In Körbecke beliebt, in Lettland gefeiert
War es der romantische Name des Hauses, des “Mondscheinhauses”. Die Vorstellung des einsam am Seeufer sitzenden Mannes – die Angelrute in der Hand, die Augen auf vorbeiziehende Kraniche gerichtet? Oder war es das Foto des Dichters in jungen Jahren, dessen lockig in die Stirn fallenden Haare ihm etwas Verwegenes verliehen? Jedenfalls wollte ich mehr von dem lettischen Nationaldichter erfahren, der seine letzten Lebensjahre am Möhnesee verbrachte.
„Zurückhaltend, aber liebenswürdig“ – so bezeichneten ihn die Körbecker, manche nannten ihn auch „den Weisen vom See“. Man mochte ihn und seine Familie, auch wenn die Kontakte in den ersten Jahren nicht sehr intensiv waren. 1948 waren sie – nach Flucht und einigen Umwegen – in Körbecke angekommen. Ihr neues Zuhause, das damals abgelegene „Mondscheinhaus“ am Südufer, wurde im Laufe der Jahre zum Treffpunkt lettischer Exilanten, westfälischer Künstler und Schriftsteller.
„Wärmere Bekanntschaften begannen, als ich Menschen mit ähnlichen Berufen traf. Stück für Stück krochen solche hervor wie Krebse aus dem Sand“
Zwei deutsche Dichterkollegen waren es, mit denen er sich besonders anfreundete: Der in Meschede geborene Hannes Tuch und der Schriftsteller Erwin Sylvanus, welcher in Möhnesee-Völlinghausen wohnte. Ebenso war er auch befreundet mit dem dort lebenden Bildhauer Robert Ittermann sowie dem Journalisten Friedhelm Kaiser aus Soest.
„Dieser See bereitet mir besondere Freude, denn er erinnert mich an Lettlands größten Fluß, die Düna“
Jānis Jaunsudrabiņš (1877-1969) war nicht nur Dichter und Maler, sondern auch begeisterter Angler, weiß Jürgen Sittel, stellvertr. Vorsitzender des Heimatvereins Möhnesee. „Er verbrachte viele Mußestunden am Möhnesee. Hier entstanden auch seine in Deutschland bekanntesten Werke: „Kraniche über dem Möhnesee“ und „Erzählungen aus Lettland“. Leider fand er zu Lebzeiten keine geeigneten zuverlässigen Übersetzer außer seinen Schwiegersohn Willi Stöppler und der Deutschbaltin Martha von Dehn-Grubbe.
Wenn das Heimweh nicht so schmerzen würde, hätte er sich in Körbecke fast glücklich fühlen können, schrieb Jaunsudrabiņš 1949 an einen Freund.
Die frühen Jahre
Der begabte Sohn eines Landarbeiters aus dem südlettischen Dorf Nereta (Kurland) lernte schon früh Russisch und Deutsch, besuchte eine Landwirtschaftsschule und arbeitete später als Verwalter deutschbaltischer Adelsgüter. In dieser Zeit begann er zu malen und schriftstellerisch tätig zu sein.
1899 gab er seine Tätigkeit als Gutsverwalter auf und studierte an der privaten Kunstschule von Benjamin Blum in Riga, an der Janis Rozentāls unterrichtete. Ein Mäzen ermöglichte ihm 1908, zwei Semester als Meisterschüler bei Lovis Corinth in Berlin zu studieren. Anschließend kehrte Jaunsudrabiņš nach Lettland zurück, arbeitete als Redakteur, Schriftsteller und Zeichenlehrer.
Literarisches und künstlerisches Schaffen
In den 1920er Jahren war Jaunsudrabiņš der meistgelesene lettische Prosa-Schriftsteller. Sein Publikum erreicht er durch seine Bücher, Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen und auch durch den aufkommenden Rundfunk. Nach dem Ende des II. Weltkrieges und seiner Flucht nach Deutschland war er u. a. auch als Zeichenlehrer und Journalist tätig. Zahlreiche westfälische Zeitungen, Zeitschriften und Heimatkalender veröffentlichten seine Beiträge. Jaunsudrabiņš malte Landschaften, Porträts, illustrierte Bücher (einschließlich seiner eigenen) und schrieb Artikel über Kunst.
In seinen Büchern hat Jaunsudrabinš vor allem sein Leben verarbeitet: seine Kindheit und Jugend in Lettland, die Flucht aus Lettland, das Leben in Körbecke. In seinen Werken erzählt er vom Leben einfacher Menschen, realistisch und humorvoll. Manche verglichen ihn mit Mark Twain und Thomas Hardy. Jaunsudrabinš Erzählungen zählen heute zum Kanon der lettischen Literatur. Der P.E.N.-Club ehrte ihn 1952 für sein Lebenswerk
Die Frauen des Dichters
Jaunsudrabiņš war vier Mal verheiratet. Mit seiner ersten Frau Līze bekam er Tochter Lilija (1902-1969). Nach ihrem Tod (1921) heiratete er Elza. Die Ehe lief nicht gut, schon nach drei Jahren floh er aus dieser unglücklichen Beziehung. Mit seiner dritten Frau, Frīda Balode, war er nur ein Jahr glücklich, dann starb sie. Drei weitere Jahre später heiratete er Natālija Valdmane. Sie begleitete ihn 1944 auf seiner Flucht vor den heranrückenden Sowjettruppen und überlebte ihn um 14 Jahre.
Jānis Jaunsudrabiņš starb 1962 im Alter von 85 Jahren. Er wurde in Körbecke beigesetzt. 1997 wurden die sterblichen Überreste des Dichters, seiner Frau und seiner Tochter Lilija (1902–1969) nach Lettland überführt. Nach einem Staatsakt im Dom zu Riga fanden sie ihre endgültige Ruhe in Nereta, dem Geburtsort des Dichters.
Jürgen Sittel weiß auch, woher der Einnerungsort an den lettischen Nationaldichter, das denkmalgeschützte Mondscheinhaus, seinen Namen hat: „Seinen Namen erhielt das „Mondscheinhaus“ (Mēnesnīca) durch Jānis Jaunsudrabiņš wegen einer Klangähnlichkeit. Der Fluss „Möhne“, wird in lettischer Aussprache, die kein „ö“ kennt, zur Mēne -daher also ≈ Mēnesee. Der Mond heißt im Lettischen „mēness“ – folglich wird bei J.J. der Möhnesee zu „mēness ezers“ = Mondsee.