Mehr Bio geht nicht

Zwischen Öko-Essen und alter Tradition

Um fünf Uhr morgens am Westhang des Kahlen Astens: Karl-Anton Schütte holt die Waffe aus dem Kofferraum seines Geländewagens: „Ein Ricke oder ein Bock – kurz bevor die Sonne in einer Stunde aufgeht, kommen sie aus der Dickung und äsen gleich unter dem Ansitz. Mal sehen, was wir heute bekommen.“ Die Morgenstimmung überwältigt die Sinne. Das feuchte Moos duftet würzig, die durchbrochenen Wolken verändern ihre Farbe von Blauschwarz in Violett, der Wind streichelt das Gesicht mal sanft, mal kühl und aus dem Unterholz auf der anderen Seite der Lichtung kommen Geräusche: ein Knacken und etwas wie ein Bellen. „Ein Rehbock“, sagt Karl-Anton Schütte. Als die Sonne durch die Wolken schaut, liegt ein Tier in der Plastikwanne im Kofferraum.

Die Jagd hat in der Hoteliersfamilie aus Oberkirchen eine lange Tradition: „Für meinen Vater waren die Trophäen sehr wichtig. Das sieht man an den vielen Geweihen in unserem Gasthof. Heute hat sich die Jagd für uns verändert. Wir schießen, um das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten und um Gerichte von besonderer Qualität auf die Teller im Gasthof zu bekommen.“ Er spricht von einem Wandel in der Jagdkultur des Sauerlandes. Ein großer Teil der Sauerländer Wälder sind in Privatbesitz. Grundsätzlich ist die Verpachtung der Jagd eine interessante, zusätzliche Einnahmequelle für den Waldbesitzer. Deshalb wurde das Jagdrecht lange Zeit an zahlungskräftige Trophäenjäger aus den Ballungszentren verpachtet. Das ist heute zunehmend anders. „In Oberkirchen haben die Waldbauern die Jagd an die örtlichen Jungjäger verpachtet. Die jagen viel häufiger als auswärtige Pächter. Dadurch haben sie die Wildbestände besser unter Kontrolle und vor allem geht es ihnen in erster Linie um das gute Wildbret“, erzählt Karl-Anton Schütte.

Unterhalb des Kahlen Astens, auf dem Sattel des Hohen Knochens, liegt die Jagdhütte der Familie, umgeben von eigenem Wald, der groß genug ist, um selbst das Jagdrecht auszuüben. Dorthin geht die Fahrt. Vor der Hütte treffen wir Philipp Dückers, den Küchenchef im Gasthof Schütte. Er hat gerade in den alten Fichtenwäldern im Schwarzen Siepen unterhalb der Hütte frische Pfifferlinge gesammelt. Das passt. Auch wenn sich das Gesicht der Jagd verändert hat, gibt es Traditionen, die bleiben, erfahre ich vom erfolgreichen Jäger: „Das Fleisch muss eine Weile abhängen und reifen, bevor es bei uns in die Pfanne kommt, aber die Leber gehört dem Erleger. Die isst man am besten sofort.“ Bei diesen Worten schürt er das offene Feuer vor der Hütte. Etwas Rosenkohl und Spätzle sind noch vom Abend vorher übrig geblieben. Also gibt es frische Wildleber mit ebenso frischen Pfifferlingen, Rosenkohl und Spätzle – direkt auf dem offenen Feuer unter freiem Himmel zubereitet. Klingt lecker, aber zum Frühstück? Auch das ist kein Problem, denn inzwischen ist es neun Uhr und wir sind schon so viele Stunden unterwegs, dass es sich wie ein Mittagessen anfühlt.

Karl-Anton Schütte probiert die Leber gleich aus der Pfanne. Sein Urteil: „Perfekt!“ Und Philipp Dückers ergänzt: „Noch ökologischer und artgerechter kann Fleisch nicht produziert werden. Ich wundere mich immer über Menschen, die Jäger verurteilen und in den sozialen Medien verunglimpfen, aber gleich danach in den Supermarkt gehen und sich Grillwürste aus der Tiefkühltruhe holen. Je billiger Fleisch angeboten wird, desto unwürdiger sind oft die Bedingungen, unter denen die Tiere gelebt haben und gestorben sind. Fleisch wird nicht in Plastikhüllen geboren. Da steht immer ein Leben dahinter und letztlich können wir als Verbraucher entscheiden, wie dieses Leben aussieht.“

Rosenkohl, Spätzle und Leber

Alte Rezepte und Zutaten aus der Natur, das ist eine typisch Sauerländer Antwort auf den Trend zu möglichst ökologisch produzierten Lebensmitteln. Und das gilt nicht nur für den Gasthof Schütte, sondern für viele große und kleine Betriebe im Sauerland. Auf der Rückfahrt durch Oberkirchen fällt ein Schild vor dem Gasthof Vogtei ins Auge: „Fleisch aus eigener Jagd – mehr Bio geht nicht!“