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Von Hermann-J. Hoffe
Was wäre wenn…? – Kann das Sauerland auf ein Ende der Corona-Pandemie hoffen?
Die Botschaft klingt bedrohlich. „Die Omikron-Infektionszahlen werden in den nächsten Wochen stark ansteigen.“ Wer das sagt? Dominic Dellweg aus Schmallenberg. Er ist Chefarzt der Pneumologie 1-Abteilung im Fachkrankenhaus Grafschaft. Auf Nachfrage erläutert der Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde die aktuellen Daten und Fakten, die hinter den steigenden Infektionszahlen und alarmierenden Meldungen stecken.
Wirrwarr aus Zahlen, Daten und Fakten
„Die aktuelle Datenlage in Deutschland ist momentan nicht aussagekräftig, da die Feiertage hier bei uns zu einem Erfassungs- und Meldeproblem führen. Eine Besonderheit, die in anderen Ländern übrigens so nicht zu beobachten ist.“ Man merkt Dr. Dellweg an, dass er mit dem Wirrwarr um die täglich verkündeten Zahlen nicht zufrieden ist. Was aber bedeutet das alles konkret für die Menschen, besonders für die Menschen hier im Sauerland?
Zusammen mit Prof. Dr. Köhler und Dr. Katja Köhler hat PD Dr. Dominic Dellweg vor 14 Tagen Rede und Antwort gestanden, als er live im Internet in der Veranstaltung „Zusammen gegen Corona in Schmallenberg“ die Hoffnung ausdrückte, dass Omikron womöglich für eine rasche Durchseuchung der Bevölkerung und damit zu der oft zitierten Herdenimmunität sorgen könnte. Wie schon damals die Zahlen und erste Studien aus Südafrika und Großbritanien andeuteten, kommt es bei Omicron zwar zu einer schnelleren und breiteren Infizierung, die Krankheitsintensität und der Verlauf seien aber deutlich milder und daher auch weniger besorgniserregend als bei der Delta-Variante. Das zeigen anscheinend auch die aktuellen Hospitalisierungsraten und schweren Covid-Krankheitsverläufe.
Mit dem Virus leben
Kann man das Ende der Corona-Pandemie absehen? Dr. Dominic Dellweg dazu: „Wir hoffen das und es gibt hoffnungsvolle Anzeichen dafür, dass bis zum Frühjahr, sagen wir Mitte/Ende April, sich ausreichend Menschen durch eine Coronainfektion, die sie vielleicht gar nicht merken, beziehungsweise, die hoffentlich einen milden Verlauf hat, immunisiert haben. Dann kann das Virus keine allzu großen Schäden mehr anrichten und die Medizin kann sporadisch auftretende Infizierungen schnell in den Griff bekommen.“ Immer mehr Mediziner und Fachexperten haben an anderer Stelle schon darauf hingewiesen, dass wir mit dem Virus leben müssen. So wie mit dem Grippe-Virus.
Impfen noch sinnvoll oder muss es eine Impflicht geben?
Dr. Dominic Dellweig: „Ganz aktuelle Studien zeigen, dass die Hospitalisierung von Omikron-Infizierten im Vergleich zur Delta-Variante beim Faktor 0,76 liegt. Das bedeutet: Mussten bei Delta 100 Infizierte ins Krankenhaus, so sind dies bei gleicher Ausgangszahl bei Omikron nur 76 Patienten. Also 24 % Krankenhausaufenthalte weniger. Für sogenannte geboosterte Menschen mit mRNA-Impfstoffen liegt dieser Wert bei 0,37, das heißt 63 % weniger Krankenhauseinweisungen.“ Aus der Sicht von Dr. Dellweg ist es daher wichtig, dass sich diejenigen, die zweimal geimpft sind auch boostern, um im Falle eine Infizierung mit dem Virus eine Hospitalisierung zu vermeiden. Für den Lungenfacharzt aus Grafschaft gibt es auch für eine, von manchen Seiten geforderte Impfpflicht überhaupt keinen Grund. „Alle, die sich vor einem schweren Verlauf der Krankheit haben schützen wollen, konnten dies machen und haben dies gemacht. Das Risiko nach einer Infizierung mit der Omikron-Variante in Zukunft ins Krankenhaus zu kommen ist bei gesunden Menschen geringer. Eine Impfpflicht macht daher in meinen Augen keinen Sinn. Natürlich werden auch an der Omikron Variante Menschen sterben, aber wir sollten der natürlichen Durchseuchung mit dem Virus eine Chance geben in einem Ausmaß, das die Krankenhäuser nicht überlastet und die medizinische Versorgung aller gewährleistet. Wenn sich die zweifach geimpften Menschen boostern und wir alle vorsichtig sind und auf die anderen Rücksicht nehmen, dann werden wir hoffentlich im Sommer das Covid-Thema hinter uns haben.“
Einmal mehr kommen die hoffnungsvollen Botschaften von den Fachleuten vor der Haustür. Ein Grund mal rückwärts zu schauen und zu fragen, wie wären denn frühere Generationen mit der sogenannten Corona-Pandemie umgegangen?
Umgang mit Seuchen und Pandemien hier im Sauerland und Grenzen des Wachstums
Zum Beginn dieses Jahres stelle ich die Frage: Wie wären wir vor 50 Jahren wohl mit einer Corona-Pandemie umgegangen? Wie hätten wir die letzten zwei Jahre hier bei uns wahrgenommen?
Um diese Frage auch nur einigermaßen zu beantworten, bedarf es eines Blickes zurück zu den beginnenden 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Falls man wie ich zu denjenigen gehört, die diese Zeit als junger Erwachsener mehr oder weniger interessiert und bewusst miterlebt hat, denkt man zunächst an die großen Umwälzungen in diesen Jahren. Dazu zählen zum Beispiel die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages durch die Bundesrepublik Deutschland und Polen und der Kniefall von Kanzler Willy Brandt vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal. Hiermit wurde 1971 ein langjähriger Friedensprozeß eingeleitet, der letztendlich in der Wiedervereinigung zwanzig Jahre später endete. Erdbeben mit zehntausenden von Toten und Flugzeugabstürze erschütterten die Welt ebenso wie ein Zyklon, der mit meterhohen Flutwellen auf Bangladesch traf und verantwortlich für über 300.000 Tote war.
Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt liberalisierte Anfang Februar 1971 mit dem sogenannten Haarnetz-Erlass das Tragen langer Haare bei der deutschen Bundeswehr. Abgesehen von einigen Flugzeugabstürzen, dramatischen Eisenbahnunglücken mit vielen Toten und anderen Einzelunglücksfällen blieb die Welt in diesem Jahr von großen Katastrophen verschont. 1972 verschiebt sich das Machtgefüge zwischen den Blöcken im Kalten Krieg. Die Volksrepublik China nähert sich durch den Besuch des amerikanischen Präsidenten Nixon in China den USA an. Auch die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR normalisieren sich durch das Transitabkommen und den Grundlagenvertrag. Die Olympischen Spieel in München werden von der Geiselnahme der israelischen Athleten überschattet. Mit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome zur Lage der Menschheit wurde 1972 eine bis in unsere Tage fortwährende Diskussion über die Wirtschaftssysteme und die Begrenzung der Weltbevölkerung eingeleitet.
Schwarz oder Rot
Die geburtenstarken Jahrgänge der frühen 50er drängen Anfang der 70iger auf den Arbeits- und Bildungsmarkt. Durch die von dem späteren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Johannes Rau eingeleitete Bildungsreform konnten immer mehr junge Menschen auf dem zweiten Bildungsweg die Voraussetzungen für einen Hochschulabschluss bekommen. Allerorten wurden neue Universitäten und Fachhochschulen gegründet.
In Schmallenberg bieten vor allem die zahlreichen Betriebe der Textil- und Bekleidungsindustrie tausenden von Menschen aus dem Umland Arbeit. Schmallenberg wird „Strumpfstadt im Sauerland“ genannt. Allseits herrscht Aufbruchsstimmung. Die Schwarzen (CDU) stellen im Sauerland überall die Mehrheiten in den Rathäusern und ehrenamtliche Bürgermeister geben den Ton an. Für die Roten (SPD) bleibt dagegen oft nur der Protest. Eine Zeitung für die Schwarzen (Westfalenpost) und eine für die Roten (Westfälische Rundschau) tragen die unterschiedlichen Ansichten über lokale und andere Themen auf der journalistischen Ebene aus. Die Jugend lehnt sich zunehmend gegen „die Alten“ auf. Lange Haare bei den männlichen Jugendlichen sind ebenso wie die Miniröcke bei den jungen Frauen äußere Zeichen für den Protest. Es wird so ziemlich alles in Frage gestellt. Themen der 68er-Bewegung beherrschen die Gespräche.
Unterschiedliche Meinungen
Zwei persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit geben ein wenig die damalige Lage und Stimmung wieder. Die Jugendgruppe Arpe gab in unregelmäßigen Abständen für Arpe und Kückelheim eine Jugendzeitung mit dem Titel WIR heraus. Einmal wurde das Thema Ausbildung mit einer Zeichnung von Gottfried Schneider und der Überschrift „Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Hundejahre müssen es aber auch nicht sein.“ hervorgehoben. Bei der Westfälischen Rundschau (eher die Zeitung der SPD) wurde unser Bericht und die provokante Zeichnung dazu willkommen aufgenommen und veröffentlicht. Die Jugendgruppe und die Zeitung WIR konnten sich danach lange auf die wohlwollende Unterstützung der „roten“ Zeitung verlassen. Ein anderes Erlebnis In der Klasse 12 Wirtschaft und Soziales der Fachoberschule in Meschede kam es im Geschichts- und Politikunterricht nicht selten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Lehrer und den teilweise schon volljährigen Schülerinnen und Schülern. Galt es doch beispielsweise die Ostverträge und die neue Ostpolitik der Bundesregierung unter Willy Brandt zu würdigen und zu kritisieren. Während der Lehrer gleichzeitig auch Vorsitzender der JUSUS (Jugendorganisation der SPD) im Kreis Meschede war, gehörten zu den Schülern auch einige der engagiertesten Mitglieder der JU (Jugendorganisation der CDU), unter anderem auch unser heutiger Landrat. Regelmäßig kam es im Unterricht zu ausgiebigen und lautstarken Streitgesprächen, die einmal fast in einer tätlichen Auseinandersetzung geendet hätten. Zuhause, im Freundeskreis oder in der Kneipe wurden diese Themen, durchaus auch mal mit einer anderen Rollenverteilung engagiert und hartnäckig weitergeführt. „Wir müssen unbedingt mal darüber reden!“ hieß die Devise.
Gesund oder krank
Mitte der 60er Jahre kam es im Sauerland einmal zu auffällig vielen Tuberkulose (TBC)-Ausbrüchen bei Schülerinnen und Schülern. Die betroffenen Jungen und Mädchen kamen sofort in Quarantäne, nachdem einzelne zuvor für Wochen in sogenannten Isolierzimmern hiesiger Krankenhäuser behandelt wurden. Eine extra für diese „Pandemie“ errichtete Kinder- und Jugend-Lungenheilanstalt im Münsterland wurde für lange Zeit das Quartier der Schülerinnen und Schüler aus dem Sauerland und anderen Regionen des Landes. Die damalige Behandlung zur Heilung der gefährlichen und hin und wieder tödlich endenden Krankheit dauerte mindestens ein halbes Jahr, für manche sogar ein Jahr und länger. Das hiesige Gesundheitsamt führte sofort nach Ausbruch der Tuberkulose an den betroffenen Schulen und in den Orten wo es TBC-Kranke gab, Röntgen-Reihenuntersuchungen durch, um alle TBC-Kranken sofort zu erkennen. Unter der Überschrift „Der Röntgenzug fährt durch den Kreis“ hat WOLL Anfang Dezember 2021 darüber berichtet.
Vorsicht und Kontrolle
Wäre Covid also damals, vor 50 Jahren aufgetreten, dann wären vermutlich dort, wo Menschen erkrankt wären, die entsprechenden Isolierungen und Kontrollmaßnahmen im Betrieb, im betreffenden Ort oder einer Schule vorgenommen worden. Die Krankenhäuser hätten entsprechende Abteilungen eingerichtet. Das sonstige Leben wäre relativ normal weitergegangen. Es hätte Empfehlungen für Begegnungen und Treffen gegeben, um eine unnötige und unkontrollierte Verbreitung der TBC-Bakterien zu vermeiden. Für besonders gefährdete Menschen hätte es sicherlich noch weitere Schutzempfehlungen und -maßnahmen gegeben. Vielleicht hätte man Masken vorgeschlagen, wohl aber keine Zwangsmaßnahmen angeordnet. Es hätte keine Schulschließungen, Geschäftsschließungen oder Übernachtungsverbote gegeben. Da es keine nützliche Impfung gegeben hätte, wäre auch keine vorgeschrieben oder sogar verpflichtend geworden. Die Menschen hätten auf die Empfehlungen ihres Hausarztes zur Vermeidung einer Ansteckung und zum Schutz dagegen vertraut und auf die gute medizinische Versorgung. Die war vor 50 Jahren – so meine Erinnerungen – nicht schlechter als heute. Immerhin hatten wir in Bad Fredeburg, in Schmallenberg und in Eslohe jeweils ein eigenständiges Krankenhaus und dazu auch den Vorläufer des heutigen Fachkrankenhauses Grafschaft. Angst vor einer Überlastung eines der Krankenhäuser und damit der Angst vor einer Nichtbehandlung hatte wohl niemand von uns gehabt.
Sorge und Angst
Müssen wir also weiter in großer Sorge und mit fürchterlicher Angst vor einem Virus leben? Sollen wir weiter mit Masken, fragwürdigen Einschränkungen, ausufernden Geboten und Verboten sowie seltsamen Verurteilungen leben? Oder müssen wir nicht alle zusammen so miteinander umgehen und handeln, wie das hier auf dem Land in allen Zeiten den Menschen und der Gesellschaft geholfen und uns weitergebracht hat? Mit Respekt, Verständnis und gegenseitiger Unterstützung. Wird es nicht endlich Zeit, hier vor Ort das zu tun, was für uns und unsere Gäste im Sauerland das Beste ist? Und das ist in meinen Augen nicht unbedingt das, was uns die häufig sehr einseitig ausgerichteten Großstadtmenschen aus Politik, Wissenschaft und Medien Tag für Tag mit betroffener Mine sowie bedrohlich aussehenden Statistiken und Grafiken erzählen. Schauen und hören wir nicht besser auf die Fachleute und Experten vor Ort, die wir kennen und persönlich fragen können?