In Würde alt werden

Ein neues Konzept für Pferde im Ruhestand

Was geschieht eigentlich mit den Pferden, die alt werden und so nicht mehr als Schulpferd im Unterricht eingesetzt werden können? In der Regel ist es so, dass ein neuer Stall für den Lebensabend gesucht wird, wo sie ihr „Gnadenbrot“ bekommen. Nicht so bei Brita Hurtienne in Schmallenberg.

Brita Hurtienne hat vor über zwanzig Jahren die Reitanlage unterhalb des Höhenliftes in Schmallenberg übernommen und dort ein wahres Paradies für Pferde geschaffen. Mit ihrem Lauf-Aktivstall hat sie auch das Rai-Reiten ins Sauerland gebracht. Diese Reitweise und alles, was mit der Psychologie der Pferde zu tun hat, kann man bei ihr lernen. Rai-Reiten ist etwas für Menschen, die eins mit der Natur sein wollen und sich mit dem Lebewesen Pferd beschäftigen möchten. Passend dazu werden in dieser Reitweise viele Ausritte in die Natur unternommen, teilweise auch über mehrere Tage auf Wanderritten. So lassen sich Spots entdecken, die man zu Fuß nicht erreichen würde.

In Schmallenberg bleiben ehemalige Schulpferde bei Brita und in ihrer gewohnten Umgebung, was ganz wichtig ist. Sie müssen sich im Alter nicht mehr an eine neue Herde oder einen neuen Stall gewöhnen, was unnötigen Stress für die Tiere vermeidet. Neben den (ehemaligen) Schulpferden gibt es auch zahlreiche Einstaller, sodass über 40 Pferde am Fuße des Höhenliftes abseits des Trubels ihr Zuhause haben.

Neben dem zeitlichen Aufwand ist auch der finanzielle Aspekt enorm groß. Das war kein Problem, bis Corona kam. Auch Brita hatte zu kämpfen, da der Reitbetrieb über ein halbes Jahr eingestellt werden musste. Zusammen mit Madeleine Richter hat Brita den Verein „Handicap Pferd im Glück“ gegründet. Dieser Verein, der durch Spenden finanziert wird, soll den Oldies auf dem Hof die Rente sichern. Der Verein besitzt unter anderem Hexe, die an Pseudonarkolepsie erkrankt ist. Sie legt sich nicht zum Schlafen hin und fällt beim Dösen im schlimmsten Fall einfach um. Durch die Sicherheit in ihrer kleinen Herde hat sich ihr Zustand deutlich verbessert. Außerdem wurde der abgetrennte Bereich mit Kunstrasen ausgelegt, sodass das Verletzungsrisiko so gering wie möglich gehalten wird. Neben Hexe lebt auch Chochana in der Herde. Die Appaloosa Stute ist mittlerweile komplett blind. Auch sie ist ein ehemaliges Schulpferd und kennt die anderen Pferde und auch den Hof. Hexe ist quasi ihr „Blindenpferd“ und mit anfänglichen Hilfsmitteln wie Glöckchen oder Duftbäumen, um den Weg zu Futter- und Wasserstelle zu weisen, findet sie sich mittlerweile super zurecht und kann so ein artgerechtes Leben trotz Handicap führen.

Wie man sich vorstellen kann, ist die Betreuung dieser Pferde sehr kostenintensiv, sodass Brita und Madeleine auf Spenden angewiesen sind. Beiden ist es wichtig, den Pferden trotz Alter und Einschränkungen ein artgerechtes Leben mit Qualität zu bieten. Da Pferde keinen Schmerzlaut besitzen, ist es wichtig den ihnen nochmal extra Aufmerksamkeit zu schenken und im Zweifel den Tierarzt zu rufen. Kein Pferd soll sich quälen, das ist ganz wichtig.

Wir kennen es von uns Menschen. Mit dem Alter halten wir Ausschau nach einer Barrierefreien Wohnung. Auch bei Pferden mit Handicap ist es wichtig auf gewisse Dinge zu achten. Neben dem bereits erwähnten Kunstrasen, gibt es eine mobile Futterstelle, eine großflächige Liegefläche, die mit Stroh ausgelegt ist und eine ebene Wiese, ohne Stolperfallen. Die Vereinspferde leben in ihrem abgetrennten Bereich, da dort auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden kann. Kontakt zu den anderen gibt es aber natürlich trotzdem. Geritten werden die Oldies nicht mehr, aber um Ihnen trotzdem Abwechslung und Bewegung zu ermöglichen, werden sie zu Spaziergängen ausgeführt.

Durch ihr meist hohes Alter haben Hexe und Co. Erfahrung und eine gewisse Gelassenheit. So sind sie die perfekten Begleiter für ängstlichere Pferdefreunde. Außerdem kann man durch eine Patenschaft die Beziehung zum Pferd verstärken. Durch diesen kleinen Betrag für die Patenschaft unterstützt man gleichzeitig die Arbeit des Vereins.

Durch Corona hat der Verein viele Spenden bekommen, weswegen das Projekt „Pferde stärken“ gestartet wurde, um den Menschen als Dank etwas zurückzugeben. Brita und Madeleine sind so als „mobile Wunscherfüller“ mit Pferden in Seniorenheimen und Kindereinrichtungen unterwegs. Da die Reise dorthin zu anstrengend für die Handicap Pferde wäre, dürfen andere Artgenossen diesen Job übernehmen. Aber gegen eine extra Portion Leckerlie und Streicheleinheiten gibt es keine Einwände …

Mehr Infos zum Verein Handicap Pferde im Glück unter handicappferd-im-glueck.de und zum Rai-Reiten unter rai-reiten.net