Leben zwischen Rettungswagen und Runkelrüben

Nach dem Dienst schaltet die Marsberger Notärztin Dr. Anna Bödefeld-Hötger auf ihrem Bauernhof komplett ab

Wer Kinder hat mit aufgeschlagenen Knien, kennt sie. Wer sich beim Sport den Fuß verknackst, kennt sie. Wer am Wochenende plötzlich Herzstiche hat, kennt sie. Und wer den Rettungswagen alarmieren musste, hat sie vermutlich auch kennengelernt. Die Chirurgin Dr. Anna „Anne“ Bödefeld ist die „Ärztliche Leiterin der Zentralen Notaufnahme“ am Marsberger St- Marienhospital. Viele sagen auch einfach: Sie ist das Herz der Ambulanz. Seit 36 Jahren gehört sie zum Stamm des Marsberger Hospitals, nur unterbrochen von ihrer Ausbildungszeit zum Facharzt der Chirurgie. Die hat sie in Münster absolviert. „Ich bin halt bodenständig durch und durch!“ sagt die gebürtige Marsbergerin voller Überzeugung. Das liegt auch daran, dass sie „vom Hof kommt“, wie man im Sauerland sagt. Und bis heute findet Frau Doktor in der Landwirtschaft Abstand und Ausgleich von ihrem stressigen Beruf.

Als sie 1978 ihren späteren Mann Willi Hötger kennenlernt, geben die meisten ihrer Freunde und auch in der Familie den beiden nur wenig Zukunft. Denn Willi ist junger Landwirt mit eigenem Hof, und Anne ist gerade auf dem Sprung zum Medizinstudium nach Düsseldorf. „Da lernste ruck-zuck ´nen feschen Arzt kennen – so die Prognosen. Aber gegen Willi kam keiner an. 1986 wurde geheiratet, „…und ich habe es nie bereut!“

Mit der Heirat war auch klar: Die beiden werden weiterhin im Sauerland leben. „Dabei habe ich mich zweimal gegen eine vermutlich steile Karriere entschieden,“ sagt Anne Bödefeld ohne Groll, „Einmal hatte ich das Angebot, mit meinem Professor zusammen die Herzchirurgie in Bad Oeynhausen mit aufzubauen. Und ich habe nach dem Studium eine feste Stelle an der Uniklinik in Münster angeboten bekommen. Aber ich wollte aus dem Sauerland nicht weg“.

Von Kindesbeinen mit der Landwirtschaft verbunden

Es war aber nicht nur der buchstäbliche Stallgeruch, der sie letztlich auf dem elterlichen Hof in Marsberg-Beringhausen hielt. Sondern es war auch die schwere Erkrankung ihres Vaters, dem es immer schwerer fiel, sich um Haus und Hof zu kümmern. „Als er zum ersten Mal plötzlich ins Krankenhaus musste, fiel bei mir auch die Entscheidung, Ärztin zu werden. Denn es stand Spitz auf Knopf, aber mein Vater hatte schon lange den Pastor gesehen, ehe mal ein Arzt vorbeikam. Das konnte nicht sein!“ Bereits während des Studiums und auch als fertige Ärztin half Anne dann regelmäßig auf dem Hof mit. In der Erntezeit kam es nicht selten vor, dass sie sogar in der Mittagspause vom Krankenhaus direkt zum Acker fuhr. „Vieh treiben, Strohfuder packen, Runkeln hacken – ich hab gemacht, was auf dem Hof gerade so anfiel. Das erdet ungemein.“

Alltag in der Klinik ist eine Wundertüte

Nach dem Tod des Vaters übernahm Annes Bruder Meinolf den Hof, aber auch er wurde krank und starb früh. Nun kümmerte sich Ehemann Willi um den Hof in Beringhausen, parallel zu seinem eigenen in Bad Wünnenberg. Mittlerweile hat Annes Neffe Johannes die Hofstelle übernommen. „Das Leben auf dem Hof begleitet mich aber immer noch,“ sagt Anne Bödefeld, „und es prägt meine Arbeit in der Klinik nach wie vor!“ Denn Medizin und Landwirtschaft haben für sie viel gemeinsam: Wenig ist zu kalkulieren, oft müssen Entscheidungen kurzfristig gefällt werden. Auf dem Hof sind es zum Beispiel die Unwägbarkeiten des Wetters, im Krankenhaus können plötzlich Komplikationen auftreten. Anne Bödefeld ist das bewusst: „Wenn ich morgens zur Klinik fahre, ist der Arbeitstag eine Wundertüte. Ich weiß nie, was mich erwartet. Beim Landwirt ist das ähnlich!“

Die Nähe zu den Menschen auf dem Land hilft auch bisweilen bei der ersten Diagnose. „Ich kenne sehr viele hier, und sehr viele kennen mich. Wenn zum Beispiel ein Bauer mitten in der Erntezeit zur Behandlung ins Krankenhaus kommt, dann weiß ich: „Dem muss es wirklich schlecht gehen, sonst wäre er auf dem Acker. Da gehen bei mir sämtliche Alarmleuchten an!“

Königin der Ambulanz

Persönliche Schicksalsschläge und die tägliche Nähe von Leid und Tod haben die Notärztin demütig gemacht. Und gelehrt, das Leben zu feiern. Höhepunkt bisher war ihr Jahr als Beringhäuser Schützenkönigin 2006/2007. „Das war ´ne tolle Zeit,“ erzählt sie noch heute begeistert, „Die Leute haben sich mit mir gefreut. Auch die, von denen ich wusste, dass sie eigentlich krankgeschrieben sind. Die haben sich dann eher in die zweite Reihe gedrängelt.“ Anne Bödefeld hat dann aber dicht gehalten, denn „beim Schützenfest, da wird gefeiert, da vergesse ich alles, was den Job angeht“. Allerdings wurde sie in diesem besonderen Jahr des Öfteren von den Patienten mit „Ihre Majestät“ angesprochen…

Familie und Glaube geben ihr Kraft

Die Marsberger kennen sie und wissen, woher sie kommt. Das Bodenständige, die Augenhöhe, das Wissen um ihre persönlichen Schicksalsschläge helfen oft auch bei schwierigen Gesprächen mit Patienten. Sie selbst baut auf ihren Glauben. „Gott bewahrt nicht vor allem Leid, er hilft aber bei allem Leid“ – aus diesem Satz des Hl. Augustinus hat sie nicht nur selbst Kraft geschöpft, sondern auch so manchen Patienten gestützt. „In machtlosen Situationen sage ich mir: Das hat der Herrgott so gewollt“. Das hilft. Und das Familienleben mit Ehemann Willi und den beiden Töchtern. Anna-Sophie ist Försterin geworden, und Agnes Ärztin. Unfallchirurgin. Sie wohnt mit ihrer kleinen Familie ebenfalls auf dem Hof der Bödefelds in Bad Wünnenberg. Sie wird wissen warum…