Mit „Vaterland“, „Quickly“ und „Lloyd Alexander“ ins Sauerland

Ausflugsfahrten in den 1950er Jahren

Sechzehn und fünfzehn Jahre alt waren wir: mein Jugendfreund Ferdi, der mit mir Tür an Tür in einem Mehrfamilienhaus in Iserlohn wohnte, und ich. In diesem Alter drängte es uns hinaus in die Welt, und die lag zunächst vor unserer Haustür: das Sauerland. Ferdi kannte in Schmallenberg die „Wüllners“, weitläufige Verwandte seiner Mutter. Die sollten häufig unsere Zwischenstationen sein – wegen der zu erwarteten Verköstigung. Meine Eltern hatten mir 1954 ein neues Fahrrad von der Firma „Vaterland“ in Neuenrade geschenkt. Zusammen mit „Onkel Ernst“, dem Chef meines Vaters – wir Kinder nannten gute Bekannte meistens Onkel und mit Vornamen –, hatten wir es persönlich mit dessen Auto dort abgeholt. Unsere Fahrräder besaßen eine komfortable Fünf-Gang-Schaltung. Das war nicht die Fülle der Zahnkränze heutiger Tourenräder, aber für die Steigungen im Sauerland schon etwas Besonderes.

Im Sommer 1955 starteten wir zu unserer ersten größeren Radtour durchs Sauerland Richtung Edertalsperre. Die Taschen mit Proviant und das einfache Hauszelt mit zwei Stangen waren auf den Gepäckträgern festgeschnallt. Nun hieß es, unermüdlich in die Pedale zu treten. Durch zahlreiche Kehren fuhren wir das Lennetal aufwärts und erreichten in der Spätnachmittagssonne Schmallenberg. In der Pension Wüllner an der steilen Werper Straße – ich meine mich zu erinnern, dass man das Haus „Augustahöhe“ nannte – klopften wir an und wurden freundlich zum Abendbrot eingeladen. Das Angebot zur Übernachtung lehnten wir mit Bestimmtheit ab, denn wir wollten draußen im Wald zelten. War das erlaubt? Ja, wir durften etwas weiter oberhalb in einem Waldstück, das zur Pension gehörte, unser Zelt aufschlagen. Unsere Fahrräder schlossen wir zur Sicherheit aneinander und legten uns dann müde auf den Zeltboden, den wir zuvor mit Laub und Kiefernnadeln unterfüttert hatten.

Am nächsten Morgen ging es nach einem deftigen Frühstück bei Wüllners weiter aufwärts im Lennetal. Es lag eine Gewitterschwüle in der Luft. Hinter Oberkirchen, wo es steil zum Albrechtsplatz ansteigt, überraschte uns ein kräftiger Schauer. Wir suchten Schutz unter Bäumen. Als der Regen aufhörte, schnaufte ein Lastwagen ganz langsam die steile Straße hinauf. Seine PS-Zahl oder die schwere Ladung ließen kaum ein schnelleres Fahren als Schritttempo zu. Flugs saßen wir auf den Rädern, folgten dem Gefährt und hielten uns links und rechts an den hinteren Verschlusshaken des Ladebords fest. Bequemer konnte man die Höhe des Rothaargebirges nicht erreichen. Gegen Abend fuhren wir auf den Zeltplatz an der Edertalsperre. Dort blieben wir zwei Tage, bevor wir über die Höhen und durch das Ruhrtal nach Hause radelten.

Ferdi bekam zum 18. Geburtstag ein gebrauchtes Moped geschenkt, und auch ich erhielt ein Jahr später eine „NSU-Quickly“ aus zweiter Hand. Die Fahrräder wurden verkauft. Nun war zu jeder Jahreszeit Mopedfahren durchs Sauerland angesagt. Das waren echte Pedalräder mit Motor, die man zur Not auch durch kräftiges Treten der Pedale am Berg unterstützen konnte, wenn die Motorkraft nachließ. Als Ausrüstung dienten der normale Anorak und die Alltagshose. Eine Ledermütze schützte bei Kälte. Jetzt machten wir Ausflüge zur Sorpe- und Möhnetalsperre und hin und wieder nach Schmallenberg. An einem späten Herbsttag besuchten wir die andere Familie Wüllner, die in der Ortsmitte in einem mit Schiefer beschlagenen Haus ein Hotel mit Gaststätte und Café betrieb. Wir wussten, dass wir dort mit Speisen gut versorgt wurden. Als es dunkelte, traten wir die Heimreise an. Wüllners hatten uns alte Zeitungen gegeben, die wir unter den Jacken ausbreiteten, um die Kälte abzuhalten. Das war unsere damalige Schutzkleidung. Alle, die heute ihre PS-starken Motorräder „Moped“ nennen, untertreiben maßlos, aber müssen sich anders gegen äußere Einwirkungen schützen.

1959 erwarben wir beide den Führerschein Klasse III. Ferdis Eltern kauften ihm ein Gebrauchtfahrzeug, einen „Lloyd Alexander“. Der war schon besser ausgestattet als das Vorgängermodell, das im Volksmund wegen der Sperrholz-Kunstleder-Karosserie „Leukoplastbomber“ genannt wurde. Jetzt konnten wir unsere Ausflüge wetterunabhängig durchführen. Sogar im tiefen Winter tat der kleine Wagen seinen Dienst bei der Fahrt nach Winterberg zum Rodeln. Selbst steilste Strecken von Ramsbeck über Heinrichsdorf nach Elpe nahm der kleine Wagen im ersten Gang.

Diese Ausflüge – angefangen mit dem Fahrrad bis zur Nutzung eines Kleinwagens – wecken in mir die Erinnerung an beschauliche Zeiten und Kontakte im Sauerland vor fast 70 Jahren und an meinen Freund Ferdi, der leider schon 2009 gestorben ist. Schön war die Zeit.