Keine Heimat mehr in der Kirche

Quelle: Bild von Václav Závada auf Pixabay

Die Kirchenstatistik für das vergangene Jahr 2022 zeigt einmal mehr, wie sich die Vertrauenskrise der Katholischen Kirche auch in der Mitgliederstatistik auswirkt. Auch die Zahlen für das Erzbistum Paderborn, zu dem weite Teile des Sauerlandes zählen, sind ernüchternd. Die Anzahl der Kirchenaustritte ist von 16.310 im Jahr 2021 auf 26.911 im vergangenen Jahr gestiegen. Insgesamt 1.364.918 registrierte Kirchenmitglieder kann Paderborn noch verzeichnen. Die Anzahl der Priester ist auf 780 zurückgegangen.

Menschen neu überzeugen und Glauben leben

Quelle: Erzbistum Paderborn
Prälat Thomas Dornseifer

Prälat Thomas Dornseifer, der Ständige Vertreter des Diözesanadministrators des Erzbistums Paderborn, ruft anlässlich der am Mittwoch, 28. Juni 2023, bundesweit veröffentlichten kirchlichen Jahresstatistik für das Jahr 2022 dazu auf, den aktuellen Transformationsprozess von Kirche und Glauben aktiv zu gestalten. In den umfangreichen Um- und Abbrüchen im kirchlichen Leben sehe er die Chance, „Menschen immer wieder neu zu überzeugen, kreative Wege und Formate zu finden, den Glauben zu leben und den Kern unseres Christ- und Kirche-Seins wieder neu zu entdecken: Jesus Christus und seine Frohe Botschaft“, betont der Ständige Vertreter. Hier die Stellungnahme von Prälat Thomas Dornseifer im Wortlaut:

„Die derzeitige Vertrauenskrise der Katholischen Kirche in Deutschland schreitet auch im Erzbistum Paderborn weiter voran – das belegen die erneut dramatisch gestiegenen Austrittszahlen rein quantitativ. Kirche ist von ihrem Wesenskern her Communio, eine Gemeinschaft, in der jede und jeder Getaufte mit seiner Taufberufung zählt. Deshalb ist es ein tiefer Schmerz, wenn jedes Jahr mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren – aus den unterschiedlichsten Gründen.

Als einer dieser Gründe gilt absolut nachvollziehbar weiterhin die Missbrauchskrise. Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Erzdiözese in Sachen Aufarbeitung konsequent unterwegs sind – seit dem letzten Jahr bestehen im Erzbistum ein Betroffenenbeirat und eine noch durch Erzbischof em. Hans-Josef Becker errichtete unabhängige Aufarbeitungskommission. Zudem wurde der Forschungszeitraum der kirchenhistorischen Missbrauchsstudie der Universität Paderborn in die Gegenwart ausgeweitet. Diesen Weg setzen wir fort.

Dialog mit Austrittswilligen und Ausgetretenen

Die hohen Austrittszahlen allein durch den Missbrauchsskandal zu erklären, würde jedoch die Gesamtperspektive verengen: Die Kirche als institutionell verfasste Gemeinschaft von gelebtem Glauben erfährt aktuell eine enorme Transformation, die sich im Relevanzverlust von Religion äußert und die mit vielen Um- und Abbrüchen im kirchlichen Leben einhergeht. Viele Menschen fühlen sich keiner Kirchengemeinde mehr verbunden, sondern nehmen kirchliche Angebote bedarfsorientiert oder auch gar nicht wahr. Viele sehen im Angebot der Kirche keine Bedeutsamkeit, geschweige denn eine Hilfe oder einen Wert für ihr eigenes Leben – hier brauchen wir Angebote, die am Leben der Menschen orientiert sind. Ein Trend muss uns als kirchliche Gemeinschaft besonders wachrütteln: Menschen, die im Glauben fest verankert sind, entschließen sich zum Austritt aus der Kirche, weil sie keine Heimat mehr in der Kirche sehen. Allen Menschen, die über einen Austritt nachdenken oder bereits ausgetreten sind, bietet das Erzbistum seit vergangenem Jahr über eine eigene Projektstelle den Dialog an, um so als Kirche selbst zu lernen. 

Mit neuer Überzeugungskraft Zukunft gewinnen

Die oben beschriebenen Prozesse können wir als Kirche nicht verhindern – aber wir können und müssen diese Transformation aktiv gestalten. Auf unserem Diözesanen Weg 2030+ der Bistumsentwicklung schauen wir mit einem ehrlichen Blick vor allem auf die Jahre nach 2030. Als Kirche im Erzbistum Paderborn wollen wir den Herausforderungen mutig und kreativ begegnen, gute Lösungen entwickeln und dadurch Zukunft gewinnen. Unsere künftige Pastoral muss an den Bedürfnissen der Menschen orientiert sein. Denn für die Menschen da zu sein, ist unser Auftrag.

Ich bin überzeugt: Wenn wir als Kirche glaubwürdig für unsere Überzeugung einstehen, haben wir zu jeder Zeit wertvolle Antworten auf komplexe Fragen der sich rasant wandelnden Gesellschaft anzubieten. Als Kirche mögen wir zwar unsere Rolle als großer, gesellschaftlicher Player verlieren. Ich glaube jedoch an die darin liegende Chance: Menschen immer wieder neu zu überzeugen, kreative Wege und Formate zu finden, den Glauben zu leben und den Kern unseres Christ- und Kirche-Seins wieder neu zu entdecken: Jesus Christus und seine Frohe Botschaft. Wenn wir diesen Kern wieder authentisch leben, werden wir an neuer Überzeugungskraft gewinnen und – wie Jesus es den Aposteln als Auftrag gegeben hat – zu Menschenfischern werden.“

Kirchen-Statistik für das Erzbistum Paderborn

Rund 1,4 Millionen Menschen auf dem Gebiet des Erzbistums Paderborn sind katholisch – das sind 41.954 Katholikinnen und Katholiken weniger als 2021. Der Rückgang der Kirchenmitglieder liegt an demographischen Entwicklungen und Wanderungsbewegungen in der Bevölkerung, hat aber auch vielfältige andere Gründe. Kirchenaustritte sind dabei vor allem in den letzten Jahren ein wichtiger Faktor gewesen. Sie sind aber kein neues Phänomen und werden wohl auch weiterhin die kirchlichen Statistiken deutlich beeinflussen. Gründe für den zahlenmäßigen Rückgang der Kirchenmitglieder liegen zudem in der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft, die zu einem Bedeutungsverlust von Religion und Kirche führt. 26.911 Menschen haben 2022 im Erzbistum Paderborn die katholische Kirche verlassen. Das sind 10.601 Austritte mehr als im Jahr davor. Insgesamt spielen für die Zahlen aus 2022 noch immer die Corona-Pandemie und ihre Folgen für das kirchliche Leben eine Rolle. Deutlich wird, dass nach der Lockerung vieler Corona-Einschränkungen die durchschnittliche Zahl der Teilnehmenden an Sonntagsgottesdiensten wieder leicht auf 4,7 Prozent gestiegen ist (Vorjahr 3,5 Prozent). Die Zahlen der vier Sakramente Taufe, Erstkommunion, Firmung und Trauung sind zwar allesamt leicht angestiegen – dahinter sind jedoch wohl in erster Linie demografische Gründe zu vermuten. 

Kirchenstatistik 2022


Kirchliche Statistik für das Erzbistum Paderborn 2022

Kirchenmitglieder
2021 – 1.406.872
2022 – 1.364.918

Kirchenaustritte
2021 – 16.310
2022 – 26.911

Taufen
2021 – 8.312
2022 – 9.189

Wiedereingliederungen
2021 – 205
2022 – 164

Übertritte
2021 – 84
2022 – 83 

Erstkommunion
2021 – 9.196
2022 – 9.790

Trauungen
2021 – 1.270
2022 – 2.134

Firmungen
2021 – 6.041
2022 – 7.166

Gottesdienstbesucher/-innen
2021 – 48.819 (3,5 Prozent)
2022 – 63.677 (4,7 Prozent)

Bestattungen
2021 – 16.256
2022 – 16.684

Priester
2021 – 813
2022 – 780

Priesterweihen
2021 – 4
2022 – 3

Ständige Diakone
2021 – 183
2022 – 181

Weihen Ständige Diakone
2021 – 1
2022 – 5

Gemeindereferenten/-innen und Gemeindeassistenten/-innen 
2021 – 260
2022 – 279

Pastoralreferenten/-innen und Pastoralassistenten/-innen:
2021 – 9
2022 – 10

Bildunterzeile(n):

_1) Prälat Thomas Dornseifer ist während der Sedisvakanz im Erzbistum Paderborn Ständiger Vertreter des Diözesanadministrators. Foto: Erzbistum Paderborn

_2) Kirchenstatistik für das Erzbistum Paderborn im Jahr 2022. Grafik: Erzbistum Paderborn