Ready to fight

Quelle: Heiner Köpke

Olympiamedaille für das Sauerland: ein Rückblick

10. August 2012. In der rappelvollen Schützenhalle drücken über tausend Menschen ihrer „Helli“ die Daumen. Kann sie bei den Olympischen Spielen in London eine Medaille gewinnen. Das WOLL-Magazin hat damals den historischen Erfolg der Sauerländerin Helena Fromm gewürdigt. Nach elf Jahren haben wir Helena gefragt: „Wie verlief dein Kampf nach der gewonnenen Olympiamedaille in London?“

Nachdem am 10.08.2012 die deutsche Taekwondo Welt über die gewonnene Bronzemedaille jubelte, kam auch ich lange nach diesem Erfolg nicht zur Ruhe. Ich konnte eindrucksvoll spüren, welche Anziehungskraft solch eine Olympische Medaille hat. Sogar heute, elf Jahre nach diesem historischen Erfolg, ist es immer noch magisch, dass eine Olympische Medaille einfach einen ganz besonderen Stellenwert und auch Anerkennungswert hat. Erst kürzlich traf ich den amtierenden Schwergewichtsboxweltmeister Oleksander Usyk, der sich in unserer Pension Przystanek Bavaria im Riesengebirge, auf seine Titelverteidigung vorbereitete und der, genauso wie ich, bei den Olympischen Spielen in London eine Medaille für die Ukraine erkämpfte. Mit dem Wissen, dass auch ich Kampfsportlerin bin/war, die eine olympische Medaille für ihr Land erkämpft hat, waren die Gespräche gleich auf einer anderen Ebene. Diese Anerkennung, auch elf Jahre nach den Spielen, ist für mich immer noch erstaunlich und erfüllt mich mit großem Stolz.

Anziehungskraft und Anerkennungswert

Das ich nun voller Stolz und einer großen Portion Zufriedenheit auf diesen Erfolg und diese Etappe in meinem Leben blicken kann, war nach der Geburt meines Sohnes im Jahr 2013 nicht unbedingt klar. Mein Leben änderte sich schlagartig und die anfänglich sehr optimistischen Gedanken, dass ich auch als Mutter dem Leistungssport erhalten bleibe, verflogen schnell. Plötzlich war dort ein Wesen, dass viel mehr meine Aufmerksamkeit benötigte als jeder Wettkampf, der eventuell noch vor mir liegen würde. Ich kämpfte mich zwar noch einmal zurück auf die Fläche, feierte Medaillen auf Weltranglistenturnieren, doch physisch und auch psychisch war der Preis für ein Fortführen meiner Karriere auf diesem Niveau zu groß. Ich setzte mir eine Frist und hielt mein Wort, dass ich meine Karriere beende, wenn ich auf den Militär-Weltspielen keine Medaille erkämpfen würde. So verabschiedete ich mich 2016 aus dem Leistungssport. Es war ein seltsames Gefühl, wenn etwas endgültig vorbei ist. Doch auf der anderen Seite war ich auch neugierig und gespannt, was das „neue“ Leben so für mich bereithält.

Der Verband fing mich nach meiner sportlichen Karriere beruflich auf. Vielleicht war dies auch ein Verdienst meiner jahrelangen loyalen Arbeit für die DTU. Ich begleitete das Jugend- und Kadetten-Team auf ihren Turnieren und erlebte eine neue Taekwondo-Generation heranwachsen. Nebenbei wuchs auch mein Sohn und ich spürte, dass ich das normale Familien-Leben mehr und mehr genoss. Das ständige Reisen als Sportlerin war mein Job, als Betreuerin des Teams war es dank meines Mannes möglich. Doch die Zeit in meiner neuen Heimat, dem Riesengebirge, wurde mir immer wichtiger.

Das ständige Reisen als Sportlerin war mein Job

Feiertage wie Weihnachten oder Ostern und die gemütliche Adventszeit im Dezember kannte ich als Sportlerin kaum. Mit meinem Sohn Jonas und dem neuen Familienleben lernte ich sie viel mehr zu genießen. Früher drehten sich sogar an Feiertagen die Gedanken ums Training. Beim Weihnachtsbesuch bei meiner Oma bin ich stets schnell noch mal eine Runde laufen gegangen, um mit gutem Gewissen am Festtisch sitzen zu können. Ostern fand als Sportlerin fast nie statt, da zu diesem Zeitpunkt immer Trainingslager oder Wettkämpfe stattfanden. Nun genieße ich es, die Freude beim Eierfärben oder Plätzchen backen mit meinen Kindern teilen zu können.

Quelle: Heiner Köpke

Mit einem internen Aufgabenwechsel im Verband tauchte ich erstmals ins „Berufsleben“ ein. Seit 2018 betreue ich die gesamte Medienarbeit für den Verband und versuche in Teilzeit, die Erfolge unserer Teams auf den Medienkanälen zu streuen. Diese umfangreiche Aufgabe ist gerade noch machbar mit mittlerweile drei Kindern und einem selbstständigen Ehemann. Ich komme oft an meine Grenzen und schieße auch teilweise über diese hinaus. Hier schlägt das Herz für den Sport manchmal höher als der Verstand.

Freude beim Eierfärben oder Plätzchen backen

Das spürt sicherlich auch die Community, doch als Familie kommen wir hier teilweise sehr an unsere Grenzen. Vor allem in der Ferienzeit oder wenn ein Kind krank ist.

Manchmal frage ich mich: Warum kann ich nicht einfach „nur“ Mutter sein? Finanziell bräuchte ich für unser Familienleben nicht arbeiten und dennoch ist dort etwas in mir drin, was nach Selbstständigkeit und Absicherung und vielleicht auch ein wenig Anerkennung verlangt. Jahrelang wurde ich als Sportlerin für meine Erfolge anerkannt. Als Mutter ist dies schon ein komplett anderes Leben und vielleicht ist es genau der Wunsch nach ein wenig Anerkennung, warum ich mich dieser Doppelbelastung stelle.

Wenn ich mal eine gewisse Zeit Urlaub habe und mich voll und ganz auf meine Kinder konzentrieren kann, merke ich erst, wie viele Gedanken rund um den Job tagtäglich in meinem Kopf kreisen. Die Medienwelt ist enorm schnelllebig und wenn es heute nicht veröffentlicht wird, ist es morgen möglicherweise schon zu spät. Auch wenn Taekwondo weiterhin eine Randsportart ist, ist der Anspruch der Community hoch und wächst stetig. Da muss ich performen und abliefern, ähnlich wie damals auf der Fläche, um den Ansprüchen gerecht zu werden.

Anspruch der Community hoch

Diese Doppelbelastung zu meistern geht nur dank des Verständnisses und der Unterstützung meines Mannes. Für ihn ist es selbstverständlich, dass auch er mal einige Tage mit den Kindern allein ist, wenn ich das Nationalteam bei einer WM oder anderen wichtigen Turnieren begleite. Bei vielen stößt es noch auf große Bewunderung, dass ein Vater allein mit seinen drei Kindern bleibt, während die Mutter beruflich mehrere Tage unterwegs ist. Doch für uns ist dies völlig normal und zeigt mir den größten Wert an Anerkennung, die ein Mann seiner Frau für ihren Beruf geben kann.

Durch meinen damaligen und heutigen Beruf spüren meine Kinder schon in jungen Jahren die Besonderheit der Olympischen Spiele. Nur wenige Kinder können sagen, dass ihre Mutter eine Olympia-Medaillengewinnerin ist. Vor allem mein ältester Sohn Jonas, der voll und ganz dem Skirennsport verfallen ist, kann diese Medaille und den Erfolg schon sehr gut einordnen. Erst kürzlich sagte er zu mir, dass er mit mir nach Paris zu den Olympischen Spielen fahren will. Es ist schön, wenn man seine eigene Passion in den Träumen der Kinder wiederfindet und man versucht, ihnen diesen Weg zu ermöglichen. Denn nach allem, was ich im Sport und im Leben danach erlebt habe, ist es ein ungeheures Privileg Spitzensportler für Deutschland zu sein und sein Hobby als Beruf ausüben zu können.