950 Jahre Lenne – 800 Jahre St. Vincentius
Nicht nur die Bundesstraße führt in der Nähe vorbei. Der Ort ist auch Ausgangspunkt für Wanderwege auf dem Rothaarkamm. Vor allem aber gehen wichtige Radwege direkt an der Kirchhofmauer entlang: der Sauerland Radring, die Lenneroute und die Golddorf Radroute. Doch nur wenige Radfahrer halten bisher an. „Die Kirchen in Wormbach und Berghausen sind Besuchermagnete,“ erklärt Fabian Borys, „aber unsere Kirche wird nicht so stark wahrgenommen. Wir hoffen, das ändert sich jetzt.“
Stil der Romantik zu Beginn des 13. Jahrhunderts
St. Vincentius in Lenne gehört zweifellos zu den bedeutendsten Baudenkmälern im Schmallenberger Sauerland. Im Jahr 1221 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt, ist aber vermutlich schon etwas älter. Die Bausubstanz ist seit 800 Jahren kaum verändert worden. Als die Kirche – vermutlich gleich zu Beginn des 13. Jahrhunderts – entstand, baute man noch im Stil der Romanik mit Rundbogenfenstern und gedrungenen Gewölben. Nur in wenigen Kirchen bekommt man eine so gute Vorstellung von der ländlichen Architektur jener Phase des Mittelalters wie in Lenne.
Zuletzt wurde die Kirche in den 60er Jahren renoviert. Dabei gelang es, erstklassig erhaltene Malereien aus der Entstehungszeit des Gebäudes freizulegen. Ihre intensiven Farben sind bis heute beeindruckend. Wo sie nicht mehr erhalten waren, hat man sie mit etwas blasseren Farben behutsam ergänzt. Auf diese Weise erhält der Besucher sowohl einen Eindruck des Gesamtbildes als auch eine Vorstellung davon, welche Teile 800 Jahre alt sind und welche nur 60 Jahre. Leider kamen diese Fresken aber nicht mehr richtig zur Geltung. Die ursprünglich weiße Grundfarbe der Wände hatte eine dunkelgraue Patina angesetzt und die Elektrik aus den 60er Jahren trug nur sehr begrenzt zur Aufhellung bei. In die Wände war Feuchtigkeit gezogen. Der Putz bröckelte und im Holz der Orgelempore sowie der barocken Ausstattung waren Holzwürmer eingezogen. Der Zugang zu den noch original erhaltenen Glocken aus dem 15. Jahrhundert war ein waghalsiges Unternehmen, fern ab jeder Sicherheitsvorschrift.
Im neuen Glanz
Damit die Kirche zu ihrem 800-jährigen Jubiläum in neuem Glanz erscheinen konnte, begann man vor fünf Jahren mit der Renovierung. Der Architekt Günter Müller aus Winterberg, der auch schon für die Restauration in Berghausen verantwortlich zeichnete, konnte für die Arbeiten gewonnen werden. Mit dem Kirchenvorstand war er sich sofort einig: Möglichst nichts sollte verändert werden. Bestehendes sollte lediglich behutsam in Stand gesetzt werden. Wo immer möglich sollten die Arbeiten von heimischen Handwerkern ausgeführt werden: Die Malerarbeiten erledigte die Firma Heßmann aus Felbecke, die Glasarbeiten Martin Vollmert aus Schmallenberg, die Schreinerarbeiten die Schreinerei Didam aus Oberkirchen, die Bodenbelagsarbeiten die Firma Fliesen Kalisch aus Schmallenberg, die Elektroinstallationen die Firma Elektro Theodor Schmidt aus Schmallenberg und die Metallarbeiten die Kunstschmiede Schütte aus Oberkirchen. Nur die Arbeiten an den Skulpturen der Altäre mussten nach außerhalb vergeben werden: an den Fachbetrieb für Kunstpflege ars colendi aus Paderborn.
Renovierung mit Fingerspitzengefühl
Eines hat Fabian Borys bei den Arbeiten besonders beeindruckt: „Ich dachte, die weißen Flächen würden einfach frisch überstrichen. Stattdessen haben zwei Frauen in wochenlanger Feinarbeit mit kleinen Schwämmchen Zentimeter für Zentimeter der weißen Flächen vom Staub befreit und nur mit einem kleinen Pinsel behutsam nachgestrichen.“ Die Renovierung solch alter Bausubstanz braucht eben buchstäblich Fingerspitzengefühl.
Auf den, der die Kirche aus der Zeit vor der Renovierung kennt, warten Überraschungen, auch wenn eigentlich nichts verändert wurde: Dass links neben dem Hochalter ein schönes Buntglasfenster ist, konnte man schon immer sehen. Seit rechts neben dem Chorraum eine Sakristei angebaut wurde, war allerdings das Gegenstück auf der rechten Seite des Hochaltars nur noch eine schwarze Fläche in Fensterform. Bei Messen wird es jetzt hinterleuchtet. So ist nun auch das rechte Buntglasfenster wieder in ganzer Schönheit erlebbar. Noch größer ist aber wahrscheinlich die zweite Überraschung. Vor der Fertigstellung rief Architekt Müller die Lenner auf: „Schaut doch mal nach, ob irgendwo bei irgendwem auf dem Balken noch was rumliegt, was eigentlich in die Kirche gehört.“ Und manchmal liegen solche Dinge erstaunlich nahe: Seit Jahrzehnten hing hinter dem Hochalter ein großes Paket, eingeschlagen in Folien und Tüchern. Beim Auspacken entdeckte man den Original Schalldeckel der Kanzel aus der Barockzeit. Lediglich die Vasen auf seiner Oberseite und der Heilige Geist auf der Unterseite mussten anhand von alten Bildern rekonstruiert werden. Nun ist dieser markante Teil der originalen barocken Innenausstattung wieder an seinem angestammten Platz zu sehen.
Patronatsfest und Jubiläumsjahr
Die Renovierungsarbeiten verliefen ohne Pannen innerhalb der geplanten Zeit von ca. 2,5 Jahren, obwohl natürlich bei solch alter Bausubstanz so manche Überraschung wartete. Vor allem aber bemerkenswert ist: Die Kosten blieben unterhalb des veranschlagten Rahmens von 250.000 €. Die heimischen Handwerker hatten eben realistisch kalkuliert und waren mit Engagement und hohem Sachverstand bei der Arbeit. Auf alles, was nicht zwingend notwendig war, hat der Kirchenvorstand verzichtet. So gab es weder neue Kissen auf den Bänken noch einen neuen Projektor für die Liedanzeige.
Das Patronatsfest im Jubiläumsjahr 2021 konnte – kurz vor dem ersten Lockdown – wieder in der frisch renovierten Kirche gefeiert werden. Wer vorher von der „dunklen Kirche“ sprach, sagte jetzt: „Wow, was habt ihr denn hier gemacht!“ Fabian Borys beschreibt es so: „Die alten Einheimischen, die hier schon getauft worden sind, haben ihre Kirche sofort wiedererkannt – nur jetzt in schön.“
Im Jahr 2022 feiert Lenne sein 950-jähriges Dorfjubiläum. Dann werden auch viele Besucher die Kirche in schön erleben – zum Beispiel zum Patronatsfest im Januar. Bei der Messe zu Ehren des Heiligen Vincentius am Montag, den 24.01.2022 werden nach alter Tradition auch die Schützen feierlich in die Kirche einziehen. Und ab 2022 werden wohl auch die Radfahrer oft an der Kirche anhalten. Sie wird zur Wanderer- und Radfahrerkirche. Das Jugendheim, das direkt neben der Kirche stehend mit ihr zusammen ein malerisches Bauensemble bildet, wird das nächste Renovierungsprojekt. Hinter ihm entsteht eine Ladestation für E-Bikes und eine Trinkwasserzapfstelle. Die Kirche und der angrenzende Bibelgarten laden die Radler spätestens dann zum Verweilen und Ausruhen ein.