Musik schafft etwas, was Worte allein nicht können

Musiktherapeutin Sarah Bonnen

von Sonja Nürnberger

Während ich Fotos mache, sitzt Sarah Bonnen auf einem Stuhl in dem grünen Hinterhof vom Klanghäuschen Weidenpesch im Kölner Norden. Hinter ihr befindet sich der Raum, in dem sie zukünftig auch privat als Musiktherapeutin arbeiten wird. In der Hand hält Sarah eine Gitarre – nicht nur als Requisit für das Foto. Sie spielt eine beruhigende Melodie und ich spüre sofort, wieso Musik auch zur Therapie eingesetzt werden kann.

„Zuhause haben wir viel zusammen gesungen – ganz klassisch etwa an Weihnachten oder ich habe auf dem Klavier herumgeklimpert, das im Wohnzimmer stand“, erinnert sich Sarah. Die 35-Jährige ist in Wormbach im Schmallenberger Sauerland aufgewachsen. Heute lebt sie im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. „Meine Mutter war außerdem Flötenlehrerin und wenn am Montag dann immer die Blockflötenkinder zu uns kamen, habe ich natürlich auch eine Zeit lang in einer Gruppe mitgespielt.“ Auch das Musiktheater „Junges Gemüse“ wurde viele Jahre von ihren Eltern geleitet, sodass es für Sarah eigentlich selbstverständlich war, selbst dort mitzumachen. „Es war einfach immer viel Musik, Theater und Bewegung um mich herum.“

Mit 15 Jahren machte Sarah ein Auslandsjahr in den USA. „Dort hatte ich das Privileg, dass ich meine Kurse ziemlich frei wählen durfte und dann habe ich ganz viel Kunst und Musik und alles, was mir zuhause in der Schule – am Gymnasium in Schmallenberg hatte ich nur zwei Jahre Musikunterricht – gefehlt hatte, mitgenommen.“ Gerade am Anfang, als sie sich noch fremd gefühlt hat, waren die zwei Stunden Chor zu Beginn des Tages hilfreich. „Erst einmal singen, das krieg ich hin, hab ich mir gedacht. Das hat mir beim Ankommen in den USA sehr geholfen“, erinnert sie sich. Auch von ihrer amerikanischen Chorleiterin war sie ganz fasziniert. Diese erzählte ihr irgendwann von der Musiktherapie. „Ich fand das total spannend, habe mich dann aber erst im zwölften Schuljahr, als die Facharbeit anstand, wieder damit auseinandergesetzt.“ Für diese interviewte Sarah eine Musiktherapeutin in Unna, die mit schwerstmehrfach behinderten Kindern arbeitete. So interessant Sarah das Thema fand, so sehr hatte sie jedoch auch Bedenken, ob sie die Belastung aushalten würde, jeden Tag mit kranken Meschen konfrontiert zu werden.Nach dem Abitur ging es erst einmal für ein Jahr auf Reisen, anschließend zog es sie nach Köln. Hier wollte sie sich auf ihre Aufnahmeprüfung vorbereiten. Sarah hatte beschlossen, Pop- und Jazzgesang zu studieren. „Als Jugendliche war ich nicht besonders fleißig, wenn es um das Üben für den Klavierunterricht ging. Ich habe lieber für mich gespielt, mit Kopfhörern Sachen nachgespielt, die mich berührt haben. Schließlich habe ich meinen Fokus auf das Singen gelegt.“ Im Sauerland war es nicht leicht, Gesangsunterricht zu bekommen. In Köln war das einfacher und schließlich standen verschiedene Aufnahmeprüfungen an. Bei der ein oder anderen schaffte sie es recht weit, wurde am Ende dann aber doch abgelehnt. „Das war traurig und schmerzhaft, aber dann habe ich mich entschlossen, mich in Enschede in den Niederlanden für die Studiengänge Popmusik und Musiktherapie zu bewerben.“ Angenommen wurde sie – allerdings nur für Musiktherapie. „Und so bin ich da einfach reingerutscht, nicht ganz ungewollt, aber es war eben eher mein Plan B – und jetzt bin ich sehr glücklich, dass es der Plan B geworden ist.“

Musik verbindet

DIE Musiktherapie gibt es eigentlich nicht. Je nachdem, mit welcher Zielgruppe man zusammenarbeitet, werden ganz unterschiedliche Methoden angewendet. „Die Besonderheit des Verfahrens liegt im unmittelbaren Einfluss von Liedern, Melodien, Rhythmen und Klängen auf den menschlichen Organismus, insbesondere auch auf das psychische Erleben“, erklärt Sarah. Die Musiktherapie ist ein wissenschaftlich fundiertes Therapieverfahren, welches auch psychotherapeutisch genutzt werden kann, das die Musik nutzt, um in Beziehung zu kommen, um an Gefühle zu gelangen, um sich kennenzulernen. „Am besten lässt es sich verstehen, indem man überlegt: Was macht Musik mit mir selbst? Wenn ich Musik höre, dann kann das Erinnerungen wecken, es kann ganz viel in meinem Inneren bewegen, die unterschiedlichsten Gefühle hervorrufen.“ – Und vor allem verbindet Musik und das ist etwas, was die Musiktherapie nutzt.

„Dadurch, dass ganz viele psychische Erkrankungen vorsprachliche Ursprünge haben, also schon im Säuglings- und frühen Kleinkindalter, kann man „nonverbal“ dort wieder anknüpfen. In der Therapie nennt man das „Affektabstimmung‘.“ Sarah arbeitet heute in der LVR Klinik in Bonn und bietet dort neben einer Entspannungs- und eine Singgruppe vor allem die Improvisation an. Die Patientin oder der Patient darf sich dabei im Therapieraum ein Instrument aussuchen. „Es ist interessant zu sehen, welches Instrument gewählt wird, ob überhaupt eins ausgewählt wird. Die Patientin oder der Patient darf dann einfach drauf losspielen, sich ausprobieren. „Ich versuche dann, egal, was gespielt wird,  sie oder ihn – meistens mit dem Klavier – zu begleiten, zu zeigen, dass ich da bin und zuhöre. Und weil wir Menschen von Natur aus rhythmische Wesen sind – wir atmen im Rhythmus, wir gehen im Rhythmus – , passiert es häufig, dass sich der Kopf irgendwann ausschaltet und ein Rhythmus entsteht.“ Natürlich ist es nicht immer so, dass die Patienteninnen und Patienten direkt loslassen können. Da ist dieses Ich-will-mich-nicht-lächerlich-machen und das Ich-will-keine-Fehler-machen, das wir sicher alle irgendwo kennen. Aber irgendwann geht es dann doch, ein Miteinander entsteht und darüber und über auftauchende Bilder, Emotionen und Gedanken kommt Sarah mit ihnen ins Gespräch.Die Befürchtung, dass der tägliche Umgang mit kranken Menschen zu belastend sein könnte, hat sich nicht bewahrheitet. „Ich arbeite in einer Akutpsychatrie, dort sind Menschen mit schweren psychischen Belastungen, zum Teil auch suizidalen Absichten – inzwischen kommen auch die ersten Menschen, die durch die Flutkatastrophe alles verloren haben. Das sind Menschen mit ernstzunehmenden, schweren Erkrankungen wie etwa Depressionen, Persönlichkeits- oder Traumafolgestörungen, aber ich versuche den Menschen und seine Geschichte in den Vordergrund zu stellen, versuche mit ihm gemeinsam zu ergründen und zu verstehen, was ihn an den Punkt gebracht hat, an dem er gerade steht und vor allem auch seine Ressourcen zu erkennen.“Und da entstehen fast täglich auch schöne Momente. An einen erinnert Sarah sich besonders gerne: „Ein junger Patient, der sehr in sich gekehrt war und vieles mit sich selber ausmachte, kam zu mir zur Improvisation. Der konnte so feinfühlig in den musikalischen Austausch gehen, war kreativ und hat sich getraut, auszuprobieren. Dabei ist so ein Miteinander entstanden, das mir deutlich machte, dass er viel mehr kommunikative Fähigkeiten und emotionale Ausdruckskraft hatte, als er mit Worten zeigen konnte. In der weiteren Therapie ging es dann darum, herauszufinden, warum es mit Worten so viel schwieriger für ihn war, sich auszudrücken.“

Ein eigener Therapieraum

Nach zehn Jahren Klinikerfahrung hat Sarah Lust auf mehr. Im vergangenen Jahr hat sie mit Unterstützung ihres Arbeitgebers ihren Master an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg absolviert und erwarb mit dem Abschluss auch die Heilpraktikererlaubnis für Psychotherapie. „Ich möchte neben der Arbeit in der Klinik gerne noch etwas freier arbeiten können, mir etwas Eigenes aufbauen, etwas, das ich nach meinen Wünschen gestalten kann.“ Dafür hat sie nun einen eigenen Raum in Köln-Weidenpesch gemietet. „Ich möchte zunächst einmal einen Nachmittag in der Woche mit zwei oder drei Patienten arbeiten und schaue, wie sich das Ganze entwickelt.“ Auch die Promotion hat sie ins Auge gefasst. Langweilig wird es ihr also nicht. Und manchmal fährt sie auch noch zurück in die Heimat – ihre Eltern und alte Freunde besuchen, die immer noch im Sauerland zuhause sind.

www.musiktherapie-bonnen.de
www.klinik-bonn.lvr.de