„Man muss erst einmal ein bisschen wandern, bis man sich frei bewegen kann“

Quelle: Andreas Müller

1956 wurde Andreas Müller in Dülmen im Münsterland geboren. Unter diesem Namen arbeitet er schon viele Jahrzehnte als Archäologischer Zeichner in seiner neuen Heimat, dem Sauerland. Unter dem Pseudonym Ander erschafft er hingegen Kunst in seinem kleinen Atelier in Olpe – inzwischen vor allem Cartoons.

Andreas Müllers Leidenschaft für das Zeichnen und die Kunst begann schon früh. „Meine Schulhefte waren immer vollgekritzelt. Da wurden die Hausarbeiten eher illustriert als geschrieben“, erinnert er sich. Manche Lehrer waren weniger begeistert: Aufgabe verfehlt. „Aber ich hatte einen sehr toleranten Klassenlehrer und auch die ein oder andere Lehrkraft mehr wusste meine Affinität zum Zeichnen zu schätzen.“ Wenn die anderen in der Pause waren und auf dem Schulhof spielten, wurde er gefragt, ob er für den Erdkundeunterricht mit Kreide eine Landkarte an die Tafel malen könne – für ihn eine Herausforderung, keine Strafe. „Wahrscheinlich habe ich das Interesse für die Kunst von meinen Eltern vorgelebt bekommen. Beide waren musisch interessiert und mein Vater konnte aus einem Strich ganze Landschaften entstehen lassen.“

Archäologische Funde unter der Lupe

Nach seinem Studium der visuellen Kommunikation und des Produktdesigns an der FH Münster verschlug es ihn ins Sauerland, genauer nach Olpe.38 Jahre ist das nun schon her und Olpe ist schon lange seine zweite Heimat geworden. Er trat eine Stelle als Archäologischer Zeichner bei der LWL– Archäologie für Westfalen an. Dort zeichnet er noch immer archäologische Funde – auch aus dem Sauerland. „Die Archäologie braucht zum Publizieren Bildmaterial. Natürlich könnte man diese auch fotografieren – was natürlich auch geschieht –, aber oftmals sind die Strukturen und Facetten auf den Oberflächen so fein, dass man sie mit der Kamera nicht richtig fassen kann.“ Vor allem Funde aus der Steinzeit müssen erst einmal ganz genau mit der Kopfbandlupe betrachtet werden, damit Andreas Müller sehen kann, was sich dort auf der Oberfläche abspielt. „Steinartefakte beispielsweise zeichne ich in einer Konvention, die die Archäologie für die grafische Darstellung diverser Strukturen und Charakteristika von Oberflächen erarbeitet hat. Der archäologische Zeichner muss zum Beispiel grafisch unterscheiden, ob Artefakte vor langer Zeit gebrochen sind, oder ob es sich um Bruchstellen handelt und verdeutlichen, wie die Steine bearbeitet wurden.“ Wird ein Stein gegen einen anderen geschlagen, entstehen an der Abschlagstelle und am Artefakt selbst charakteristische Schlagwellen, ähnlich der Wellen, die auf einer Wasseroberfläche sichtbar werden, wenn man etwas hineinwirft. Anhand der Form und Beschaffenheit kann die Funktion erkannt werden und bestimmt das Werkzeug als Bohrer, Schaber, Stichel, Klinge oder etwas anderes. In Absprache mit dem Archäologen zeichnet Andreas Müller jede Kleinigkeit, die er beobachtet, auf, damit die Artefakte auch für den Laien erkennbar werden.Dass er schon so lange in diesem Beruf und bei diesem Arbeitgeber ist, liegt vor allem daran, dass er sich eben nichts Besseres vorstellen kann, als mit dem Zeichnen sein Geld zu verdienen. Und „außerdem bleibt mir so genügend Zeit für die Kunst.“

Quelle: Andreas Müller

„Man muss das machen, weil man nicht anders kann“

1989 war Müller Gründungsmitglied vom Künstlerbund Südsauerland, 1991 trat er dem Bundesverband Bildender Künstler bei, seitdem stellt er seine Kunst aus: „Es sind nun über drei Jahrzehnte, in denen ich mich intensiv mit der Kunst befasse.“ In Deutschland, Polen, Frankreich, Kroatien und Serbien und sogar Brasilien konnten seine Werke schon betrachtet werden. Vor allem die Arbeit mit anderen Künstlern gibt ihm neue Impulse. „Ich war immer froh
über diesen netten Künstlerkollegenkreis hier. Viele Künstler sind geschlagen mit einer Assoziationsfähigkeit, die Fluch und Segen zugleich ist: Wenn man kreativ denkt, ist das ein gewisser Automatismus. Es gibt, wie etwa beim Aphorismus, wo es den Satz und den Gegensatz gibt, Kontraste – geistige und optische. Diese verknüpfen automatisch einen Denkprozess, der irgendetwas in Gang setzt. Eine Bildidee entsteht.“

Man macht das, weil man nicht anders kann, sagt Andreas Müller. „Skurrilität und Paradoxie sind im Grunde die Treibstoffe für diesen Ideenkasten, der sich Gehirn nennt. Da kommt immer etwas Neues bei raus.“ Und bei ihm sind das inzwischen vor allem satirische Arbeiten. „Das Satirische in Grafik und
Malerei hat mich schon immer besonders interessiert. Mir ist irgendwann klar geworden, dass es mir Spaß macht, solche Inhalte zu vermitteln. Dafür brauchte ich eine Darstellungsweise,die von der Abstraktion wegkommt,hin zum Bild, das für jeden erschließbar ist.“ Schon als Kind mochte er besonders die dicke Wilhelm Busch-Ausgabe mit den Geschichten, die nicht immer gut ausgehen, die Seltsamkeit darin, die Verse – all das in Kombination mit dem Bild. Wenn er Jahre später beim Frühstück die Westfälischen Nachrichten aufschlug, suchte er zuerst die Karikaturen. Er war fasziniert davon, dass es mit wenigen Strichen, aber in guter Darstellung gelang, das aktuelle Zeitgeschehen aufs Papier zu bringen. Er schnitt jede der Karikaturen aus, legte sich ein kleines Archiv an und fing an, auch eigene Bildideen zu finden. „Man muss jedoch erst einmal ein wenig wandern, bis man an dem Punkt angelangt ist, an dem man weiß, dass man sein zeichnerisches Talent so ausgebildet hat, dass man sich nun frei bewegen kann.“ Vor zwei Jahren hat Andreas Müller angefangen, sich vor allem mit Cartoons zu beschäftigen. Inzwischen sind es etwa 70 und alle paar Wochen entsteht ein neuer. „Zwei oder drei Tage brauche ich für einen Cartoon. Das geht natürlich auch schneller, aber ich versuche, jedem Bild das gewisse Etwas zu verleihen und möchte nicht nur an der Oberfläche kratzen.“

Kritische Grafik ist keine Gefälligkeitsarbeit

Anfangs zeichnete er die Bilder noch mit der Hand. Aber: „Handarbeit ist wunderbar, aber erfordert enorm viel Zeit und mit einem Computer und einem Grafiktablet lässt sich das alles etwas schneller umsetzen.“ Früher skizzierte er seine Ideen zunächst in einer Tuschezeichnung auf Entwurfspapier. Das tat er so oft, bis sie ihm so gefiel, dass er sie als Reinzeichnung auf Büttenkarton zeichnen konnte, die dann wiederum mit Aquarellfarbe koloriert wurde. Heute sieht das etwas anders aus. „Wenn ich mir Gedanken darüber mache, was zu illustrieren ist, mache ich eine kurze Skizze. Die Ideen kommen meistens beiläufig, manchmal sogar im Schlaf. Ich bemerke irgendetwas, eine Begebenheit, eine Nachricht im Fernsehen, die mich aufhorchen lässt, habe eine Assoziation dazu und eine Gedankenkette entsteht. Ich mache mir eine Notiz, die dann manchmal auch noch eine ganze Weile liegt, bevor ich den Impuls habe, daraus etwas zu machen. Wenn ich dann anfange zu zeichnen, entwickelt sich aus der Idee meistens eine weitere. Es ist wie ein Baum, der Seitentriebe bekommt.“ Wenn das Konzept für einen Cartoon steht, schaut Andreas Müller in sein Bildarchiv: Dort hat er über Jahre Bilder von Landschaften, Industrieanlagen, Figuren und allem, was sonst noch nützlich sein könnte, gesammelt. „Ich nehme mir alles, was ich brauche und gestalte daraus eine Collage. Die kann aus Fotos, aus Zeichnungen oder sogar aus Ölgemälden bestehen. Da die Elemente zumeist nicht zusammenpassen, müssen sie harmonisiert werden. „Picasso hat eine Zeit lang Fotografien übermalt. So in etwa mache ich das mit dem Grafiktablet.“

Das Schwerpunktthema in seinen Cartoons ist das Spannungsgebiet zwischen Ökologie und Ökonomie, die Protagonisten sind häufig – wie in der Fabel – Tiere. „Man muss immer mit Bedacht an die Sache herangehen, damit man nicht missdeutet wird. Aber kritische Grafik soll keine Gefälligkeitsarbeit sein,
soll nicht behudeln oder beschönigen. Satire lebt von der Übertreibung. Es ist immer ein gewisses Risiko dabei, sich ins Fettnäpfchen zu setzen.“ Und das passiert recht schnell. „Wilhelm Busch sagte einmal: Wer kann schon Bilder ohne Text so lesen, wie es wünschenswert wäre“, zitiert Andreas Müller. In der sogenannten komischen Kunst gibt es daher sehr unterschiedliche Dinge, die verschieden schwer oder leicht zu deuten sind – von bildhauerischen Werken über die Bildsatire bis hin zum Comic mit Sprechblasen. Dem Cartoon muss es gelingen, in nur einem einzigen Bild eine komische Szene mit Witz, Spür- oder Scharfsinn zu erzählen. „Wenn man einen Weg entlangläuft und plötzlich ist da eine Schranke, kann die Satire diese Schranke heben und einen unverstellten Blick auf die Dinge ermöglichen. Ich glaube, dass es am Ende darum geht. Wenn auch die politische Karikatur mit Tagesaktualität nicht mehr Schwerpunkt ist, versuche ich dessen ungeachtet, über den Tag hinaus der Satire nachhaltige Wirkung zu verschaffen und bemühe mich, Umdenkprozesse zu befördern, die weiterhin einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft erlauben.“ Bisher zeichnet Andreas Müller die Cartoons nur für sich. Doch in weniger als zwei Jahren wird er in Rente gehen: „Dann habe ich sehr viel Zeit und möchte mich noch intensiver mit meinen Cartoons beschäftigen -mal schauen, was dann passiert.“