
Ägyptische Familie findet in Fleckenberg eine neue Heimat
Hört man das Wort „Flüchtlinge“, gehen bei vielen die Alarmlampen an: fremde Länder, fremde Sprache, fremde Menschen. Warum machen uns fremde Menschen und Kulturen Angst? Welche Rolle spielen Ahnungslosigkeit und Vorurteile? Was bewegt eine fünfköpfige Familie, ihr Heimatland Ägypten zu verlassen?
WOLL wollte es genauer wissen und hat nachgefragt. Die Familie Filobos lebt mittlerweile in Schmallenberg-Fleckenberg und versucht, im wahrsten Sinne, anzukommen. Die aus Ägypten stammende Familie hat vor eineinhalb Jahren den Entschluss gefasst, ihr Land, ihre Familie, Freunde, Haus und Hof zu verlassen – mit dem Wissen: Wir kommen nicht zurück. Das vertraute Umfeld zu verlassen, war eine schwere, aber notwendige Entscheidung. „Es ist schwierig, das zu erklären“, berichtet Osama Filobos, der mit seiner Frau und ihren drei Kindern aus seiner Perspektive auch ein fremdes Land, eine fremde Sprache und fremde Menschen kennenlernen muss. „Wir sind koptisch-orthodoxe Christen. Die Kopten sind immer wieder Ziel von Gewalttaten, die stark zugenommen haben. Abgesehen davon werden die Kopten nach wie vor vom Staat benachteiligt. Du darfst deine Religion also nicht leben, ansonsten …“, er bricht den Satz ab, als ob er den Gedanken nicht zu Ende denken will. Hinzu komme, erklärt uns der Familienvater, dass viele alte Bräuche und Traditionen nichts mit religiöser Freiheit zu tun haben. Ihm war klar, dass er und seine Familie traumatischen Erfahrungen durch religiöse Praktiken, Konflikte, Verfolgung und Gewalt entkommen müssen.
Familie, Freunde, Haus und Hof verlassen
Die politische und religiöse Lage in Ägypten war und ist brisant. Aufgrund von Spannungen zwischen Kopten und Muslimen, die mitunter auch in Gewalttaten islamistischer Gruppen münden, und wegen des Wunsches nach wirtschaftlicher Verbesserung sind viele Kopten ausgewandert. Abgesehen davon ist die Religionsfreiheit ein großer Beweggrund. Was sind denn „Kopten“? Gegründet wurde die Kirche durch den Evangelist Markus bereits im ersten Jahrhundert nach Christus. Eine eigenständige „koptische Kirche“ hat sich dann im fünften Jahrhundert nach Christus in Folge eines theologischen Streits entwickelt. „Kopten“ ist die arabische Bezeichnung für Ägypter. Sie sind als religiöse Minderheit im Grunde seit Jahrhunderten massivem Druck ausgesetzt.
Und wie landete Familie Filobos in Schmallenberg? Der Weg war lang, ist aber schnell zusammengefasst. Von Ägypten über den Luftweg nach Deutschland. Mit ihren gültigen Ausweispapieren ging es von Frankfurt nach Bochum in die Landeserstaufnahmeeinrichtung. Von dort in die Aufnahmeeinrichtung für Aussiedler und Flüchtlinge nach Unna-Massen. Über Soest ging es schließlich nach Fleckenberg in eine Container- Anlage. Wann sie wohin geschickt werden, unterliegt einem speziellen Verfahren, auf das sie keinen Einfluss hatten. Alle Asylsuchenden werden nach einem bundesweit festgelegten Verteilschlüssel den Bundesländern zugeteilt. Vor vier Wochen hat es die Familie geschafft, eine eigene, kleine Wohnung in Fleckenberg zu beziehen. Der anstrengende und entbehrungsreiche Weg in die Freiheit und ins „neue, fremde“ Leben war nicht leicht. Wichtig ist allen, dass sie ganz schnell die Sprachbarriere überwinden. Alle lernen täglich. Und das ist gar nicht so einfach. Denn abgesehen von neuen Vokabeln und Aussprache ist das arabische Schriftbild komplett anders. Um einen Eindruck zu bekommen: „Wir haben unsere Heimat verlassen und kehren nie wieder zurück“ heißt und schreibt sich: لقد غادرنا وطننا ولن نعود أبدا

Von der Containeranlage in eine eigene Wohnung
Nun wird einmal mehr deutlich, wie hart auch der Verständigungsstart war. Das heißt, um Deutsch zu sprechen und zu lesen, musste erst einmal eine sogenannte Alphabetisierung erlernt werden.
Das Interview beziehungsweise aufklärende Gespräch wurde in drei Sprachen geführt: Arabisch, Englisch und Deutsch. Die drei Kinder, Gacika (19), George (16) und Jasmin (11), gehen in Schmallenberg zur Schule und machen enorme Fortschritte. Der Schulstart erfolgte für alle auf der Hauptschule. Die beiden Ältesten konnten bereits auf das Gymnasium wechseln. „Ich freue mich, dass unsere Kinder frei großwerden dürfen. Ohne Verfolgung, ohne Verschleierung und ohne Angst“, sagt Maryam Filobos, die Mutter, erleichtert.
Für die Eltern steht nun der berufliche Start ins neue Leben an. Beide haben ihre Führerscheine und Personenbeförderungsscheine gemacht und werden ab September Busfahrer. „Zu arbeiten ist mir wichtig. Wir hatten immer eigenes, erarbeitetes Geld. Ich war LKW-Fahrer und meine Frau hatte einen Beauty- Salon. Ich kann es nicht ertragen und auch mit meinem Glauben nicht vereinbaren, fürs Nichtstun Geld zu bekommen. So sind wir nicht“, ergänzt Osama Filobos. Für die Kinder steht fest: schnell und viel lernen und dann Medizin studieren.
Dass sie in ihrer ägyptischen Heimat als Christen unter der Diskriminierung durch Behörden und muslimischen Anfeindungen litten, werden die Eltern Filobos wohl nie vergessen. Sie haben sich im Sinne ihrer Kinder entschieden, ihr Land zu verlassen, um ihre persönlichen Lebensumstände und die Zukunft ihrer Kinder zu verbessern und nicht zuletzt zu sichern. Ihr Wunsch, bei uns zu arbeiten, zu lernen und zu leben und letztendlich integriert zu werden, ist groß. Dabei betrifft Integration uns alle – Alteingesessene ebenso wie Zugewanderte.