Als 1957 mit dem Bau der Biggetalsperre begonnen wurde, gab es für viele Bauleute und Handwerker schnell eine Menge zu tun. Auch Schmiedemeister Matthias Heuel aus Listerscheid erinnert sich an eine Zeit, in der er mit seinem Bruder Meinolf, seines Zeichens Kfz-Meister, einen Betrieb am Bahnhof von Listernohl eröffnete, heute längst in den Fluten des Sees versunken. „Dreieinhalb mal sieben Meter, eine Holzbaracke, weil feste Bauten durch den gesetzlichen Baustopp im gesamten Sperrenbereich verboten waren.“ Der 79-Jährige lacht: „Das Werkzeug war drinnen, die Esse auch, und das war´s auch schon mit dem Platz. Klar, gearbeitet wurde draußen, vor dem Tor, auf dem Kopfsteinpflaster, wo denn sonst?“ Bald schon herrschte Vollbeschäftigung, denn es geht jede Menge Schwermetall zu Bruch, wenn man 6,5 Millionen Tonnen Erdreich bewegen will.
„Das größte Ding war ein Dampfbagger, der mit ein, zwei Schaufeln einen ganzen Lkw beladen konnte.“ Dazu kamen ganze Flotten von ausrangierten Kippern, die ohne Zulassung innerhalb der Baustelle im Zeitraffer zuschanden geritten wurden. Auch gab es im Umfeld des Sperrenbaus sehr viele Kleinunternehmer, die sich einen Lkw oder auch eine Raupe kauften und vom großen Kuchen ein Stück abhaben wollten. Viele haben sich dabei verrechnet und gingen pleite. Andere begründeten Unternehmen, die bis heute erfolgreich am Markt sind.
Matthias Heuel erinnert sich gern an manche schöne Geschichte aus dieser Aufbruchszeit im Wirtschaftswunder. „Einen Lehrling hatten wir eingestellt, der sich von seinem hart ersparten Geld ein neues Rennrad gekauft hatte, das er täglich sicher hinter der Schmiede verstaute. Eines Tages kam ein Kontrolleur der Berufsgenossenschaft, der unseren jungen Betrieb inspizieren wollte. Wie gesagt, unsere Bretterbude durfte nicht massiv sein, weil im Biggetal keine festen Bauten mehr gestattet waren. Und wenn man einmal zur Toilette musste, dann lief man eben das Stück hinüber bis zum Bahnhof von Listernohl.“ Der Kontrolleur machte ein wichtiges Gesicht, als er bedeutungsschwer nach eben jener Toilette fragte, die für den ordnungsgemäßen Betrieb einer gesetzlich gestatteten Schmiede wohl zum Pflichtprogramm gehörte. Meister Heuel: „Dort hinten, am Bahnhof sei sie, das sagte ich ihm.“ Diese Antwort war nicht eben zufriedenstellend, wie man sich denken kann. Der Kontrolleur entgegnete, wie man denn verfahre, wenn es mal wirklich dringend sei? Der junge Schmiedemeister blieb cool: „Für diesen besonderen Fall haben wir extra ein nagelneues Rennrad angeschafft, und das sogar mit Kettenschaltung, falls es richtig pressiert!“ Das wollte der Beamte nicht glauben, bis Meister Heuel den Lehrling losschickte und dieser sogleich besagtes neues Rennrad voller Stolz präsentierte. Die Genehmigung erfolgte postwendend: „Für dringenden Besuch der sanitären Anlagen am abseitigen Bahnhof steht ein Rennrad mit Kettenschaltung zur Verfügung.“ Darüber lacht man in Listerscheid ein reichlich halbes Jahrhundert später noch immer.
Bundesweit bekannt wurde Matthias Heuel 1981 als „Schmied von Attendorn“ durch „Wetten, dass ..?“ mit Frank Elstner im ZDF. Damals schlug er nur mit dem Hammer ein kaltes Stabeisen glühend. Die Szene, in der sich „Mister Pumpernickel“ Chris Howland daran eine Zigarette entzündet, findet sich bis heute im Familienalbum.
Dabei war das nur eines der zahlreichen Kabinettstückchen, für die der findige Schmied bekannt war und ist. „Besonders häufig musste ich keine Bierkästen kaufen, die habe ich lieber gewonnen“, wie er sich heute mit einem Augenzwinkern am Küchentisch erinnert. So konnte er mit der bloßen Faust eine Nähnadel durch ein Zweimarkstück schlagen. „Du musst die Nadel nur bündig durch einen Stapel Bierdeckel spießen, dass sie ordentlich geführt ist. Da legst Du ein Geldstück drunter und eines drauf. So kannst Du die harte Stahlnadel locker durch die viel weichere Kupfer-Nickel-Legierung treiben.“ Patsch. Macht einen Kasten Krombacher, Danke schön.
Bei diesen Geschichten erinnert er sich auch an seinen Vater Emil, der gern mal zum Listernohler Schützenfest ins Festzelt kam und im Vorbeigehen mit der bloßen Hand einen Nagel in den Balken schlug, um seinen Mantel daran aufzuhängen: Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.
Text / Foto: Achim Gandras
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