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Eine Glosse zu den überaus denkwürdigen Umständen, unter denen der HSK am 13.7.2021, gut 36 Stunden vor Inkrafttreten des neuen 1.000 m-Gesetzes, einen positiven Bauvorbescheid für das Windenergiekraftwerk „Auf der Sange“ bei Eslohe erlassen hat.
Wer auf der Bundesstraße 7 von Brilon nach Marsberg fährt, dem ist es vergönnt, einen Blick in unsere Zukunft zu werfen. Denn wenn bis 2030, wie der Koalitionsvertrag es vorsieht, 80% des Energiebedarfs der Bundesrepublik Deutschland aus erneuerbaren Energien gedeckt werden sollen, müssen in den nächsten acht Jahren Tausende Windräder neu gebaut werden. Um dieses ehrgeizige Vorhaben umzusetzen, ist eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und eine Neujustierung des Artenschutzes geplant. Gerade Letzteres wird von den Vertretern einer ehemaligen Umweltschutzpartei seit einigen Jahren immer lauter und rücksichtsloser vorgetragen: wenn der Klimawandel nicht gebremst werde, so das grüne Narrativ, dann würden manche geschützte Arten vollständig aussterben; das Einzeltier dürfe also dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht im Wege stehen, weil Klimaschutz der beste Artenschutz sei. Es wird zum Kollateralschaden, der für die Erhaltung seiner Art notwendig ist. Der Zynismus dieser Argumentation könnte größer kaum sein; sie ist aber auch sachlich fragwürdig, da wir nicht wissen, ob der Rotmilan oder der Schwarzstorch nicht doch mit einer im Jahresmittel um zwei Grad höheren Temperatur ganz gut zurechtkämen. Könnte man das Einzeltier fragen, ob es lieber schwitzen oder von Windrädern geschreddert werden möchte, so würde es sich, so unsere Vermutung, wohl meistens für das Schwitzen entscheiden. Wie auch immer: der Wille der Politik zum extensiven Ausbau der Windenergie ist in nahezu allen Parteien vorhanden, Geld ist genug da, und man muss keine prophetischen Kräfte haben, um zu sehen, dass es bald überall im Sauerland so aussehen wird wie zwischen Brilon und Marsberg.
Über Geschmack darf man bekanntlich nicht streiten, deshalb soll es im folgenden auch nicht um die Ästhetik moderner Energiegewinnung gehen, zumal Kohle- oder Atomkraftwerke auch nicht besonders schön aussehen; dass sie für dieselbe Strommenge deutlich weniger Raum benötigen als Windkraftwerke und schon deshalb ihre Ansicht dem Betrachter weniger häufig aufdrängen, lässt sich freilich nicht leugnen. Auch die bekannten Probleme der Windenergie möchten wir hier nicht diskutieren, zumal für die grundsätzliche Erkenntnis, dass selbst eine Verdreifachung der Windräder kein einziges Watt mehr an Strom erzeugt, wenn der Wind nicht weht, keine komplizierten Rechenoperationen vonnöten sind: dass dreimal null null ist, weiß jede rheinische Frohnatur. Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass die berüchtigte Speicherproblematik für den Flatterstrom bis heute nicht gelöst ist und in den nächsten Jahrzehnten nicht gelöst werden kann. Warum man für Windräder unbedingt den CO2-Speicher Wald zubetonieren und noch mehr Flächen versiegeln muss, leuchtet auch nicht ein: das nächste Starkregenereignis, so heißt es immer, sei dank des Klimawandels nicht fern; aber wohin wird in Zukunft der Regen abfließen, wenn die verdichteten Waldböden das Wasser nicht mehr aufnehmen können? Zu den Tücken der Windenergie zählen schließlich auch die Lieferketten der kostbaren Rohstoffe: neben brasilianischem Eisenerz für die Türme und Tropenhölzern für die Rotorblätter werden für die modernen Windradgiganten große Mengen Seltener Erden benötigt, die vor allem in China und Afghanistan gefördert werden, Staaten, die sich bisher nicht durch gesteigertes Umweltbewusstsein hervorgetan haben. Seltene Erden gibt es daher leider nicht zum ökologischen Nulltarif: der „Misereor“-Bericht von 2018 („Rohstoffe für die Energiewende“), der der Windenergie grundsätzlich eher positiv gegenübersteht, weist darauf hin, dass für die Förderung einer Tonne Seltener Erden 2.000 Tonnen Giftmüll anfallen, durch die ganze Landstriche verseucht werden. Zum Glück ist China weit genug weg, um unser grünes Gewissen nicht zu belasten …
All das und vieles mehr, das sich gegen den ungehemmten Ausbau der Windenergie vorbringen ließe, soll uns hier nicht interessieren. Wir möchten Ihnen vielmehr ein Genehmigungsverfahren vorstellen, von dem wir persönlich betroffen sind, um zu zeigen, dass die Projektierer sich schon heute über mangelnde Unterstützung durch die Genehmigungsbehörden nicht beschweren müssen. Es geht um das Windenergiekraftwerk „Auf der Sange“. Die Sange ist ein kleiner, beschaulicher Höhenzug südlich von Eslohe, der die angrenzenden Dörfer Bremscheid, Hengsbeck, Lochtrop und Frielinghausen um 200–300 m überragt. Ihr Pech ist, dass sie von Norden nach Süden verläuft und damit für Projektierer attraktiv ist: weil in Deutschland meistens Westwind herrscht, versprechen Windräder, die von Nord nach Süd aneinandergereiht werden, mehr Ertrag. Auf der Sange sollen fünf Windräder mit einer Höhe von jeweils 240 m gebaut werden. Die Entfernung nach Frielinghausen beträgt an manchen Stellen gerade mal 800 m, nach Lochtrop 750 m. Damit unterschreitet der bei der unteren BImSchG-Behörde des Hochsauerlandkreises schon 2017 beantragte Kraftwerkskomplex die 1.000 m-Grenze, die der Landtag durch Gesetz vom 1.7.2021 festgeschrieben hat, deutlich und wäre deshalb nicht genehmigungsfähig. Aber dazu später mehr.
Wir stellen Ihnen dieses Verfahren vor, weil Sie, liebe Leserinnen und Leser, mit großer Wahrscheinlichkeit selbst schon bald zu den Betroffenen zählen werden: denn der massive Ausbau der Windindustrieanlagen ist im Sauerland gerade erst angelaufen; es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren fast jeder Hügel ins Visier der Projektierer geraten wird. Die selbsternannten Klimaretter müssen nur noch die Früchte einfahren, denn die Hauptarbeit ist längst getan: ohne dass die Bürger viel davon mitbekommen hätten, haben sie in den letzten Jahren die Flächennutzungspläne fast aller Gemeinden des Sauerlandes mit Klagen überzogen und von den Gerichten oft wegen lächerlicher Formfehler recht bekommen. Damit haben aber die für Windenergie vorgesehenen Konzentrationsflächen ihre bindende Wirkung verloren: die Projektierer dürfen jetzt (fast) überall bauen, da es sich bei der Errichtung von Windkraftwerken um privilegierte Bauvorhaben handelt. Der Schutz der Anwohner spielt dabei nur insofern eine Rolle, als die Lärmbelästigung einen bestimmten Grenzwert nicht überschreiten darf. Überraschenderweise kommen die von den Projektierern beauftragten Gutachter eigentlich immer zu dem Ergebnis, dass die zu erwartende Lärmbelästigung einige Dezibel unter der gesetzlich festgelegten Obergrenze liegen werde. Überprüfen kann man das leider erst, wenn die Windräder gebaut sind.
Alle anderen Aspekte des Anwohnerschutzes spielen keine Rolle. Die gesundheitsschädliche Wirkung des sogenannten Infraschalls wird von deutschen Gerichten nicht anerkannt, weil sie bisher nur im Labor nachgewiesen wurde. In der Frage der sogenannten optischen Bedrängung beruft sich die Windenergielobby immer auf ein Urteil des OVG Münster vom 9.8.2006, das den Anwohnern ohne wissenschaftliche Grundlage den dreifachen Abstand der Gesamthöhe der Windräder zumutet (3H-Regelung). Verschwiegen wird dabei gerne, dass sich dieses Urteil auf Windräder im Flachland bezog. Für Windräder in Höhenlagen gibt es bisher keine Rechtsprechung, da die deutschen Mittelgebirge erst seit vergleichsweise kurzer Zeit die Aufmerksamkeit der Projektierer auf sich gezogen haben. Dass aber die optische Bedrängung sich ändert, wenn 240 m hohe Windräder auf 200–300 m hohe Hügel gesetzt werden, sollte doch eigentlich jedem einleuchten. Ersetzt werden kann die alte Rechtsprechung (wenn überhaupt) aber erst dann, wenn jemand die Chuzpe (und das nötige Kleingeld) hat, gegen die milliardenschweren Windenergiekonzerne zu klagen. Manche Projektierer empfehlen übrigens Anwohnern, die sich durch den Diskoeffekt der Windräder bei Tag oder die Leuchtfeuer bei Nacht gestört fühlen, die Jalousien herunterzulassen und ggf. die Terrasse auf die abgewandte Seite des Hauses zu verlegen. Merken Sie sich diese hilfreichen Tipps schon mal für die Zukunft!
Während also die überempfindlichen Anwohner nicht so wichtig sind, schaut der Staat beim Artenschutz zur Zeit noch ein bisschen genauer hin. Hier sind deshalb weitere Gutachten nötig. Zum Glück kann man als Projektierer aus einem breiten Angebot kommerzieller Anbieter auswählen, die für jeden beliebigen Ort in Windeseile ein professionell aussehendes Gutachten von mehreren hundert Seiten zusammenstellen können und fast immer zu dem Ergebnis kommen, dass das Bauvorhaben unter Natur- und Artenschutzaspekten völlig unbedenklich sei. Merkwürdigerweise kommen die politisch Verantwortlichen in NRW überhaupt nicht auf die Idee, dass es der vielbeschworenen Akzeptanz in der Bevölkerung abträglich sein könnte, wenn der Antragsteller seine Gutachter selbst aussucht und fürstlich vergütet. Dass bezahlte Gutachter befangen sein könnten, scheint uns jedenfalls kein besonders abwegiger Gedanke zu sein. Aber seien wir nicht zu kleinlich: schließlich wollen auch diese Leute von irgendwas leben und sind davon abhängig, auch in Zukunft noch Aufträge der Windenergiekonzerne zu bekommen. Wir können hier auch deshalb großzügiger sein, weil man sich diese Feigenblätter auch sparen könnte: aus Kreisen der Projektierer, die in den nächsten Jahren mit dem Sauerland noch viel vorhaben, erfuhren wir kürzlich, dass man überzeugt sei, dass die oft an die 1.000 Seiten umfassenden „Gutachten“ in den Genehmigungsbehörden gar nicht gelesen würden: denn auch wenn darin bestimmte Auflagen zum Natur- und Artenschutz vorgeschlagen würden, bekomme man trotzdem die Standard-Baugenehmigungen ausgestellt!
Wir jedenfalls gewinnen immer mehr den Eindruck, dass die Projektierer die Genehmigungsbehörden nicht ernstnehmen. Leider dürfte hinzukommen, dass sie in den Behörden manchmal auch Leute antreffen, die ihre Dienstpflichten etwas eigenwillig auslegen. Und damit sind wir bei jenen denkwürdigen Umständen, unter denen am 13.7.2021, gut 36 Stunden vor Inkrafttreten des neuen 1.000 m-Gesetzes, vom HSK ein positiver Bauvorbescheid für das Windenergiekraftwerk „Auf der Sange“ erlassen wurde, der, sobald er rechtskräftig ist, den Bau gegen den Willen des Gesetzgebers immunisieren wird. Wir schicken voraus, dass wir keine Juristen sind: was von den im folgenden berichteten Vorgängen inwiefern straf- oder beamtenrechtlich justiziabel ist, können wir nicht sagen. Anhand der Aktenlage lässt sich auch nicht alles restlos rekonstruieren, da zwar feststeht, dass zwischen den Beteiligten immer wieder telefoniert wurde, Aktenvermerke zu Telefonaten sich aber aus dem entscheidenden Zeitraum in der Akte nicht finden lassen. Mit anderen Worten: man sieht sehr viel Rauch, aber (noch?) nicht das Feuer.
Wer sich wie wir über die bemerkenswerte Punktlandung der Unteren BImSchG-Behörde nach über vierjähriger Bearbeitungszeit wundert und Akteneinsicht in Brilon beantragt (dieses Recht steht jedem Bürger zu), stößt schnell auf eine erstaunliche E-Mail, die ein hochrangiger Vertreter jenes schwer ergründlichen Geflechts von Antragstellern („Auf der Sange GmbH“, „Naturwerk“, „WPD“), Herr A, am 28.6.2021, drei Tage vor der Abstimmung im Landtag, an den zuständigen Sachbearbeiter, Herrn B, geschickt hat. Darin heißt es wortwörtlich: „Sehr geehrter Herr B, eben erreichte Sie telefonisch nicht. Im Anschluss habe ich mit Herrn C über nachfolgendes gesprochen. Das neue Abstandsgesetz NRW soll am kommenden Donnerstag im Landtag verabschiedet werden. Es ist damit absehbar, dass die sodann geänderte Gesetzeslage zu Ungunsten unseres Vorhabens in Kraft tritt. Ein diesbezüglicher Schaden wäre aber noch abwendbar, wenn Ihr Bescheid bis Mittwoch erteilt wird. Ich bin zuversichtlich, dass dies mit vereinten Kräften erreichbar ist. Natürlich können Sie sich unserer Unterstützung sicher sein, z.B. bei der zeitraubenden Erstellung des Entwurfes an, so dass Sie Ihre wertvolle Zeit auf die Prüfung verwenden können. (…) Zu guter Letzt möchte ich an die eindringliche Worte von Herrn D erinnern, der mir persönlich im Jahr 2016 sagte: ‘Herr A, wir sind eine Genehmigungsbehörde, wobei die Betonung auf Genehmigung zu legen ist.’ Diese Worte haben sich bei mir positiv eingeprägt.“ Bei uns nicht.
Das Erstellen eines Vorbescheids ist eine hoheitliche Aufgabe. Dass der Antragsteller anbietet, diese Aufgabe zu übernehmen, ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Das wäre so, als würden unsere Doktoranden uns anbieten, ihr Promotionsgutachten selbst zu schreiben, damit wir unsere wertvolle Zeit auf die Prüfung ihrer Doktorarbeiten verwenden können! Dass der Sachbearbeiter, Herr B, oder sein Vorgesetzter, Herr C, wie es sich für deutsche Beamte gehört, das unmoralische Angebot Herrn A.s zurückgewiesen hätten, ist nicht aktenkundig. Im Gegenteil findet man zwei Tage später, am 30.6., eine weitere E-Mail von A an C: „Sehr geehrter Herr C, unser Rechtsbeistand (…) sagte mir, dass Sie den Ansatz einer textlichen Vorbereitung durch den Antragsteller grundsätzlich begrüßen. (…) Wir haben nach besten Wissen und Gewissen die maßgeblichen Daten und Inhalte zusammengestellt und in den beiliegenden Entwurf gepackt.“ Der beiliegende Entwurf, vordatiert auf den 1.7., findet sich in den Akten, versehen mit dem handschriftlichen Vermerk „(Entwurf) seitens Antragsteller“.
Am selben 30.6. zaubert die BImSchG-Behörde innerhalb kürzester Zeit – offenbar dank divinatorischer Eingebung – einen eigenen Entwurf aus dem Hut. Einige Teile aus dem Entwurf des Antragstellers finden sich darin wieder. Das ist nach dem E-Mail-Verkehr vielleicht nicht mehr überraschend. Staunenswert ist vielmehr folgendes: dieser Vorbescheidsentwurf der Genehmigungsbehörde fällt positiv aus, obwohl noch längst nicht alle Stellungnahmen vorliegen. Wie kann eine unabhängig und ergebnisoffen arbeitende Genehmigungsbehörde schon am 30.6. wissen, dass am Ende ein positiver Vorbescheid ausgestellt werden kann? Und noch etwas ist auffällig: sowohl im Entwurf des Antragstellers als auch im Entwurf der BImSchG-Behörde fehlen die Stellungnahmen der Naturschutzverbände (VNV und BUND), die die Behörde selbst angefordert hatte: beide Stellungnahmen betonen mit allem Nachdruck, dass das Projekt aus Sicht des Natur- und Artenschutzes keine positive Gesamtprognose habe!
Dass noch nicht alle Stellungnahmen vorliegen, der Antrag also noch nicht entscheidungsreif sei, betont tags darauf auch der damalige Kreisrechtsrat, Herr E, in seiner Stellungnahme vom 1.7. gegenüber dem OVG Münster. Während nämlich Herr A „good cop“ mit dem HSK spielte, übernahm die „Windpark Auf der Sange GmbH“ die Rolle des „bad cop“. Über ein renommiertes Potsdamer Anwaltsbüro verklagte man den HSK am 1.7. vor dem OVG Münster, um Minuten vor Verabschiedung des Gesetzes im Eilverfahren vom Gericht den positiven Vorbescheid zu erhalten. Das OVG Münster lehnte den Eilantrag übrigens noch am selben Tag unter anderem mit dem Hinweis ab, dass man erstmal abwarten müsse, wie der Landtag entscheide: es ist derselbe 1.7., an dem das 1.000 m-Gesetz in 2. Lesung im Landtag verhandelt und schließlich angenommen wird.
Man könnte nun erwarten, dass unsere Geschichte hier zu Ende ist. Aber Herr C und Herr A hatten sich schon am 20.9.2020 über eine Strategie unterhalten, wie man mit dem damals noch im Entwurf befindlichen 1.000 m-Gesetz umgehen könne, und noch war es nicht zu spät, den im Entwurf schon existierenden positiven Vorbescheid auch wirklich auszustellen. Denn entscheidend war nicht der Tag, an dem das Gesetz beschlossen wurde, sondern der Tag, an dem es in Kraft treten würde. Ob bei der Entscheidung, den Vorbescheid trotz des Urteils des OVG Münster vom 1.7. zu erteilen, auch die Bemerkung der Potsdamer Anwälte eine Rolle spielte, dass der „Auf der Sange GmbH“ Schäden in Millionenhöhe entstehen würden, für die man notfalls gerichtlich Schadensersatz erstreiten könnte, geht aus den Akten nicht hervor. Unser Eindruck ist jedenfalls, dass die Behörde plötzlich eine hektische Betriebsamkeit entfaltet hat, um möglichst schnell die ausstehenden Stellungnahmen zu erhalten.
Insbesondere hatte die Bezirksregierung schon am 10.6. raumordnungsrechtliche Bedenken gegen das Projekt vorgebracht, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht entkräftet waren. Hintergrund ist der Landesentwicklungsplan, der Windkraft im Wald nur dann zulässt, wenn keine zumutbaren Ausweichflächen im Gemeindegebiet vorhanden sind (Ziel 7.3-1). Das muss nachgewiesen werden. Am 5.7. nimmt „Naturwerk“ zu diesen Bedenken der Bezirksregierung Stellung. Der erforderliche Nachweis fehlender Ausweichflächen hört sich dort so an: „Andere Flächen zur windenergetischen Nutzung im Gemeindegebiet stehen ihm (sc. dem Betreiber) privatrechtlich nicht zur Verfügung.“ Mit anderen Worten: „Wir können nicht ausweichen, denn wir können nicht ausweichen.“ Das Überraschende ist: diese alles andere als überzeugende Stellungnahme führt bei der Bezirksregierung über Nacht zum Einlenken! Arnsberg hält am 6.7. gegenüber dem HSK noch einmal und mit denselben Worten wie schon am 10.6. fest, dass hier der Konflikt mit Ziel 7.3-1 bestehe, kommt aber im letzten Satz ohne Begründung zu dem überraschenden Schluss: „Gegen die beantragte Errichtung und den Betrieb der fünf Windenergieanlagen bestehen keine raumordnerische Bedenken.“ Juristisch bleibt übrigens fragwürdig, ob bezüglich möglicher Ausweichflächen nicht auch noch einmal die Gemeinde Eslohe hätte angehört werden müssen, da es für Windenergie im HSK keinen gültigen Regionalplan gibt, auf den sich die Bezirksregierung berufen konnte. Fehlt deshalb vielleicht eine Begründung für das plötzliche Umschwenken?
Mit der rätselhaften und in sich widersprüchlichen Stellungnahme der Bezirksregierung war eine wichtige, aber nicht die letzte Hürde genommen. So gehen Stellungnahmen weiterer Kreisbehörden erst am 12.7., einen Tag vor Veröffentlichung des Vorbescheids, ein: die der Unteren Naturschutzbehörde und die der Unteren Bauaufsichtsbehörde (letztere sogar zweimal, in einer kürzeren und einer längeren, leicht überarbeiteten Fassung, beide Male aber mit dem fettgedruckten Hinweis, dass man zum Abstand keine Stellung nehmen könne, da das Gesetz vom 1.7. noch nicht in Kraft getreten sei). Auch die Stellungnahme des Esloher Bürgermeisters bezüglich Zuwegung, Wasseranschluss, Kanalisation und Löschwasservorhaltung, die die Gemeinde Eslohe nicht garantieren kann, geht am 12.7. (per E-Mail-Anhang?) bei der BImSchG-Behörde ein, obwohl sie postalisch erst am 22.7. in der Poststelle ankommt (beide Eingänge finden sich in der Akte). Ist es Zufall, dass drei noch ausstehende Stellungnahmen gleichzeitig am 12.7. in Brilon eintreffen oder wurde hier telefonisch orchestriert, um tags darauf den im Entwurf schon bestehenden positiven Vorbescheid endlich erteilen zu können, bevor das Gesetz am 15.7. in Kraft treten würde?
Als steuerzahlende Bürger haben wir bisher immer geglaubt, dass die Genehmigungsbehörden, die aus unseren Steuern finanziert werden, ausschließlich nach Recht und Gesetz entscheiden. Wer die Akte „Auf der Sange“ studiert, muss zu einem anderen Ergebnis kommen. Selbst Windkraftbefürworter runzeln ob solcher Zustände die Stirn. Wie man auf diese Weise unter Betroffenen Akzeptanz für derartig gravierende Eingriffe in unsere Natur- und Kulturlandschaft erreichen möchte, bleibt ein Rätsel. Wir empfehlen deshalb allen Bewohnern des Hochsauerlandkreises, die mit dem Bau von Windenergiekraftwerken in ihrer Nachbarschaft konfrontiert werden, unbedingt Akteneinsicht zu nehmen. Es würde uns nach unseren bisherigen Erfahrungen allerdings überraschen, wenn die BlmSchG-Behörde, die gegenüber den Bürgern eigentlich eine Beratungspflicht hat, Sie bei diesem Anliegen bereitwillig unterstützen würde. Zu uns war Herr C am Telefon nur so lange freundlich, wie die Möglichkeit bestand, dass wir den Bau eines neuen Windparks planten; als sich herausstellte, dass wir besorgte Anwohner sind, schlug seine Stimmung schlagartig um. Auch mussten wir zweimal nach Brilon fahren und anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, bis wir alle Akten sehen durften. Daher unser Rat: Bleiben Sie hartnäckig! Lassen Sie sich nicht nach Gutsherrenart abfertigen! Es ist Ihr Recht, diese Dokumente zu sehen. Es ist Ihre Heimat, die bedroht wird. Wenn man Ihnen Schwierigkeiten macht, wenden Sie sich am besten wie wir an den im Jahr 2021 gegründeten Naturschutzverein „Mitten im Sauerland“.[2] Dort hilft man Ihnen gerne weiter.
Die Gemeinde Eslohe hat übrigens im August 2021 Widerspruch gegen den Vorbescheid eingelegt, da ihr Rechtsbeistand der Überzeugung ist, dass die Genehmigungsbehörde es an einem bestimmten Punkt des Verfahrens versäumt habe, das gemeindliche Einvernehmen einzuholen. Dieser Widerspruch ist im Oktober vom HSK als unzulässig abgelehnt, der Vorbescheid mithin aufrechterhalten worden. Gegen diese Entscheidung hat die Gemeinde Eslohe Klage vor dem OVG Münster eingereicht, et adhuc sub iudice lis est. Das Urteil bleibt also abzuwarten, aber es ist dieser kleinen, selbstbewussten Gemeinde schon jetzt hoch anzurechnen, dass sie sich nicht alles gefallen lässt und sich seit Jahren mit allen Mitteln gegen den Bau der Windräder auf der Sange zur Wehr setzt. Dass demokratisch gewählte Gemeindevertreter entscheiden, ob fünf Türme von der anderthalbfachen Höhe des Kölner Domes errichtet werden dürfen, die das Landschaftsbild erheblich verändern und von jedem Punkt des Gemeindegebietes gut sichtbar sein werden, wird leider eine Utopie bleiben. Aber kann es richtig sein, Entscheidungen von solcher Tragweite einem undurchsichtigen Behördenapparat zu überlassen, der aufgrund fragwürdiger Gutachten mit einer gut dokumentierten Grundsympathie für den Antragsteller rechtlich bindende Bauvorbescheide erteilt? Uns würde es nicht überraschen, wenn auch andere Antragsverfahren so abliefen wie auf der Sange und sich hier ein System abzeichnete. Wie hatte Herr D 2016 zu Herrn A gesagt? „Wir sind eine Genehmigungsbehörde, wobei die Betonung auf Genehmigung zu legen ist.“ Herr D ist übrigens, wie man hört, mit mehreren Flächenbesitzern verwandt bzw. verschwägert, die von der Genehmigung von Windenergieprojekten im HSK profitieren würden – nicht (soweit wir wissen) auf der Sange, aber vielleicht auch in Ihrer Nachbarschaft?
Zu den Autoren: Thomas Riesenweber ist Professor für Latinistik an der Bergischen Universität Wuppertal, Nadine Siepe ist Assistentin am Lehrstuhl für Latinistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (z. Z. in Elternzeit). Beide wohnen mit ihren Kindern in Frielinghausen (Eslohe).
[1] Die Namen werden hier und im folgenden durch willkürlich ausgewählte Buchstaben anonymisiert. Tippfehler und Anakoluthe werden aus den Quellen übernommen.
[2] info@naturschutz-mittenimsauerland.de
Dieser Beitrag ist in leicht gekürzter Form in der ZEITSCHRIFT DES SAUERLÄNDER HEIMATBUNDES – SAUERLAND – Heft 1 – März 2022 – erschienen. WOLL druckt die Glosse mit freundlicher Genehmigung der ZEITSCHRIFT DES SAUERLÄNDER HEIMATBUNDES – SAUERLAND ab.