Mein SAUERLAND-ABC: Otto Höffer

Otto Höffer 2013 im Veilchendienstagszug als Jubelprinz. Im Hintergrund das Südsauerlandmuseum am Attendorner Marktplatz.

Quelle: privat

(giba) Seien es die Attendorner Osterbräuche, die Sammlung filmischer Schätze über die Nachkriegszeit, die Historie der „Kattfiller“ – Otto Höffer (65) kennt sich bestens aus. Der langjährige Attendorner Stadtarchivar, Karnevalspräsident, Chorleiter und Organist kann eine Menge von spannenden, interessanten und erlebten Geschichten aus seiner Heimatstadt erzählen. Dabei blickt er auch über den Attendorner „Tellerrand“ hinaus. Höffer ist Sauerländer durch und durch und sagt: „Legst du die Hand ans Brauchtum, verbrennst du dich.“ Das „SAUERLAND ABC“ von Otto Höffer:

Quelle: privat

Attendorn, meine Heimatstadt, ist für mich die liebenswerte Kleinstadt im Sauerland, die mir alles bedeutet und für die ich alles tun würde. Es ist ein Ort zum Gernhaben, ein Ort, in dem sich viel bewegen lässt, ein Ort, der die Weltoffenheit und Kleingliedrigkeit gleichermaßen lebt und zukunftsorientiert an die nächste Generation weitergibt.

B
rauchtum im Sauerland – das ist das Band, durch das viele Facetten des Alltags zusammengehalten werden. In Attendorn speziell bedeutet Brauchtum das Zusammenspiel der unterschiedlichen Generationen, Auffassungen, Freiheiten und Zwänge. Mit dem Brauchtum im Rücken bewegst du in Attendorn alles; legst du die Hand ans Brauchtum, verbrennst du dich. So mussten vor einigen Jahren für den Veilchendienstagszug die Straßen von Eis und Schnee geräumt werden. Da der Bauhof das nicht alleine konnte, wurden die Karnevalisten alarmiert. Innerhalb von vier Stunden räumten 200 Mann unsere Stadt. 1941 verbot die NSDAP die uralte Flurprozession. Kurzerhand machten sich über 1.000 Gläubige ohne Priester auf den Weg, trotz aller Drohungen.

C
horsingen ist ein toller Ausgleich zu vielen Anspannungen im Alltag. Als Dirigent des MGV Sauerlandia Attendorn durfte ich in 25 Jahren viele unterschiedliche Menschen kennenlernen, die das gemeinsame Ziel hatten, guten Chorgesang zu präsentieren und die Gemeinschaft zu pflegen. Die WDR-Sendung „Weihnachten im Sauerland“ konnten wir mitgestalten, viele nationale und internationale Auftritte haben unvergessene Erinnerungen hinterlassen. Dabei markiert die Konzertreise nach Rom den eindrucksvollen Höhepunkt.

D
auerstress mag ich gar nicht. Er verführt zu ungenauem Nachdenken und konterkariert damit die naturgegebene Bodenständigkeit des Sauerländers.

E
ntwicklung und Weiterentwicklung haben mich mein Leben lang begleitet. Wenn es unsere heimische Industrie nicht gäbe, wären viele Dinge für die Welt nicht entwickelt worden. Wer weiß schon, dass es ein Attendorner war, der an der Entwicklung des weltbekannten BKS-Schlosses beteiligt war; oder dass die Fenstergriffe aus dem berühmten Königsschloss Neuschwanstein in Attendorn gegossen wurden? Viele heimische Firmen sind heute weltweit unterwegs, viele Sauerländer Erfindungen auf unserem Globus einsetzbar.

Familie – ohne die geht nichts! Meine Familie hat mir vor dem Hintergrund der vielen ehrenamtlichen Aufgaben immer den Rücken freigehalten. Sie steht an erster Stelle, noch weit über Attendorn. Und ich wünsche mir, dass dies noch lange so bleiben möge. Danke euch vielmals, Christa, Christoph und Sebastian!

G
eselligkeit wurde bei uns seit Generationen gehegt und gepflegt. In den 1920er Jahren erschien in Olpe ein Stadtprospekt mit dem Titel „Olpe – Stadt der 1000 Linden.“ Meinem Großvater Julius Höffer und seinem Nachbarn Leo Hoberg gefiel das gar nicht, und so fuhren sie kurzerhand nach Olpe, quartierten sich drei Nächte dort ein und zählten in Olpe die Linden. Ergebnis: 186 Linden! – Das war für die Attendorner Karnevalisten eine Steilvorlage, die in der folgenden Karnevalszeitung köstlich „ausgeschlachtet“ wurde.

Hansestadt – ein Wort, das ich bei uns immer auch mit „hanseatischem Denken“ verknüpft habe. Was müssen unsere Vorfahren gedacht haben, als vor 800 Jahren hunderte Gärten vor der Stadt „plattgemacht“ wurden, um die damals neue Stadtbefestigung bauen zu können? Was dachten die Bürger und Bürgerinnen, als 1783 innerhalb eines Tages 220 Häuser abbrannten? Was dachte man, als 1945 die Stadt wieder in Schutt und Asche lag? – Denken in Mosaiksteinchen war da und bei vielen anderen Beispielen nicht angesagt. Da war schon eine andere Hausnummer gefragt, etwa hanseatisches Denken, über den Tellerrand hinaus, weiter, umfassender …

I
dealismus ist heute ein Wort, das nicht unbedingt Konjunktur hat. Idealismus kommt von innen und ist daher in den meisten Fällen unbezahlbar. Idealisten sind diejenigen, die sich kümmern, ohne Wenn und Aber und ohne den Anspruch auf materiellen Nutzen. Die modernen Idealisten des Sauerlandes sitzen in Pflegeheimen, Hospizen und an Tafeln; Gott gebe es, dass sie uns noch lange erhalten bleiben.

J
ubiläum – da geht einem das Herz auf. Diese zu feiern ist im Sauerland immer etwas Besonderes, da trifft man sich, da werden Späße gemacht und gefeiert, da ist was los. In Attendorn stehen im kommenden Jahr 2022 allein drei große Jubiläen an: 800 Jahre Stadtrechte, 800 Jahre Schützengesellschaft und 1200 Jahre Christen in Attendorn. Schon seit mehreren Jahren werden hierzu die Vorbereitungen getroffen. Überregionales Event wird der Westfälische Hansetag in Attendorn sein.

K
arneval – ein Aushängeschild unserer Stadt. 34 Jahre lang durfte ich im Elferrat für den Karneval in „Klein-Köln“ mitarbeiten, davon sechs Jahre als Präsident. Eine unvergessene Zeit mit meinem persönlichen Jahr als Prinz. Immer wieder werde ich gefragt, warum wir Attendorner ein Dreifaches „Katt-filler!!“ statt „Alaaf“ oder „Helau“ rufen? Nun – es war im Jahre 1583, als der Kölner Erzbischof und Kurfürst Gebhard Truchseß sein gesamtes katholisches Erzbistum zum protestantischen Glauben zwingen wollte. Viele Städte folgten dem Aufruf, nicht aber das „erzkatholische” Sauerland. Deshalb zerstörte er mit seiner Streitmacht die wertvollen Kunstgegenstände in der Attendorner Kirche und floh auf die Burg Bilstein. An dieser Stelle setzt die Sage ein: Die ihm nachsetzenden Schützen schossen mit der Armbrust auf den vermeintlich schlafenden Erzbischof, doch vom Turm der Burg fiel – eine alte Katze. Daraufhin spotteten die Bilsteiner: „Schaut sie euch an, die Kattfiller!“ (Katzenmörder) – seit dieser Zeit heißen wir Attendorner „Kattfiller“.

L
eidenschaft – bei diesem Wort fällt mir unser unvergessener Pastor Johannes Klinkhammer ein. Wenn der im Sauerländer Dom auf die Kanzel stieg und eine seiner berühmten Predigten ohne jegliches Manuskript hielt, dann wurde er nicht müde, immer wieder den Satz zu interpretieren: „Meine Freiheit hört da auf, wo deine anfängt – und umgekehrt!“ Wenn doch die heutige Welt diesen Satz sich ab und zu auf der Zunge zergehen lassen würde, wie viel besser könnte das Miteinander gestaltet werden.

M
usik – meine Leidenschaft, die ich als Chorleiter leben durfte, aber auch seit mehr als 50 Jahren als Organist. In dieser Funktion durfte ich dabei mitwirken, wenn Osterabend 1000 Attendorner im Sauerländer Dom das Osterlied „Das Grab ist leer“ schmetterten oder zu Weihnachten „O du fröhliche“ so laut sangen, dass ich mit meiner Orgel nicht mehr zu hören war. Ich durfte aber auch dabei sein, wie unser alter Küster vergessen hatte, das Orgelmikrofon abzustellen. Als dann der Pastor „Ehre sei Gott in der Höhe“ sprach, antwortete er von der Orgel: „Und drei Meter fuffzig in der Tiefe…“

N
atur im Sauerland? Ein Geschenk. Wer schon einmal zum Sonnenaufgang auf dem Sendeturm der Nordhelle gestanden hat, wer schon einmal das vielstimmige Konzert der Vögel im frühlingshaften Schnellenberger Wald erleben durfte oder wer schon einmal auf dem Skywalk hoch über der Biggetalsperre das Weichen der Nacht gesehen hat, der wird schon melancholisch, wenn er an die Naturschauspiele im Sauerland denkt. Leider haben der Klimawandel und die Borkenkäferplage, zehn Jahre zuvor noch Kyrill, der Natur im Sauerland herbe Schläge versetzt. Wir sollten alle mithelfen, diese Lebensbausteine zu erhalten.

Aus Höffers Stadtarchiv: Segnung der Attendorner Ostersemmel um 1930. Der Brauch ist über 350 Jahre alt.Quelle: privat
Aus Höffers Stadtarchiv: Segnung der Attendorner Ostersemmel um 1930. Der Brauch ist über 350 Jahre alt.

Osterbrauchtum – in vielen Teilen des Sauerlandes ein fester Bestandteil im Jahreskreis, bei uns in Attendorn deutlich mehr. Das Osterbrauchtum ist das intensivste im ganzen Jahr, sechs Wochen führt es Alt und Jung, Pohlbürger und Buiterlinge, Gleichgesinnte und Andersdenkende zusammen wie nichts anderes in unserer Stadt.
Das einmalige Segnen der Ostersemmel, das Einholen, Aufrichten und Abbrennen der 30-Meter-Osterkreuze gegenüber den vier historischen Stadttoren und die uralten Osterprozessionen mit den jahrhundertealten schmiedeeisernen „Lüchten“ sind kein Event, sondern ureigenes lebendiges Mitmachen mit allen und für alle.

Plattdeutsch, leider eine Sprache, die im Alltag mehr und mehr schwindet. Respekt gebührt all denen im Sauerland, die unsere plattdeutsche Muttersprache noch pflegen und über die Zeit hinaus zu retten versuchen. Als Kind habe ich es nicht anders gekannt, dass im Osterbrauchtum Plattdeutsch gesprochen wurde. Heute wird ja, Gott sei Dank, noch am Karsamstag das plattdeutsche Poskelied auf dem Marktplatz gesungen, wenn die Osterkreuze zum Vermessen eintreffen. Auch gibt es noch die plattdeutschen Messen in Waldenburg. Aber eine plattdeutsche Predigt, wie sie der unvergessene Propst Dünnebacke 1982 im Sauerländer Dom gehalten hat, die würde wohl fast keiner mehr verstehen. Sie endete damals mit den Worten: „Siuerland – Guatt helpe!“ „Sauerland – Gott hilf!“

Q
uarantäne – ein Wort, das jetzt und wohl auch in der Zukunft mit der Corona-Pandemie verbunden wird, die uns und unser „normales“ Leben seit einem Jahr in die Schranken weist. Man kann nur hoffen, dass die Menschheit aus diesem Signal lernt, das Ganze wieder mehr in den Blick nimmt und die Überhand nehmenden Individualismen auf der Strecke bleiben werden. Der Sauerländer braucht das Miteinander wie die Luft zum Atmen, nicht aber die Quarantäne.

R
eligion gehörte im kurkölnischen Sauerland unabdingbar dazu. Der Rhythmus im Jahreskreis wurde vom kirchlichen Festkalender geprägt und gefeiert. Vieles hat sich in Luft aufgelöst, bei uns hat sich immerhin noch einiges erhalten, vor allem durch die Brauchtumsspange, die in Attendorn vieles zusammenklammert. Aber vieles gibt es nicht mehr und das ist schade. Vielleicht bietet die momentan grassierende Säkularisierung aber auch Chancen, dass sich Religion und Kirche wieder neu aufstellen können, um wichtige Botschaften des Glaubens zu vermitteln.

S
tadtarchivar durfte ich, wenn ich 2022 nach 40 Jahren ausscheide, in Attendorn leidenschaftlich ausleben. Als ich damals, als erster hauptamtlicher Stadtarchivar überhaupt, anfing, übergab man mir zwei Fotoalben mit 26 Fotos. Heute sind daraus mehr als 500.000 digitalisierte und eine Sammlung von mehr als 100.000 Originalfotos, Negativen, Dias und Filmen geworden. Besonders denke ich dabei an den seltenen Film von 1930 über das Attendorner Oster- und Schützenbrauchtum. Hinzu kommen die Akten- und Bücherbestände, die Zeitungssammlungen, die zeitgeschichtlichen Sammlungen oder die vielseitigen Deposita, als besondere Schriftstücke, die von Privatleuten für die Allgemeinheit hinterlegt wurden. Mit großer Dankbarkeit blicke ich auf mein Berufsleben zurück und hoffe, dass die seit längerem begonnene digitale Aktenüberlieferung auch noch in 100 Jahren lesbar sein wird.

T
rillertanz, ein Alleinstellungsmerkmal des Attendorner Schützenbrauchtums, entstanden aus einem Moriskentanz, der sich, von Spanien kommend, über ganz Europa ausbreitete und sich heute nur noch in Attendorn erhalten hat. Da hüpfen zu einem immer schneller werden Trommelschlag etwa 500 Schützenbrüder eingehakt über den Marktplatz, nach einer Choreographie, die aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges stammen soll. Alle fünf Jahre findet dieses Schauspiel statt, das nächste Mal außer der Reihe zum Schützen- und Stadtjubiläum 2022.

Und noch etwas zur „Schatzkiste von Attendorn“, die man sich unbedingt ansehen sollte. Dazu gehören nicht nur die weltbekannte Attendorner Tropfsteinhöhle, die Burg Schnellenberg und der Sauerländer Dom, sondern auch das kleine aber feine Südsauerlandmuseum gegenüber dem Dom, das in zahlreichen Facetten die volks- und kunstgeschichtlichen „Diamanten“ der Stadt verwahrt. Dazu gehören aber auch das sehenswerte Feuerwehrmuseum und das Zeughaus der Schützengesellschaft von 1222 im ehemaligen Bieketurm. Diese Schatzkiste könnte man auch als Brücke bezeichnen, die sich über die 800-jährige Stadtgeschichte wölbt.

V
eränderung war für mich immer ein großes Thema, wenngleich es viele bei mir berufsbedingt eigentlich nicht vermutet hätten. Ich habe irgendwann auf einem Kalenderblatt mal den Satz gelesen „Wenn der Geist der Veränderungen weht, bauen die einen Windmühlen und die anderen Mauern.“ Dieser Satz hat mich nie wieder verlassen, und so denke ich, dass wir unser traditionsreiches Sauerland am besten mit den modernsten Mitteln, die es gibt, in die Zukunft begleiten, dabei aber das Althergebrachte nicht vergessen und durchaus auch mal neu interpretieren dürfen.

W
aldenburg, die vertraute Marienwallfahrtsstätte – an der Biggetalsperre – seit mehr als 300 Jahren. Die Kapelle wurde vielleicht an Stelle der zerstörten Burgkapelle Waldenburg errichtet, jedenfalls ist sie eine Stiftung des Burgeigentümers Ferdinand Freiherr von Fürstenberg. Waldenburg hat eine reiche Geschichte und ist auch heute ein religiöser Mittelpunkt im Sauerland. Bekannt ist die Marienkapelle aber auch durch ihre wunderbare Krippe mit dem Nachbau wichtiger und bekannter Gebäude aus der Umgebung, die jährlich von ungezählten Besucherströmen aufgesucht wird.

X
-mal gesagt – ein „geflügeltes Wort“, das mich seit der Kindheit begleitet. Es war unser Großvater, der x-mal gesagt hatte, wir sollten an den Bäumen keine Rinde abknibbeln; er war es auch, der x-mal gesagt hatte, dass auf einen Kringel Fleischwurst Mostert gehöre und keine Schlagsahne. Und von ihm weiß ich auch, dass er uns Jugendlichen beim Aufstellen des Osterkreuzes mal erklärte, dass x-mal auf Platt „ase luter“ heißen würde; heute würde man wohl druckreif sagen: „wie immer…“.

Y
ouTube – ein Medium, mit dem unsere kleine Lebenswelt schon seit längerem in der großen Welt verbreitet wird. Wie schön sind doch die keinen Filmchen, die Facetten des Sauerlandes zeigen und damit unsere große Liebe auch an andere weitergeben, die es denn möchten.

Z
eitgeschichte – wir selbst, unser Lebensraum, unser Dorf, unsere Stadt, unsere Freude, unsere Vereine, unser Brauchtum, unsere Kirche, unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Zeitgeschichte eben, von unseren Vorfahren, von uns für unsere Zukunft gestaltet, zum Fortbestand unseres geliebten Sauerlandes, unserer Heimat.