuer unter südlicher Sonne! Die Tagesetappen werden in fachkundiger Beratung unserer Skipper bestimmt. Der Wind kommt an diesem ersten Morgen aus Südost. Die Entscheidung steht: Mit achterlichem Wind, Großsegel und Fock im Schmetterlingsstand, um die volle Fläche auszunutzen, nehmen wir Kurs Nordwest. Unsere Boote schaukeln schwer, von mediterranen Temperaturen ist nichts zu spüren, es ist kalt und regnerisch und wir haben den ersten Seekranken an Bord – schachmatt für einige Stunden. Nach 38 Seemeilen erreichen wir am Nachmittag Biograd. Das Anleger-Bier ist obligatorisch.
In den folgenden Tagen erleben wir bei wechselndem Wetter das breite Spektrum des Segelns: wenden, halsen, kreuzen, wir gehen über An- und Ablegemanöver bis hin zu Mensch-über-Bord-Manövern, nehmen neun Knoten Fahrt bei Windstärke sieben auf, fahren unter Maschine bei Flaute und erfahren die praktischen wie menschlichen Aspekte an Bord. Kein Zweifel: Segeln ist ein Erlebnis in jeglicher Hinsicht. Es reduziert den Menschen auf seine Sinne, lässt den Weg zum Ziel werden und erschöpft sich längst nicht darin, die Naturkräfte zu nutzen, sich mit Wetter, Wind und Wellen auseinanderzusetzen und am Gefühl der Freiheit zu riechen. Es geht auch um Vertrauen in sich selbst und den anderen, um soziales Miteinander, menschlichen Umgang und Wertschätzung. „Auf einem Segelboot lernt man sich besser kennen als manchen Freund in langen Jahren“, resümierte ein Kollege auf dem Rückflug. „Das Wichtigste ist eine funktionierende und kameradschaftliche Seemannschaft“, sagt Heiner, unser Kapitän auf der „Amourette“.
Am Ende der Woche sind wir uns einig: Es war ein ebenso schöner wie lehrreicher Törn, die östliche Adria ein lohnendes Revier. Und Kroatien ist ein Land im Aufbruch, dass seine sozialistische Vergangenheit und die Schrecken des jüngsten Krieges vergessen (lassen) möchte. An der Küste lebt man vorrangig vom Tourismus. Die Menschen geben sich offen und freundlich, viele sprechen Deutsch. So wie Boris. Ein Mann wie ein Baum. Über 20 Jahre hat er in Deutschland gelebt. Seit einigen Jahren ist er wieder in seiner Heimat, betreibt in Jezera, einem Fischerdorf auf der Insel Murter, sein eigenes Restaurant. „Alles kein Problem“, verspricht er uns mit weltumspannender Gestik einen deftigen Eintopf aus „Mamuschkas“ Küche. Übersetzen könnte man das auch mit einem Sprichwort: „Nicht der Wind, sondern das Segel bestimmt die Richtung.“