„Ohne etwas zu schaffen, kann ich nicht leben“

Quelle: Christel Zidi

Bei einem Streifzug durch die Regionalgeschichte des Sauerlandes taucht immer wieder der Name Friedrich Wilhelm Grimme auf. Vor knapp 200 Jahren, am Weihnachtstag 1827 kam in einem Sauerländer Dorf dieser Wilhelm Grimme auf die Welt. Erfahren Sie nachfolgend mehr über diesen bedeutenden Sauerländer. Die Zeilen sind entnommen aus dem Buch VIPiS VERY IMPORTANT PERSONS im SAUERLAND von Christel Zidi und Sabina Butz, das vor wenigen Wochen im WOLL-Verlag erschienen ist.

Dass sein Urenkel einmal sadomasochistische Literatur verlegen würde, hätte sich Friedrich Wilhelm Grimme wohl kaum vorstellen können. Genauso wenig wie der Assinghauser Dorfschullehrer, Küster und Organist Joseph Grimme je auf den Gedanken gekommen wäre, dass sein 7. Sohn Friedrich Wilhelm der „Dichter des Sauerlandes“ würde…  

Friedrich Wilhelm Grimme war ein schwächliches Kind. Deshalb unter- richteten ihn Vater und Pastor privat. Der Unterricht fand trotzdem in der Dorfschule statt, denn das war das Zuhause der Familie. Hier unterrichtete bereits der Großvater. Auch wenn Friedrich Wilhelms Gesundheit nie die beste war, war er doch ein richtiger Lausbub. Einzelheiten dazu findet man in dem überwiegend biographischen Buch „Memoiren eines Dorfjungen“.  

Die gute, häusliche Ausbildung zeigte Wirkung. Friedrich Wilhelm besuchte das Progymnasium in Brilon und legte mit 20 Jahren die Reifeprüfung am Laurentianum in Arnsberg ab – mit Auszeichnung. Anschließend studierte er Theologie, Philologie und alte Sprachen in Münster. Sein älterer Bruder, der das Studium mitfinanzierte, drängte ihn, Priester zu werden, trotzdem brach Friedrich Wilhelm dieses Studium ab; der Wunsch Lehrer zu werden war größer.  
Nach dem Studium absolvierte er ein Probejahr als Lehrer in Arnsberg, dort lernte er Emilie Düser kennen, die 14-jährige Tochter eines Druckerei- besitzers. Die Briefe, die er in dieser Zeit an sie schrieb, gehören zu seinen schönsten lyrischen Werken. Grimme ging die Beziehung sehr behutsam an. Im Gedicht „Der erste Schnee“ ist das gut herauszuhören: „Ich will zurücke stehn von meinem Fenster, liebliches Kind! Wenn du gegenüber erscheinst an deinem Fenster und auf die Straße blickst, gedankenmüßig. Oder mit dem Finger in die Scheiben Blumen schreibst – Namen noch nicht. Ich will zurü- cke stehn und deinen Frieden nicht stören.“ Mit seiner zurückhaltenden Art hatte er Erfolg. Später schrieb er: „Es ist nicht für die Basen. Es ist nicht für die Mütter. Was Neues sich begeben hat an einem Brückengitter. […] Doch wer mit mir beisammen war, weiß auf der Welt nur Eine. Und niemand hat‘s vernommen, als nur der Sternenreigen und Sankt Johann von Nepomuk – und der versteht zu schweigen.“ Als die beiden sich verlobten, war Emilie 15 Jahre alt, die Heirat fand fünf Jahre später statt. Ihre Liebe trug Früchte in Form von insgesamt elf Kindern.  
Grimme arbeitete in Arnsberg. Brilon und Paderborn. Dort zuletzt als Schul- leiter des Theodorianum-Gymnasiums. Später war er Direktor des Gym- nasiums in Heiligenstadt/Thüringen Er war ein ausgezeichneter Pädagoge,  dem es nicht nur um die Vermittlung von Wissen ging, sondern auch um die Bildung des Charakters. Viele seiner ehemaligen Schüler bestätigten, dass er „mit unendlichem Pläsier“ unterrichtete.  
Als er mit 57 Jahren emeritiert wurde, ging die Familie zurück nach Münster. Vor allem, um seinen Kindern eine gute Ausbildung zu verschaffen. Mit Er- folg, sie wurden Semitist, Kunsthistoriker, Altphilologe, Germanist, Heimat- forscher. Lange konnte Grimme seinen Ruhestand nicht genießen. Er starb schon zwei Jahre später an einem Herzschlag.  
Grimme stärkte das Heimatgefühl der Menschen und trug dies auch nach außen, z. B. durch sein Buch „Das Sauerland und seine Bewohner.“ Für ihn war das Sauerland nicht, wie Kaiser Karl gesagt haben soll, „ein sauer Land“, sondern „eine schöne, aber bucklige Welt“. In „Was das Völkchen so treibt“, verewigt er die Sitten und Gebräuche der Bewohner, verrät Sauerländer Rezepte und weiß, was die feinen Damen in Arnsberg und Brilon zu jener Zeit trugen. Man könnte Grimme als Heimatpfleger und ersten Sauerländer Touristiker bezeichnen. Er gab dem Sauerland ein Gesicht.  
Der unterhaltsame Heimatdichter Grimme, der „Strunzerdäler“ wie man ihn auch nannte, war vor allem für seine Lustspiele und Schwänke bekannt und für seine Gedichte in plattdeutscher Sprache. Der ernsthafte, hochdeutsche Grimme fand nur die Anerkennung Weniger. Von einem Großen der deut- schen Literatur erhielt er sie: „Von überraschender und ergreifender Schön- heit“ nannte Freiherr Joseph von Eichendorff, der als Kritiker hochgeschätzt war, eine lyrische Arbeit, die Grimme ihm zugesandt hatte.  
Grimme machte sich auch als Byrologe (Moos-Wissenschaftler) einen Namen und bekam für seine diesbezüglichen Errungenschaften und für seine litera- rischen Werke die Ehrendoktorwürde der Akademie in Münster verliehen. Auch war er ein hervorragender Musiker, schon als Kind äußerst musika- lisch: „Wo ich ging und stand, pfiff ich mit dem Munde.“ Als junger Lehrer komponierte er einige Klavierstücke – das Klavierspielen ging ihm leicht von der Hand. Menuette, Polonäsen, besonders Walzer. Auch eine Oper, die der Kapellmeister Arnold Spancke im Paderborner Dom aufführen ließ. Eines  seiner Gedichte wurde vom Komponisten Engelbert Humperdinck („Hänsel und Gretel“) vertont. „Ohne etwas zu schaffen, kann ich nicht leben; und einerlei, ob Poesie oder Musik, nur etwas Schönes muss es sein“, sagte Grimme irgendwann einmal.  
Manchen seiner Texte ist eine Schwere anzumerken, denn er litt zeitweilig unter Depressionen: „Und wo du heimisch warst im Glück, da bist du fremd mit deinen Schmerzen. Doch Zeiten kommen, schwerer noch: Da bist du fremd im eignen Herzen“. Doch diese Zeiten wechselten sich ab mit guten. Wenn er mit seinem Freund, dem „Lügenpastor“ Johannes Georg Schmidt aus Sundern, Wanderungen unternahm, hatten die beiden so manchen Streich auf Lager. Kehrten sie dann bei Freunden oder in einem Wirtshaus ein, wurde „geflunkert un geluagen, dat so qualmede as‘ en Knall im Biärge“, und es wurde herzhaft „gestrunzt“ (prahlerisch übertrieben).  
Die Tatsache, dass seinen Stücken das Moralisieren fehlte, wie Dr. Magdalene Padberg einmal angemerkt hatte und dass er eine Großzügigkeit besaß, mach- te ihn sehr beliebt. Grimme war ein äußerst gebildeter Mensch, aber kein weitgereister. Die längste Reise ging bis nach Köln und an das Siebengebirge. „Meine Bildung und Weltanschauung würde eine ganz andere gewesen sein, wenn ich Deutschland nach vielen Richtungen hätte kennenlernen können. Meine Phantasie hat, wenn ich die heimatlichen Berge abrechne, nicht die allergeringste äußere Nahrung gehabt.“ Aber dafür hätte sie schöner nicht blühen können.  

Weitere Sauerländerinnen und Sauerländer, die Platz in diesem Buch VIPiS VERY IMPORTANT PERSONS im SAUERLAND gefunden haben, sind unter anderem: Thusnelda, Götz v. Berlichingen, Gertrud v. Plettenberg, Peter Schlinkert, Sophie Stecker und Wilhelmine Lübke.

Quelle: WOLL-Verlag