Sauerländer Dorfjunge rockt seit den 80iger Jahren die Musikszene
Michael Beckmann, geboren am 20. Juli 1961 in Heggen im Sauerland und seit vielen Jahren Wahl-Berliner, ist ein deutscher Filmkomponist und Musiker. Beckmann studierte in den 1980er Jahren Publizistik, Musikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Bei den Rainbirds, einer deutschen Rock- und Popband, machte er in den 80igern als E-Bassist und Komponist Karriere. Ihr Hit „Blue print“ wird noch heute im Radio gespielt. Beckmann hat sich inzwischen auf Filmmusik spezialisiert und arbeitet für namhafte Regisseure wie Wim Wenders. 2019 erhielt er den Deutschen Filmmusikpreis. Gisbert Baltes sprach mit Beckmann.
WOLL: Wie, wann und wo hast du deine Liebe zur Musik entdeckt?
Michael Beckmann: Beim Hören der „Diskothek im WDR“ von Mal Sondock, Mitte der 70er. Jeden Mittwochabend entdeckte ich mit ‘ner frischen C-90er-Kassette im Tape-Deck Bands und Künstler wie Deep Purple, Uriah Heep, The Sweet, Slade, Alice Cooper, Smokie und Suzi Quatro. Am nächsten Tag wurde auf dem Schulhof über die neuen Songs und Hits gefachsimpelt.
WOLL: Welche Rolle spielte die sauerländische Heimat?
Michael Beckmann: Mein Vater hatte eine Hammondorgel und spielte mit dem Tiger Duo Tanzmusik. Ich aber durfte die Orgel nicht benutzen. Vater wollte nicht, dass ich am Ende noch Musiker würde. Es war nämlich in jungen Jahren sein Lebenswunsch gewesen, Berufsmusiker zu werden, und da das nicht geklappt hat und es ihm fast das Herz gebrochen hat, wollte er mir diese Erfahrung ersparen. Zum Glück war mein Onkel Willi („Orgelwilli“) Dorforganist und Klavierlehrer in Heggen. Also durfte ich mich mit Willis stillem Einverständnis nachmittags nach der Schule in sein Klavierzimmer schleichen und in die Tasten hauen. Später hatte ich meine ersten Bands im Sauerland: „Eisberg“ in Heggen, dann „Doktor Shorties Rocknrollcirkus“ in Attendorn und zu Abiturzeiten die „Q-Tipz“, eine – wenn nicht die erste – Punk- und New-Wave-Band im Sauerland.
WOLL: Welche Ausbildung hast du?
Michael Beckmann: Ich habe mir als Autodidakt alles selbst beigebracht, durch Musikhören, Mitspielen, Verstehen, Ausprobieren. Mitte der 80er habe ich ein paar Semester Musikwissenschaften studiert, das war mir aber zu antiquiert und langweilig. Aber immerhin kann ich einige Cellosätze aus den Brandenburgischen Konzerten von Johann Sebastian Bach auf dem E-Bass spielen …
WOLL: Was zog dich nach Berlin?
Michael Beckmann: Ich bin kurz nach dem Abi am Rivius-Gymnasium in Attendorn (sehr, sehr gute Schule!) zuerst nach Düsseldorf gezogen (im Kreis Olpe sah ich keine Perspektive für eine Musikkarriere), wo ich mit einem Fred Haida aus Meinerzhagen und meinen Attendorner Kumpels von den „Q-Tipz“ eine Band hatte. Wir teilten uns 1982 den Probenraum mit einer Düsseldorfer Newcomer- Band namens „Die Toten Hosen“. Ich lernte eines nachts vorm Ratinger Hof Bela B. und Sahni von der frisch gegründeten Band „Die Ärzte“ kennen. Wir tauschten Adressen – und als es in Düsseldorf für mich voranging, genügte ein kurzer Anruf und ich war „Untermieter“ bei Farin Urlaub und Bela B. Hier schloss ich mich den „Suurbiers“ an, und endlich ging es los mit dem ernsthaften Musikmachen.
WOLL: Was waren die größten beruflichen Erlebnisse in Berlin?
Michael Beckmann: Mit den „Rainbirds“ am 16. Juni 1988 vor 120.000 DDR-Bürgern auf der Trabrennbahn in Weißensee/Ostberlin. Der 9. November 1989, Mauerfall, ich war in einer Kneipe nur 500 Meter vom Potsdamer Platz entfernt und stand um kurz nach drei Uhr endlich auf der Mauer. Die Berlinale-Premiere von Wim Wenders Film „Pina“ im Theater am Potsdamer Platz. Ich saß eine Reihe vor der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten, die beide 3DBrillen aufhatten.
WOLL: Wann und wie wurdest du Berufsmusiker?
Michael Beckmann: 1987 unterschrieben die „Rainbirds“ einen Plattenvertrag bei Mercury Records/ Phonogram, seitdem bin ich Berufsmusiker.
WOLL: Wie war die Zeit mit den „Rainbirds“?
Michael Beckmann: Das ging ja nur von Anfang 1986 bis Juli 1989, aber diese dreieinhalb Jahre hatten es in sich. Wir haben über 150 Konzerte, 20 Open-Airs und 60 TV-Auftritte absolviert, sind an die 100.000 Kilometer geflogen, haben zwei Longplayer komponiert und gespielt, haben zahlreiche Preise gewonnen, unter anderem den Deutschen Schallplattenpreis Berolina, den Vorläufer vom Echo. Bei allem stand stets die Musik im Vordergrund. Wir teilten uns die Bühnen mit Fleetwood Mac, Joe Cocker, Udo Lindenberg, Toto, Nina Hagen, den Ramones, Westernhagen, Grönemeyer, James Brown, Rio Reiser und „Die Ärzte“.
WOLL: Wer hatte die Namens-Idee?
Michael Beckmann: Die Sängerin Katharina Franck. Der Bandname ist der Titel eines Instrumentals von Tom Waits.
WOLL: Eine Rainbirds-Tour startete im Sauerland …
Michael Beckmann: Die dritte „Rainbirds“-Tour begann in Heggen. Es war mein Wunsch, und wir hatten die Möglichkeit, unter tollen Bedingungen zwei Tage in der Schützenhalle zu proben.
WOLL: Wie erklärst du dir, dass euer Hit „Blueprint“ immer noch gespielt wird?
Michael Beckmann: „Blueprint“ ist über die Jahre zu einem der Hits der 80er geworden. Er ist durch den englischen Text, die eingängige Melodie und den Schwung, den die Nummer hat, perfekt fürs Radio. Erst letztes Jahr war der Song in der TV-Verfilmung des Geiseldramas von Gladbeck. „Blueprint“ lief Ende der 80er Jahre bis zu 50.000 Mal im Jahr im westdeutschen Radio, dann kam die Wende und der Song und die beiden Alben wurden nochmal von den neuen Bundesbürgern gekauft. Bis heute ist „Blueprint“ auf über 10.000.000 80er-Jahre-Compilations. Und hat mittlerweile siebenstellige Streamingzahlen bei Spotify und Co.
WOLL: Wer war Komponist, Texter, Arrangeur von „Blueprint“?
Michael Beckmann: Musik: Katharina Franck, Michael Beckmann und Wolfgang Glum. Text: Katharina Franck. WOLL: Wie kamst du zur Filmmusik und für wen? Michael Beckmann: An erster Stelle für Bora Dagtekins Filme „Türkisch für Anfänger“ und die „Fack Ju Göhte“- Sequels. Das war wie ein zweiter musikalischer Frühling nach den „Rainbirds“. Plötzlich hatte ich innerhalb von drei Jahren 20.000.000 Kinozuschauer und an Filmen mitgewirkt, die wirklich jeder kennt. Dann natürlich Wim Wenders, für den ich die Musik für „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ neu komponiert und produziert habe, übrigens zusammen mit meinem alten „Rainbirds“-Kollegen Rodrigo Gonzales, heute Bassist bei der selbst ernannten besten Band der Welt, „Die Ärzte“.
WOLL: Wie war die Zusammenarbeit mit Wim Wenders?
Michael Beckmann: Alles, was man mit Wim macht, ist auf Welt-Niveau! Egal, ob bei den Oscars, in Cannes oder mit der Kanzlerin bei einer Filmpremiere. Eines Tages kam ein Anruf von Wim und er bat mich, einen Geheimauftritt mit Patti Smith zu organisieren. Der Höhepunkt war, dass ich Patti Smith und ihre Musiker in meinem Auto durch Berlin kutschiert und ihnen die heimlichen und unheimlichen Attraktionen gezeigt habe.
WOLL: Was sind weitere berufliche Highlights?
Michael Beckmann: In Anlehnung an den großen Sepp Herberger: Nach dem Film ist vor dem Film! Es geht immer weiter, man muss sich immer wieder neu erfinden und motivieren und man kriegt nichts geschenkt! Aber ich blicke auf eine mittlerweile 34-jährige Karriere zurück und, Gott sei Dank, gab es neben einigen Rückschlägen doch immer wieder, allerdings oft hart erarbeitete Highlights. Sicherlich die „Rainbirds“, meine Zusammenarbeit mit Bela B. oder Extrabreit. Die großen Open-Airs wie Rock am Ring als Co-Headliner von Fleetwood Mac, das Roskilde-Festival vor Toto auf der Mainstage, Pink Pop mit den Red Hot Chili Peppers und Joe Cocker.
Dann natürlich mit Wim Wenders und Pina bei den Oscars, die Fack Ju Göhte-Filme, mein erster Tatort vor vier Jahren, aber auch „Schicht im Schacht“ – zum Ende des Steinkohlebergbaus in Deutschland, eine Dokumentation von Gisbert Baltes über die letzten Zechen in Deutschland mit einer emotionalen Premiere in der Lichtburg in Essen.
Und dann natürlich 2019 die Musik für „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“, wo ich zusammen mit meinen Songwriting-Partnern den Deutschen Filmmusikpreis in der Kategorie „Bester Song im Film“ gewonnen habe. Schneewittchen! Ein Highlight, das bekannteste Märchen überhaupt. Und jetzt die Frage: Wie geht es nach dem Shutdown mit dem Land, mit der Filmbranche und auch mit mir persönlich weiter? Ich habe noch lange nicht fertig.
WOLL: Was ist in Planung?
Michael Beckmann: Aktuell arbeite ich an der Filmmusik für die „Hexenprinzessin“, das ZDF-Weihnachtsmärchen 2020. Dann mache ich, sofern wieder gedreht werden darf, die Musik für Teil fünf und sechs der beliebten „Meine Mutter“-Filme für das Erste. Und im Herbst starte ich mit einem Kollegen eine neuartige Musikberatungsfirma. Ich sage immer frei nach Rio Reiser: Wenn die Nacht am tiefsten ist, wird der Tag am hellsten! Weitermachen!
WOLL: Welche Musik hörst du privat?
Michael Beckmann: Im Moment viel Swing aus den 40ern, dann Dean Martin und das Calypso-Album von Robert Mitchum. Und jeden Morgen eine halbe Stunde Ramones, danach bin ich wach und gut drauf. WOLL: Welche Verbindungen hast du noch zum Sauerland? Michael Beckmann: Meine Mutter lebt in Heggen, seit über 80 Jahren am gleichen Ort. Wir haben eine große Familie im Sauerland und im Juli ist immer Vettern-und-Kusinen- Treffen in Bilstein. Da kommen bis zu 40 Verwandte zusammen. Ich bin auch Mitglied im Heggener Schützenverein, schaffe es aber nicht immer aufs Schützenfest. Als ich das letzte Mal da war, habe ich mit dem halben Dorf in der Halle das WM-Endspiel gesehen! Götze-Tor, alles klar! Also: Im Herzen bin und bleibe ich Sauerländer.
WOLL: Kommt dir das sauerländische Woll gelegentlich noch über die Lippen?
Michael Beckmann: Sobald ich im Sauerland bin oder einen Sauerländer am Telefon habe – ständig.
WOLL: Würdest du einen Woll-Song schreiben?
Michael Beckmann: Eher einen Sauerlandsong, der meiner großartigen Zeit als Teenager im Sauerland ein Denkmal baut.
WOLL: Wo lebst du jetzt hauptsächlich?
Michael Beckmann: Am Fuß des Riesengebirges. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.