Neue Wertschätzung des ländlichen Raums

Quelle: WOLL Magazin

Bauen und Wohnen: Nachfragen nach Wohnungen jeglicher Form und Couleur im Trend

Die Stadt Arnsberg hat in ihrem Handlungskonzept „Zukunft Wohnen Arnsberg 2030“ ein anspruchsvolles Leitbild formuliert, das auf alle Kommunen des Sauerlandes und der Hellweg-Region übertragen werden kann und in ähnlicher Weise auch so formuliert wird: „Wohnen wollen alle – In Arnsberg finden alle Menschen mit ihren vielfältigen Lebensstilen, in allen Lebensphasen und mit jedem Geldbeutel ein breites Angebot an Wohnungen.“ Die Nachfrage nach Wohnungen jeglicher Form und Couleur ist derzeit groß, der Markt teilweise überhitzt. Corona hat zudem eine Tendenz verdeutlicht und beschleunigt, die sich vorher schon abgezeichnet hatte und die von Dr. Birgitta Plass und Michaela Röbke von der Stadt Arnsberg als „neue Wertschätzung des ländlichen Raums“ bezeichnet wird. 

Dr. Birgitta Plass und Michaela Röbke leiten den Fachbereich Planen, Bauen, Wohnen und berichten auch von Anfragen u. a. aus dem Raum Dortmund nach Bauplätzen und Wohnungen in der „polyzentralen“ Stadt zwischen Ballungsraum und Arnsberger Wald. Michael Stelte, Mitarbeiter des Fachbereichs Stadtplanung der Stadt Brilon, spricht von einem „überhitzten Wohnungsmarkt“: „Die Nachfrage, die sich vor allem auf die Kernstadt konzentriert, ist unglaublich hoch. Aber auch die Ortsteile, die nah an der Kernstadt liegen, sind gefragt.“ Brilon geht für die kommenden Jahre von einem Bedarf von 700 bis 1.000 zusätzlichen Wohneinheiten aus. Ähnlich sieht es in der Kreis- und Hochschulstadt Meschede aus: „Die 70 Bauplätze der zwei neuen Wohngebiete Ziegelei II und Liegnitzer Straße beispielsweise waren in kürzester Zeit vergriffen.“, sagt Klaus Wahle, Fachbereichsleiter Planung & Bauordnung. „Meschede zieht als attraktiver Wohnort.“ Auch die Gemeinde Ense, ein gefragter Arbeits- und Wohnort, verzeichnet ein ähnliches Bild. „Viele junge Enser Bürgerinnen und Bürger wollen bauen oder suchen passende Wohnungen“, erklärt Stefanie Müller vom Fachbereich Bauen und Gemeindeentwicklung. „Auch von außerhalb kommen Anfragen.“

Die Wertschätzung der heimischen Region als attraktiver Standort für Wohnen und Arbeiten hatte sich bereits in den letzten Jahren abgezeichnet, Corona hat die Tendenz verstärkt. Günstigere Bau- und Mietpreise als in den Ballungsräumen, niedriges Zinsniveau, Homeoffice, hoher Freizeitwert waren und sind die wichtigsten Beschleuniger der Entwicklung, die weiter anhält, obwohl inzwischen die Miet- und Baulandpreise sowie die Baukosten auch in der Region teilweise deutlich gestiegen sind.

Nachfrage nach „urbanem Wohnraum“

Ein Trend zeichnet sich deutlich ab: die Nachfrage nach „urbanem Wohnraum“ in der Region. Für Arnsberg gilt das besonders für die drei großen Stadteile Neheim, Alt-Arnsberg und Hüsten. „Familien, junge Paare und Wohngemeinschaften, Jugendliche, Senioren insbesondere der Nachfamilienphase, Menschen mit geringem Einkommen, aber auch Flüchtlinge suchen und konkurrieren hier um Wohnraum“, heißt es im Handlungskonzept der Stadt. Ähnlich sieht es auch in den anderen Kommunen aus. „Die Menschen ziehen auch im Alter um, das hat es früher nicht gegeben“, so Klaus Wahle über die Situation in Meschede. „Sie ziehen vom Berg runter in die Stadt.“ Das gelte auch für junge Familien. Brilons Bürgermeister Dr. Christof Bartsch umschreibt die Suche nach urbanem Wohnraum im „lebenswerten Standort im Grünen“ so: „Die Menschen ziehen der Versorgung hinterher – in die Kernstadt und in die nahegelegenen Dörfer.“

Wie kann der Wunsch nach „urbanem Wohnraum“ befriedigt werden? Die handelnden Akteure sind sich einig, dass vor allem „verdichtete Wohnformen“ wie Mehrfamilienhäuser, Reihenhäuser, Kettenhäuser oder besondere Bau- und Wohngruppen an geeigneten Standorten infrage kommen. Nachverdichtung, Umbau, Aufstockung oder Abriss und Ersatzneubau gelten als bevorzugte Maßnahmen – alle mit hohem Standard im Hinblick auf Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit.  „Die Nachverdichtung, also die Nutzung freier Flächen im Bereich bestehender Bebauung, spielt eine dominierende Rolle“, sagt Klaus Wahle. „Bauen im Bestand, also im bebauten Bereich bleiben.“ „Die Innenentwicklung hat Vorrang vor der Außenentwicklung“, fasst es Dr. Birgitta Plass zusammen. „Die Fläche ist endlich.“ In Brilon beispielsweise stehen 600 bebaubare Fläche zur Verfügung, davon 250 in der Kernstadt, alle fast ausschließlich in privater Hand. Den Flächenverbrauch erheblich zu reduzieren: Dieses Gebot gilt in der ganzen Region.

Umbau des alten Arbeitsamtes als pilotträchtiges Beispiel

Ein pilotträchtiges Beispiel für die Philosophie der Nachhaltigkeit sind die Kernsanierung und der Umbau des alten Arbeitsamtes zu einem Mehrgenerationenhaus in der Mescheder Steinstraße. Die sogenannten barrierefreien Variowohnungen in den unteren Etagen werden zunächst von Studenten der Fachhochschule genutzt und können mittelfristig ohne großen Aufwand als Wohnungen für Senioren umgebaut werden. Die beiden oberen Etagen des fünfstöckigen Gebäudes sind Büroräume. Das Modellvorhaben wurde vom Bund mit 550.000 Euro gefördert und gilt als „Leuchtturm“ für nachhaltiges Bauen. Als weiteres beispielhaftes Projekt in Meschede gilt das Bauvorhaben auf dem Gelände der ehemaligen Franz-Stahlmecke-Schule. Teile des Gebäudes werden abgerissen, 14 Baugrundstücke für Einfamilienhäuser, Eigentums- und Mietwohnungen, betreutes Wohnen sowie für eine Demenz-WG sind erschlossen. Großes Interesse findet auch der geplante Bau eines Beginenhofs in Meschede. Es ist ein Wohnprojekt für Frauen (Siehe weiteren Artikel). In Neheim entsteht der Garten.Hof, eine moderne Baugruppe mit fünf Einfamilienhäusern, die durch einen zentralen Garten und ein gemeinsam nutzbares „Hofhaus“ verbunden sind. Großes Potenzial wird einem Bauvorhaben mitten in Neheim-Moosfelde bescheinigt. Die Volksbank Sauerland vermarktet auf dem Gelände des ehemaligen Combi-Marktes 25 Wohneinheiten, 24 für Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften sowie eine Parzelle für ein Mehrfamilienhaus. Für Moosfelde bedeutet das eine weitere Aufwertung des Quartiers.

Quelle: WOLL Magazin

Bevölkerungsrückgang nicht so stark wie befürchtet

Beim Blick in die Zukunft und auf die weitere Entwicklung des Wohnens spielen die demografische Entwicklung und die gesellschaftlichen Entwicklungen eine entscheidende Rolle. Es zeichnet sich ab, dass die Region Einwohner verlieren wird, aber nicht in dem Maße, wie es frühere Prognosen vermuten und befürchten ließen. Der Anteil junger Menschen, die nach Studium oder Ausbildung („Bildungswanderung“) wieder in die Region zurückkehren, wird größer. Fest steht, dass die Bevölkerung älter wird. In Arnsberg zum Beispiel werden 2030 die „Best Ager“ genannten Jahrgänge (zwischen 58 und 73 Jahre alte Menschen) die größte Gruppe stellen. Die Wohn- und Lebensformen werden nicht nur für die Senioren vielfältiger sein, so die Einschätzung der Stadtplaner. Wichtig werden danach generationengerechte, nachhaltige und sozial durchmischte Wohnquartiere sein. Ein weiteres wichtiges Kriterium wird bezahlbare (Miet-)Wohnungen für junge Menschen (Starter) und junge Familien sein. Individuelle Wohnformen müssen von den handelnden Akteuren auf dem Wohnungsmarkt unterstützt werden. Für das Erscheinungsbild der Kommunen spielt zudem die Baukultur auch mit moderner Architektur eine bedeutende Rolle.

Bei allem Trend zu urbanen Wohnformen im Sauerland: Die Dörfer dürfen nicht vergessen werden, so der Tenor in den Kommunen. „Die Dörfer in Brilon liegen uns am Herzen“, erklärt Dr. Christof Bartsch. „In den Dörfern haben wir keine strukturellen Leerstände.“ Die Politik und die Dorfgemeinschaften sind in den letzten Jahren mit Dorferneuerungsprogrammen aktiv gewesen. IKEK (Integriertes kommunales Entwicklungskonzept), DIEK (Dorfinnen-Entwicklungskonzept) und LEADER, das Förderprogramm der EU, haben zu einer erheblichen Aufwertung, besonders der Dorfkerne, geführt. „Die Dorfkerne haben eine zentrale Bedeutung für den Zusammenhalt“, so Stefanie Müller. Neuausweisungen von Baugebieten sind weiterhin möglich, sollen aber vorwiegend in Form von Arrondierungen erfolgen. „In den Dörfern hat sich eine Menge getan“, betont Michaela Röbke. Wichtig seien künftig auch die Themen Digitalisierung der kleinen Stadtteile und Mobilität mit verbesserten Angeboten im öffentlichen Personen-Nahverkehr und der Ausbau der Radwegenetze.