Laut und stark: Kerstin Brauer rückt Frauen in den Mittelpunkt

Deutschland in den 1950er Jahren. Das Frauenwahlrecht ist mittlerweile gute 35 Jahre alt. Das Grundgesetz, welches mit dem § 3 die Gleichheit aller garantiert, hat eine Handvoll Jahre auf dem Buckel. Ein junges Mädchen, noch nicht volljährig, hat genaue Zukunftsvorstellungen: Sie möchte LKW-Fahrerin werden. Aber: „Ein Mädchen als LKW-Fahrerin? Das geht nicht!“, erwidert der Vater. Anscheinend geht nicht alles, was im Gesetz steht – althergebrachte Konventionen können sehr beständig sein. So wurde aus dem ambitionierten Mädchen das, was „man“ als Mädchen damals eben wurde – was sich gehörte: Sekretärin, Krankenschwester oder – so wie das Mädchen schließlich – Verkäuferin.

Gute vier Jahrzehnte später in Lennestadt: Die 16-jährige Kerstin hat Dienstschluss. Sie absolviert bereits ihr zweites Praktikum im Altenhundemer St. Josefs Hospital. In wenigen Monaten wird sie ihren Abschluss an der Realschule machen. Und dann Krankenschwester werden? Kerstin strafft die Schultern, blickt ihren Eltern in die Augen: „Ich möchte keine Krankenschwester werden. Ich will zur Polizei!“ Die Eltern lächeln. „Wenn es das ist, was du willst, dann werde Polizistin!“ Ihre Mutter, die Verkäuferin, kann sich nur zu gut in ihre Tochter hineinversetzen.

Erste Polizistin im Kreis Olpe

„In den letzten Jahrzehnten hat sich durch das Frauenwahlrecht und das Grundgesetz viel getan. Wir Frauen können selbst agieren, sind unabhängig“, beschreibt die heute 48-Jährige Kerstin Brauer die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland. Diese Veränderungen zeigen sich auch an den sich wandelnden Geschlechterverhältnissen ihrer Zunft. „Als ich nach meiner Ausbildung in Brühl, meinem Dienst in einer Einsatzhundertschaft in Berlin und der 6,5-jährigen Arbeit bei der Autobahnpolizei in Köln im Jahr 1999 wieder nach Lennestadt kam, war ich tatsächlich die erste Polizistin im gesamten Kreis Olpe.“ Dort musste sich die verheiratete Mutter von zwei Kindern erst einmal bei den männlichen Kollegen behaupten.„Ihnen wurde schnell klar, dass ich nicht anders arbeite als sie und sie haben mich schnell akzeptiert. Der Zusammenhalt unter den Kollegen ist großartig“, freut sie sich. Mittlerweile verrichten annähernd genauso viele Polizistinnen wie Polizisten ihren Dienst in unserer Heimat. „Dennoch gibt es immer noch einige Männer, die lieber mit einem männlichen als mit einem weiblichen Kollegen sprechen. Das ärgert mich“, berichtet Kerstin Brauer, die nun seit fünf Jahren auf der Leitstelle arbeitet. „Aber das ist zum Glück nicht die Regel.“

Frauen sichtbar machen
Inzwischen wird unser Land seit einem nicht unerheblichen Zeitraum von einer Frau regiert. Ist also alles gut? Hat die Gleichberechtigung sich durchgesetzt? „Mitnichten!“, meint die Lennestädterin. „Besonders deutlich zeigte sich diese Diskrepanz 2018 in einem WDR-Film über Südwestfalen, über sogenannte ‚hidden champions‘, verkannten Helden, in unserer Region. Nicht eine einzige Frau kam zu Wort!“ Kerstin Brauer recherchierte, telefonierte, führte Gespräche, sammelte Informationen (auch von männlichen Führungskräften) und mit Unterstützung von Maximilian Müller und seines „Medienwerkes“ entstand ein Internet-Film, der durchsetzungsfähige, weibliche Persönlichkeiten aus den Bereichen Wirtschaft, Sport, Politik, Kultur und Religion zu Wort kommen lässt.

Frauen helfen Frauen

Kerstin Brauer, die zudem auch überregional politisch aktiv ist, setzt sich dafür ein, dass Frauen sich gegenseitig helfen. „Ich wünsche mir ein Frauenforum, in dem sich Frauenvereinigungen in Südwestfalen austauschen, einbringen und Fragen stellen können. Frauen sollten sich gegenseitig viel mehr unterstützen, sodass sie nicht mehr zögerlich handeln müssen, sondern aktiv die Gestaltung ihres Lebens und der Gesellschaft in die Hand nehmen. Frauen sollen laut werden dürfen.“Hätte ihre Mutter in den 50er Jahren diese Unterstützung gehabt, sie hätte wahrscheinlich ihr Berufsleben auf dem Bock eines Mehrtonners statt hinter der Kasse verbracht.
Hier können Sie den Film „Starke Frauen in Südwestfalen“ anschauen:https://www.youtube.com/watch?v=Bs1vlxbzspo