Mit den Ohren sehen und kopfüber schlafen – das kann nur eine Microchiroptera
Martha hängt ab. Sie sitzt sehr gemütlich in einer Zimmerecke und verschläft den Tag. Dass sie in manchen Kulturkreisen als Symbol für Glück, Reichtum und Gesundheit steht, interessiert Martha ebenso wenig wie ihr negatives Image als blutsaugender Vampir. Martha ist weder Teufelswerk noch Schornsteinfeger. Sondern eine Microchiroptera – eine Fledermaus.
Auf das Braune Langohr Martha und ihre Artgenossen kam Sabine Kaufmann 2008. Die Altenpflegerin aus Arnsberg-Wennigloh nahm ein hilfloses Jungtier mit nach Hause, „dabei hatte ich keine Ahnung, was ich tun musste“. Ihre älteren Kunden erzählten, wie Fledermäuse früher als einschüchternde Erziehungsmaßnahme benutzt wurden. Der ahrhunderte alte Aberglaube machte das kleine Säugetier zu einem Gefährten des Teufels, bestenfalls sollten sie sich nur in den Haaren unartiger Kinder verfangen. Mit dem heutigen, modernen Verständnis für Umwelt und Natur wurde auch die Fledermaus glücklicherweise entmystifiziert. Was bleibt sind 3,4 Gramm winziges Tierleben auf Sabine Kaufmanns Briefwaage und die Aufgabe, die vom Aussterben bedrohte Tierart zu retten.
Appetit für Große
Fledermäuse sind beachtliche Esser. Würden wir eine in der Wohnung halten, gäbe es keine Mücken- oder Mottenprobleme mehr. Bis zu 1200 Insekten verspeist eine Fledermaus in einer Nacht – das entspricht in etwa der Hälfte ihres eigenen Körpergewichts. Bietet man ihnen ein Quartier am Haus durch Fledermauskästen an, dezimiert sich so auf natürliche Weise die Mücken-Population im Garten.
Da die akrobatischen Flieger ihrem Geburtsort treu bleiben, können sie über die Sommermonate zu Dauergästen mit großem Appetit werden. Aber ihr Appetit hat einen Grund: Im Winter geht die Fledermaus in den Winterschlaf, den sie geschützt in Höhlen und hohlen Baumstämmen verbringt. Um diese lange Zeit von bis zu sechs Monaten ohne Nahrung überstehen zu können, hat sie im Sommer und Herbst durch ihren Mücken-Konsum 20 bis 30 Prozent an Gewicht zugelegt.
Kein Corona
Weltweit gibt es rund 800 Fledermausarten, in Deutschland 25, im Sauerland 18. Zwei Studien haben gezeigt, dass die Covid-19-Pandemie mit dem dafür speziellen Corona-Erreger an den Fledermausarten Mitteleuropas spurlos vorüber gegangen ist. Somit stellen auch unsere ansässigen Arten keine Gefahr dar. Den Fledermauskot kann man bedenkenlos zusammenfegen und als Blumendünger verwenden. Es besteht kein Grund, die kleinen Flieger erneut zu verteufeln. Im Gegenteil.
Rote Liste für alle
Seit 50 Millionen Jahren gibt es Fledermäuse in Deutschland. Doch die letzten 50 Jahre reichten, um sie beinahe auszurotten. Von den in NRW vorkommenden Arten stehen bis auf die Zwergfledermaus alle auf der Roten Liste der gefährdeten Tierarten. Die Fledermaus hat selbstredend natürliche Feinde wie Marder, Eulen und Katzen. Aber es ist der Mensch, der ihren natürlichen Lebensraums zerstört und eine existenzielle Gefahr für sie darstellt. Denn auch die Fledermaus bekommt die Klimaerwärmung zu spüren, Pestizide in der Landwirtschaft verringern ihr Nahrungsangebot. Ihre Verstecke in den Sommermonaten sind Spalten und Lücken an Gebäuden. Fledermäuse schätzen Dachböden, doch die hermetische Abdichtung moderner Dachsanierungen beraubt sie dieser Unterschlupfe. All das sind Gründe, warum die Zahl geschwächter Fundtiere wächst, die bei Sabine Kaufmann auf der „Pflegestation“ landen. Dort werden sie mit Drohnen-Brut – geliefert von befreundeten Imkern – mit Antibiotika, aber auch mit Biolaser- und Magnetfeldtherapie behandelt und aufgepäppelt. „Auch homöopathische Mittel wirken gut“, erklärt Sabine Kaufmann.
Fledermaus-Geburtstagsfeiern? Na klar!
Was wirklich hilft, ist Aufklärung. Nur wer weiß, wie Natur funktioniert, kann entsprechend umsichtig und respektvoll handeln. Nicht nur die Fledermaus hat das verdient. Um das zu bewirken, besucht Sabine Kaufmann als „Fledermaus-Beauftragte“ Grundschulen in der Umgebung. Sie wird häufig im Rahmen von Projektwochen angefragt und kommt mit Fledermauskästen, Videos und ihren entspanntesten Fledermäusen in den Klassen vorbei. Sabine Kaufmanns interessantester Auftritt fand jedoch auf einem Kindergeburtstag statt. „Der war ganz toll komplett im Fledermausthema aufgezogen“, schmunzelt die Expertin. Generell seien Kinder oft viel zugänglicher und hätten weniger Vorbehalte. Heute, zwölf Jahre nach ihrer ersten Fledermaus, bildet Sabine Kaufmann zusammen mit Rainer Mengelers die „Arbeitsgemeinschaft Fledermausschutz Sauerland e.V.“, mit Unterstützung durch NABU und BUND Arnsberg. In ihrer ehrenamtlichen Pflegestelle betreut die Tierschützerin geschwächte und verletzte Fledermäuse mit der Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde. „Bei Fundtieren darf man aber nicht lange zögern“, so Sabine Kaufmann. Und bittet „Schnell anrufen, damit auch schnell gehandelt werden kann.“