„Mensch, ist das toll hier!“

🖊️ Hermann-J. Hoffe  📷 Philip Stallmeister

Eva Irrgang kam aus dem Ruhrgebiet in den Kreis Soest und ist seit dem Jahr 2007 Landrätin dieses westfälischen Kreises mit mehreren Gesichtern: im Norden das Münsterland, in der Mitte die Soester Börde und im Süden das Sauerland. WOLL hat Landrätin Eva Irrgang an einem ihrer Lieblingsplätze am Möhnesee unterhalb des Torhauses getroffen und im Interview Fragen rund um die Gegenwart und Zukunft des Kreises Soest beantwortet.
WOLL: Sauerländerin oder …?
Eva Irrgang: Ich sehe mich als Südwestfälin.
WOLL: Als Landrätin für den Kreis Soest sind Sie auch zuständig für die Städte und Gemeinden im Kreis, die sich dem Sauerland zugehörig fühlen. Gibt es aus Ihrer Sicht Unterschiede zwischen Sauerländer Ortschaften und denen im Kreis Soest?
Eva Irrgang: Ja, die gibt es bestimmt. Wir haben 14 Kommunen im Kreis Soest, die alle sehr unterschiedlich sind. Eine Kommune in der Soester Börde oder in Lippetal empfindet sich natürlich anders als Möhnesee, Warstein oder Rüthen, die ja schon das „Tor zum Sauerland“ bilden. Da gibt es auch menschliche Unterschiede in den einzelnen Regionen.
WOLL: Die Region der fünf Kreise Soest, HSK, MK, OE und SI nennt sich Südwestfalen. Wie gut kennen Sie sich in dieser großen Region aus?
Eva Irrgang: Durch die gute Zusammenarbeit der Kreise komme ich sehr viel herum, auch innerhalb der einzelnen Kreise und somit auch in Dörfern, die man sonst vielleicht nicht auf dem Schirm gehabt hätte. Dort haben wir Veranstaltungen gemacht wie „Gespräche auf der Haferkiste“ oder Dorfgespräche. Auch unser Dorfwettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ ermöglicht tiefe Einblicke. Dabei sieht man dann, was für tolle Initiativen alleine in unseren Dörfern bestehen. Das ist in Südwestfalen ein Pfund. Da kann sich so manche Region eine Scheibe von abschneiden, finde ich.
WOLL: Welche Themen und Zukunftsfragen stehen in den kommenden Jahren vorrangig auf der Prioritätenliste?
Eva Irrgang: Digitalisierung wird passieren, mit uns oder ohne uns. Die Kommunen und Verwaltungen müssen beim Thema Breitbandversorgung mitgehen, weil der Bürger das erwartet: „So, macht mal, ich möchte jetzt alles elektronisch haben.“ Durch das neue Online-Zugangsgesetz liegt unser Ziel im Jahr 2022. Wir haben es bereits geschafft, viele Haushalte direkt anzubinden. Der Ausbau bis zu 5G wird allerdings noch dauern. Darüber hinaus ist das Thema Südwestfalen definitiv weiterhin aktuell. Unsere Bewerbung für die Regionale 2025 wurde angenommen, was uns sehr freut. Die neue Regionale hat Städteförderungsfacetten, aber auch viele digitale Ansätze, und da schließt sich dann der Kreis wieder.
Bildung ist immer ein zentrales Thema. Doch alles hat mit einer guten Infrastruktur zu tun. Wobei die Infrastruktur für Dörfer noch mal eine ganz andere Angelegenheit ist. Wie ist man dort verkehrstechnisch angebunden? Wir tun ganz viel dafür, dass die Landflucht gestoppt wird. Es muss interessant sein in den Dörfern, damit junge Leute bleiben oder wiederkommen. Das ist das große Ziel, das wir gemeinsam haben: attraktiv sein und attraktiv bleiben durch eine gute Verkehrsanbindung. Über das Lebensumfeld in unseren Dörfern brauchen wir nicht zu sprechen. Schöner geht nicht. Aber nur schön reicht nicht.
WOLL: Die Entfernungen zu den westfälischen Großstädten ist nicht wirklich weit, oder?
Eva Irrgang: Genau, wir haben ein sehr gutes Anbindungsnetz, was die Autobahnen angeht. Sowohl ins Ruhrgebiet als auch ins Rheinland kommen wir sehr schnell. Und wir haben Flughäfen in der unmittelbaren Nähe, das ist natürlich auch eine besondere Qualität.
WOLL: Als ehemaliges Mitglied des Bundesbeirates für Integrationsberufe können Sie vielleicht die folgende Frage beantworten: Wie klappt die Integration ausländischer Mitbürger bei uns, im Süden von Westfalen? Auch über Soest hinaus, in der ganzen Region. Ist die auf einem guten Weg?
Eva Irrgang: Ja, ich denke schon. Die Integration fängt jetzt auch erst an. Soest hat es schon damals geschafft, als die Not groß war und die Stadt selbst eine Flüchtlingsunterkunft betreiben musste. Wir haben das mit Herzblut gemacht. Jetzt geht es darum, diese Menschen zu integrieren. Das beginnt in den Häusern, mit unseren Behörden, mit unseren Integrationsämtern, wo wir die Menschen aufnehmen, betreuen und verteilen. Wichtig ist es, bereits bei den Kindern anzufangen.
Durch die Gastarbeiter mussten wir in Deutschland schon früher viele Menschen integrieren, erst die Italiener, dann die Türken. Dann hatten wir viele Polen, später die Griechen. Das ist eine bunte Gesellschaft und wir sind eine tolerante Gesellschaft. So nehme ich uns wahr. Ich persönlich möchte, dass das so bleibt. Meinem drei Monate alten Enkelkind und der gesamten Generation würde ich gerne eine so bunte und tolerante Gesellschaft übergeben. Vor zwölf Jahren habe ich gesagt: „Integration in meinem Kreis ist Chefinnen-Sache.“ Damals lag viel im Argen. Ich wollte, dass wir hier vorangehen und als einer der ersten Kreise haben wir ein kommunales Integrationszentrum gegründet. Hinterher hat sich das Land dann auch daran beteiligt. Ich habe Integration immer schon als etwas angesehen, für das wir Sorge tragen müssen. Meckern reicht nicht, man muss sich kümmern.
WOLL: Was hat der Kreis Soest, was die anderen Kreise in Südwestfalen nicht haben?
Eva Irrgang: Ich glaube, es ist unsere Vielfalt. Wenn man sich den Kreis Soest anguckt, verglichen mit dem Hochsauerland, ist die Landschaft vollkommen anders. Wir haben Berge und Wald. Wir haben unsere Seen, darunter den schönen Möhnesee, unser „Westfälisches Meer“. In der Soester Börde sieht es dann wieder ganz anders aus. Und im Lippetaler Raum sind wir schon in der Münsterländer Parklandschaft. Somit hat der Kreis Soest eine sehr heterogene Landschaft. Ähnlich sind die Menschen und die vielen Unternehmen im Kreis Soest. Wir haben eine große Palette an Weltmarktführern und Riesenunternehmen.
Aber Soest hat auch eine große Breite an Unternehmen, die noch inhabergeführt sind, sowie familiengeführte Unternehmen. Das ist unser Rückgrat. Da werden die Arbeitsplätze geschaffen und die müssen wir pflegen. Ich glaube nicht, dass es Mentalitätsunterschiede zwischen Soest und den anderen Kreisen gibt. Ich sage mal so, einen Sauerländer Sturkopf, den haben wir auch. Hartnäckigkeit und Beständigkeit nenne ich das, aber das haben wir Westfalen doch sowieso an uns, oder? Ich bin bekennende Westfälin und glaube, die Klammer Westfalen sollte uns allen wichtig sein. Ich stamme aus dem Ruhrgebiet und wohne nun seit über 30 Jahren im Kreis Soest. Das ist mein Zuhause geworden. Meine Heimat. Damals in der Schule wurde uns beigebracht: „Die Soester Börde, die Kornkammer Westfalens.“ Das stand in den Lehrbüchern und ist so als Sinnbild hängengeblieben.
WOLL: Wenn Sie mal ins Sauerland reisen, wo sind da Ihre Lieblingsplätze?
Eva Irrgang: Diese Stelle hier am Möhnesee ist wirklich einer meiner Lieblingsplätze. Hier gehe ich oft mit meinem Golden Retriever spazieren. Wenn ich mal Zeit habe, dann fahren wir gerne zum Torhaus. Ich bin auch sehr gerne oben auf dem Kahlen Asten, weil ich da erst mal den schönen Ausblick habe und die Landschaft genießen kann, die Heide, das mag ich sehr. Ich bin ein Mensch, der auch mal gerne im Wald läuft. Ich wohne direkt am Haarstrang in Wickede, aber ich brauche Weite, wenn ich unterwegs bin und den Kopf frei kriegen will. Ich gucke dann gerne in die Landschaft. Im Sommer bin ich gerne im Wald, aber lieber irgendwo ganz oben, um den Blick schweifen zu lassen. In meinem Beruf ist es ja auch wichtig, einen Überblick zu behalten. Ich liebe es wirklich, wenn wir sagen: „Mensch, wir fahren mal eben rauf, auf den Kahlen Asten, und laufen da ein Stückchen.“
WOLL: Was für Entwicklungen erhoffen Sie sich in den kommenden Jahren im Kreis Soest?
Eva Irrgang: Ich hoffe, dass alles, was wir gemeinsam angestoßen haben, feste Wurzeln bekommt. Damit wir weiterhin eine Region sind, die „wer“ ist im Reigen von Westfalen. Jeder weiß, wie wichtig es ist, Ärzte dauerhaft in den Kreis zu holen. Wir im Kreis Soest haben einen speziellen Arztlotsen, der nichts anderes tut, als sich dieser Aufgabe zu widmen. So ist es uns gelungen, sechs Ärzte in den Kreis Soest zu bekommen und zu halten. Ärztliche und pflegerische Versorgung sind die brennenden Themen, was die Ängste der Menschen angeht. Ich wünsche mir, dass wir das jetzt in Angriff nehmen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein zentrales Thema, aber auch die Positionierung als touristische Marke. Wir haben es hier schön und man kann hier wirklich noch sehr gut wohnen. Der Begriff „lebenswert“ passt sehr gut. Darüber hinaus findet sich hier ein sicherer Arbeitsplatz und eine gute Chance zur Integration für jeden Menschen, egal wo er herkommt. Wir müssen stark daran arbeiten, damit das auch in den nächsten Jahren so bleibt. Ich bin mir sicher, dass uns das gelingt, auch wenn das kein Selbstläufer ist und man viel dafür tun muss. Und wenn wir dann in dreißig Jahren noch hier sitzen und sagen können: „Mensch, ist das toll hier!“, dann ist das klasse.
Das WOLL-Magazin bedankt sich bei der Landrätin Eva Irrgang für das ehrliche und informative Interview!