Wie die Südsauerländer den Winter vertreiben
Heutzutage ist es die Ausnahme, vor wenigen Jahrzehnten noch die Regel: lange, knackig-kalte Winter. Dass es selbst im Mai noch zu Schneefällen kommen konnte, war keine Seltenheit.
Nach den tief verschneiten Monaten sehnten sich Jung und Alt deshalb nach dem Frühling. Um dem Winter endlich den Garaus zu machen, ließen sich die Menschen im Südsauerland einiges einfallen. Die Bewohner eines Fachwerkdorfes schickten einen Zeitgenossen ins benachbarte Hessenland, um von dort einen Kuckuck als bekannter Frühlingsbotschafter zu „importieren“. Der Erfolg der Hoinsber ist dort sowie in zahlreichen schadenfrohen Nachbardörfern bestens bekannt. Einen anderen Weg, endlich den Frühling herbeizulocken, gingen und gehen auch heute noch die Menschen in drei Dörfern im östlichen Kreis Olpe. „Beim Kloppe Kloppe Sunnenviul (den Sonnenvogel herausklopfen) handelt es sich um einen Traditionsumzug, der jedes Jahr am 22.02. stattfindet, um den Frühling herauszulocken. Neben Halberbracht und Ostentrop ist Herrntrop die einzige Ortschaft, in der die alte Tradition Kloppe Sunnenviul noch aufrecht gehalten wird“, weiß der Bürgerverein Kirchhundem zu berichten.
Volker Wilkniß aus Herrntrop erinnert sich an den alten Brauch des Sonnenvogel-Umzugs bereits seit seinen Kindertagen: „Früher zogen die Kinder von Haus zu Haus, sammelten Eier und Mehl. Diese Zutaten wurden dann bei Bäckermeister Droste (Tünnes) abgeliefert, der daraus Blechweise leckeren Streuselkuchen und Bienenstich backte, die dann am Tag darauf von den älteren Kindern an die einzelnen Haushalte verteilt wurden.“ Der Sonnenvogel-Umzug fand grundsätzlich am Fest Petri Stuhlfeier statt. Wilkniss: „Die Ursprünge des Umzugs in unserem rund 120 Einwohner zählenden Dorf reichen über viele Generationen hinweg. Bereits mein 1895 geborener Großvater konnte sich daran erinnern, als Kind diesen Brauch gepflegt zu haben.“ Sinn und Zweck war schon damals, den Winter aus den Häusern zu klopfen. Als Werkzeug waren ausschließlich Holzhämmer an langen Stielen erlaubt. Teilweise wurden Blechplatten auf den Boden gelegt, damit die kalte Jahreszeit auch möglichst lautstark vertrieben werden konnte. Der Text des Liedes wird seit „ewigen Zeiten“ gesungen:
Kloppe, kloppe Sunneviuel, Sankte Peiter is hier.
Soi Frau, doi sprang de Treppe ruf,
tastet in doi lange Sack,
tastet niet daniäben,
die kann us guet was giäben,
lot dat Miäsken sinken,
miet Miärren in doi Schinken,
lot dat Miäsken schnieden,
wird mit Miärren in doi siän,
no lot us niet soi lange stohn,
wir wolln nen Huisken wirrer gohn.
Nur wenige Tage später ziehen die Herrntroper Kinder dann erneut durch ihr Dorf, um die Lütteke Fasnacht zu besingen. Waren bei diesen alten Bräuchen früher die Mädchen und Jungen allein unterwegs, so werden sie heute angesichts des erhöhten Verkehrsaufkommens von ihren Eltern begleitet. Und statt Eiern, Mehl, Wurst und Schinken werden heutzutage Süßigkeiten und Bargeld eingesammelt, die anschießend verteilt werden.
Halberbracht
In Höhendorf Halberbracht, so weiß Guido Haase zu berichten, haben die Herren der Alt-Liga TuS Halberbracht im Jahre 1995 den alten Brauch des Sonnenvogels wieder aufleben lassen.
Riut riut Sunnenviul –
Sankte Peiter is do –
Sankte Tigges kümmet no –
steiht fer allen Dierren –
groite Mius – kleune Mius –
alles iut dem Hiuse riut –
met Kisten und Kasten –
und allen Morasten –
heogge in Steinkiule –
da solle inne verfiulen –
heogge in Steinklippen –
da solle inne sitten –
jinnt Johr ümme Dierse tiet,
do weve neo mol wier ankloppen!
„Als Sonnenvogel wurde in den meisten Quellen der Schmetterling bezeichnet. Er erschien als Verkörperung der dämonischen Geister, die sich im Winter in Haus und Hof eingenistet haben und bei beginnendem Frühjahr in feierlicher Weise verjagt wurden. In dem Schmetterling witterte der Landsmann verwandelte, Milch stehlende Hexen. So wurde der Schmetterling auch als Milchdieb, Molkestehler und Butterfliege bezeichnet“, so Guido Haase.
Sankte Tigges ist im Übrigen der Schutzpatron der Schweinehirten (Matthias, 24. Februar).
Die Altherren der Schöpfung müssen natürlich nicht nur textsicher sein, sondern naturgemäß über eine gute Kondition verfügen. Denn es ist durchaus möglich, dass die Temperaturen vor dem Frühlingsbeginn noch recht kühl sind – und die Sonnenvogel-Matadoren durchaus dankbar über das eine oder andere wärmende Elixier, das von den Hausbewohnern nur allzu gerne verabreicht wird.
Burbecke
„In dem kleinen Ort Lennestadt-Burbecke wird das Brauchtum aus früherer Zeit immer noch groß geschrieben. So auch das Winter austreiben“, berichtet Josef Balkenhol über ein pulsierendes Miteinander in dem kleinen Dorf. Im Jahre 1983 zogen Franz Hesse, Josef Mester und Hubert Hesse erstmals wieder von Haus zu Haus und sangen dabei das uralte plattdeutsche Lied vom Sonnenvogel. Mit Holzstöcken klopften sie dabei aus jedem Wohnhaus den Sunnenviel heraus.
Ruit, ruit Sunnenviuel,
Sänten Peiter is do,
Sänten Tigges kümmet da no,
kleune Mius, griute Mius,
alles iut diem Huise ruit,
Kisten un Kasten, alle Morasten,
in der Steiners Kiulle
do sollte drinne verfiulen.
Gint Johr umme düese Tit,
do wevie no mol wir ankloppen!
Josef Balkenhol: „So ist das Brauchtum bis zum heutigen Tage erhalten geblieben, über das sich Jung und Alt gleichermaßen freuen.
Erstmalig erwähnt wird der Brauch im Jahr 1629. Früher ging bei Sonnenaufgang der Hausherr oder der Hirte dreimal um das Haus und klopfte mit einem Hammer an alle Pfosten und Balken.
Bei unseren Vorfahren in Westfalen galt der 22. Februar als der wirkliche Frühlingsanfang. Dieser Termin ist zurückzuführen auf den katholischen Gedenktag „Petri Stuhlfeier“, die Übertragung des Papstamtes an Petrus (im Text Sankte Peiter). An diesem Tag ging man von Tür zu Tür, um den Boten des Frühlings (Sonnenvogel ) zu jagen, und um den Winter mit Holzhämmern zu vertreiben.