Kurioses, Kriminelles und Alltägliches

Einen Morgen unterwegs mit einer Taxifahrerin

Dienstag, 4:45 Uhr, der Tag beginnt. Ich fahre als Redakteurin des WOLL-Magazins im Taxi von Michaela Wälter, der Inhaberin des Taxiunternehmens Fabri aus Eslohe, mit.

Die erste Fahrt des Tages führt uns ins Dialysezentrum Meschede. Ein Mann und eine Frau müssen gefahren werden. „An jedem Wochentag bringen wir morgens schon gegen 4.45 Uhr Fahrgäste zur Dialyse nach Meschede. Wir Fahrerinnen und Fahrer und die Dialysepatientinnen und -patienten kennen uns sehr gut. Einige von ihnen fahren wir schon seit vielen Jahren. Die Krankenkasse zahlt dies. Generell bezahlen die Kassen unter gewissen Umständen Fahrten in Krankheitsfällen. Viele Menschen wissen das nicht. Nachfragen lohnt sich“, erzählt Michaela Wälter. Wir liefern die Patientinnen und Patienten an der Praxis ab. „Tschüss Michaela, bis später“, verabschieden sich die Fahrgäste.

„Seit März ist alles teurer geworden: Werkstatt, Diesel und Verbrauchsmaterialien. Aber zum ersten Oktober sind dann auch die Taxigebühren vom Hochsauerlandkreis erhöht worden.“

Auf unserer Fahrt klingelt gefühlt alle drei Minuten das Telefon. Angestellte, die fragen: „Michaela, kannst du mal… Michaela, ich habe ein Problem…“ Dann ein echter kleiner Notall. Kollegin Susanne in Hektik: „Ich habe einen Platten und stehe in Olpe.“ Michaela Wälter antwortet: „Ok, Susi, ich bestelle den Abschleppdienst, sage der Werkstatt Bescheid. Ich sorge für ein Taxi aus Olpe, das deinen Fahrgast schnell abholt und nach Hause bringt.“ Michaela erledigt die notwendigen Gespräche. Ich frage nach: „Was kostet euch jetzt dieser Plattfuß?“ – „Einmal Abschleppen vom Pannenort zur Werkstatt, die Strecke zirka ein Kilometer 180 Euro, plus den neue Reifen. Die Preise sind gesalzen. Seit März ist alles teurer geworden: Werkstatt, Diesel und Verbrauchsmaterialien. Aber zum ersten Oktober sind dann auch die Taxigebühren vom Hochsauerlandkreis erhöht worden. Wenn jetzt die Krankenkassen hinterher kämen und die Preise so anpassen würden, dass es wirtschaftlich bleibt, Krankenfahrten durchzuführen, wäre allen geholfen.“

Als wieder kurz Ruhe im Auto herrscht, frage ich: „Michaela, wie bist du darauf gekommen, Taxifahrerin zu werden?“ – „Ich habe 1999 im Taxiunternehmen Erich Schrage in Niedersalwey angefangen. Ich wollte Geld für einen Motorradführerschein und ein Motorrad verdienen. Dann wurde der Verdienst lebensnotwendig, weil ich nach der Trennung vom Vater meiner Kinder alleinerziehend war. Führerschein und Motorrad wurden unerreichbar. Nach acht Jahren habe ich eine lange Pause in dem Job eingelegt und in einem Seniorenheim im Fahrdienst angefangen. Ich brauchte eine Auszeit vom nächtlichen Taxifahren. Nach sieben Jahren Pause habe ich 2014 aber doch wieder angefangen, für meinen Vorgänger Thorsten Fabri zu arbeiten. Ich übernahm den Betrieb schließlich 2018, als er sich beruflich verändern wollte“. Das Telefon unterbricht sie. Eine Anfrage. „Taxi Fabri, was kann ich für sie tun?“ Eine Hausarztpraxis ruft an. „Wir haben einen Notfall. Ein Patient muss jetzt in die Augenklinik nach Dortmund.“ – „Ich schicke sofort ein Taxi, kein Problem. Es ist in zehn Minuten da.“ Michaela „funkt“ ihre Angestellte Sabine Rizzi an. „Sabine, du musst sofort los. Ein Notfall muss in die Augenklinik Dortmund. Es eilt.“ Sabine: „Ok, bin direkt unterwegs.“

„Wir hatten schon häufiger die Anfrage nach einer Taxifahrt nach Paris aufgrund des bekannten Schlagers.“

Wir sind in Eslohe im Büro und Aufenthaltsraum des Taxi- und Mietwagenunternehmens angekommen. Die erste Kaffeepause des Tages beginnt. Wir haben Zeit für ein Gespräch. Ich frage: „Welche Fahrten übernehmt ihr hauptsächlich?“ – „Die Wochentage sind gefüllt mit festen und spontanen Krankenfahrten, Schülerfahrten und Fahrten von Senioren in die Tagespflege und zurück. Zwischendurch gibt es Anfragen für individuelle, kurzfristige Touren, etwa zu Flughäfen. Am Wochenende geht es hier, wenn viele Feste stattfinden, hoch her. Die Partygäste möchten abgeholt werden. Wenn sehr viel los ist, manage ich die Zentrale nicht mehr aus dem Taxi heraus, sondern koordiniere die Fahrten von Zuhause aus, während die Kolleginnen und Kollegen fahren.“

„Was hast du schon für besondere Geschichten an den Wochenenden erlebt? Die Nachhause-Fahrten von Betrunkenen sind ja sicherlich oft abenteuerlich.“ – „Oh, ja, da erlebt man viele kuriose Geschichten. Zum Beispiel Menschen, die einschlafen und kaum wach zu bekommen sind. Ich bin schon manches Mal Runden mit offenen Fenstern gefahren, bis sie anfangen zu frieren und dann deswegen wach werden. Einige Ärgernisse gab es schon mit Menschen, die nicht zahlen wollten oder aus anderen Gründen frech wurden. Und immer die Angst vor dem nicht seltenen Satz: ‚Ich muss mich übergeben‘. Da lernst du, schnell zu reagieren. Manchmal haben angetrunkene Menschen auch ungewöhnlichen Ideen.“ Zum Beispiel? „Wir hatten schon häufiger die Anfrage nach einer Taxifahrt nach Paris aufgrund des bekannten Schlagers. Einmal fragten drei Jungs aus einem Ort in der Nähe an. Sie wollten den Eiffelturm sehen. Ich sagte ihnen, dass der gerade nicht beleuchtet wäre, weil er mit neuem Rostschutz angestrichen wird. Sie wollten trotzdem hin. Mein Angestellter Ahmet Aytekin hat sie spontan gefahren. 650 Euro sollte die Fahrt kosten, und da sie im Auto weiter trinken wollten, habe ich zusätzlich eine Schutzgebühr von 650 Euro einkassiert, die sie wieder bekommen sollten, wenn der Taxiinnenraum im Anschluss noch gut aussehen würde. Die Jungs nahmen das Angebot an. Am Eiffelturm angekommen, konnten sie diesen in der Nacht kaum erkennen und waren natürlich enttäuscht. Weitere Sehenswürdigkeiten wollten sie nicht sehen. Stattdessen waren sie mit Fahrer Ahmet in einem bekannten Fastfood Restaurant essen und sind etwas später nach einer Pause wieder zurückgefahren. Sie haben sich bestens benommen – außer einem Kronkorken gab es keine Rückstände von dieser Fahrt. Die Kaution gab es zurück.“

„Wir bekommen viel mit. Persönliche Schicksale, Betrügereien, ausgebüxte Kinder und sogar einmal beinahe eine Geburt im Taxi.“

Jetzt geht es für uns zurück ins Taxi. Der nächste Termin steht an. Eine Fahrt in die Tagesklinik Bad Fredeburg und im Anschluss eine Schülerfahrt von der Kardinal-von-Galen-Schule in Eslohe nach Hause. Michaela hat auf der Fahrt eine weitere interessante Geschichte parat: „Man denkt, Taxifahren hier im Sauerland sei langweilig. Aber mir sind schon viele krasse Dinge passiert. Wir hatten schon einige Male den Fall, dass ältere Menschen von Telefonbetrügern übers Ohr gehauen werden sollten. Einmal rief eine völlig verstörte Dame an und wollte von Eslohe nach Arnsberg gefahren werden. Ich schaute mir die Adresse in Arnsberg an. Da war nichts Besonderes. Sie sagte, sie müsse unbedingt pünktlich um 10 Uhr da sein. Ich konnte ihr nur halb 11 zusagen. Sie war total panisch und sagte: Die sperren mein Konto, wenn ich nicht pünktlich da bin. Ich habe daraufhin die Polizei angerufen und von dem Anruf erzählt. Es war Telefonbetrug. Die Dame stand am nächsten Tag mit einem Blumenstrauß hier bei uns in der Tür. Wir bekommen viel mit. Persönliche Schicksale, Betrügereien, ausgebüxte Kinder und sogar einmal beinahe eine Geburt im Taxi. Ich bin gerade noch rechtzeitig in Altenhundem am Krankenhaus gewesen, 17 Minuten später war das Baby da. Jeder Tag ist anders und spannend. Ich könnte ein Buch schreiben.“

„Taxifahren ist mehr als von A nach B fahren. Wir sind nicht nur Fahrerinnen und -fahrer. Wir hören zu und schweigen. Wir denken um die Ecke, statt nur drumherum zu fahren.“

Wir sind wieder in Eslohe. Mittagspause. „Michaela, was findest du am schönsten an deinem Job und was ärgert dich?“ – „Ich habe in diesem Job einen anderen Blick auf das Leben bekommen und verstanden, dass Gesundheit nicht selbstverständlich ist. Es ist schön, beruflich an so viele verschiedene Orte zu kommen. Als ärgerlich empfinde ich es, wenn Menschen unseren Job ganz offensichtlich nicht wertschätzen. Fahrgäste, die unhöflich sind, nicht ‚Guten Tag‘ sagen und nicht ‚Auf Wiedersehen‘ oder die die Türen an den Autos knallen und Dinge mutwillig zerstören. Oder Menschen, die die Zeche prellen wollen. Mein Motto hier bei Taxi Fabri: Taxifahren ist mehr als von A nach B fahren. Wir sind nicht nur Fahrerinnen und -fahrer. Wir hören zu und schweigen. Wir denken um die Ecke, statt nur drumherum zu fahren. Hier entstehen Freundschaften, wir fühlen mit und geben jeden Tag unser Bestes, damit unsere Gäste sich bei uns gut aufgehoben und wertgeschätzt fühlen. Und so manches Mal haben wir bei Wunscherfüllungen geholfen, zum Beispiel einer älteren Dame im Endstadium ihrer Krebserkrankung, die mit uns im Heißluftballon gefahren ist – drei Monate vor ihrem Tod.“

Jetzt wird es Zeit für mich, zu meinem nächsten Termin zu kommen und Michaela Wälter hat auch schon den nächsten Fahrgast im Plan. Und so fahren wir beide unserer Wege, die sich bestimmt mal wieder kreuzen werden.