In den Spitzen der Bäume hat man die allerbesten Aussichten

Ein Buch über einen der unverstandensten und unbekanntesten Stämme des Landes

Sauerland als Lebensform

Ulrich Rauff

Der Titel des Buches stellt alles bisher Geschriebene über das Sauerland in den Schatten. Weder Anette von Droste- Hülshoff noch spätere Literaten, die sich mit dem Sauerland auseinandergesetzt haben, ist dieser Titel eingefallen: „Sauerland als Lebensform“ macht ungemein neugierig und stellt das Sauerland unweigerlich in einen Zusammenhang mit der ganzen Ausrichtung des Lebens. Von Beginn an hat sich das WOLL-Magazin als das Magazin für die Sauerländer Lebensart gesehen und bezeichnet. Im Interview mit Ulrich Raulff wollten wir erfahren, warum das Sauerland als Lebensform gesehen werden kann.

WOLL: Wie kam es dazu, dass Sie ein Buch mit dem Titel „Sauerland als Lebensform“ geschrieben haben?
Ulrich Raulff:
Die Anregung kam von der Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Jemand, der mich gut kennt, und um meine Herkunft weiß, hat der Krupp-Stiftung diese Reihe vorgeschlagen. Und er hat tatsächlich auch den Titel erfunden. Das fand ich so charmant, dass ich das mit großer Lust und Vergnügen geschrieben habe. Dann habe ich drei längere Reisen durch das Hochsauerland gemacht, was ich natürlich als Westsauerländer nicht so gut kenne wie das märkische Sauerland.

WOLL: Geboren und aufgewachsen sind Sie in Hülseberg, einem Dörfchen zwischen Meinerzhagen, Kierspe und Herscheid. Wann wurde Ihnen klar, dass das Sauerland mehr als Meinerzhagen und Fürwiggetalsperre ist?
Ulrich Raulff:
Mein Großvater baute wunderbare Starenkästen, also Nistkästen für Vögel. Wir hatten eine große Starenkolonie und ich durfte immer in die Spitzen der allerhöchsten Bäume klettern und die Kästen befestigen. Das war eine Aussicht. Von da oben aus ahnte ich, dass es ein weites Land war und habe begriffen, dass das Sauerland Größe und Qualität hat. Dazu hatte ich einen fantastischen Volksschullehrer. Der hat große Wanderungen mit uns gemacht und uns in der Regionalgeschichte unterrichtet. Er ist auch mit uns zu Köhlern gegangen, auf die Nordhelle, auf die Burg Altena und zu anderen wichtigen Orten. So hat er uns mit der Geschichte, der Biographie und der Wirtschaftsweise des Sauerlandes vertraut gemacht.

WOLL: Als Historiker und Autor blicken Sie mit kritischen Augen auf Ereignisse und Geschehnisse. Hat sich der Blick auf das Sauerland im Laufe der Zeit geändert?
Ulrich Raulff:
Ich habe an vielen Zweigen der Geschichte Interesse, besonders an Sozialgeschichte. Als Sozial- und Wirtschaftshistoriker sieht man natürlich den Strukturwandel, der sich im Sauerland vollzogen hat. Im Hinblick auf die Militärgeschichte sieht man, was die Kriegs- und Nachkriegszeit mit dem Sauerland gemacht hat. Ich interessiere mich für Literaturgeschichte. Das wird auch imBuch deutlich, als ich einzelnen Spuren im Sauerland nachgegangen bin. Dass ich Historiker geworden bin, hat meinen Blick vertieft und multipliziert.

WOLL: Das WOLL-Magazin nimmt in Anspruch, das Magazin für die Sauerländer Lebensart zu sein. Hat die ländliche Region am Rande Westfalens die Überhöhung „Sauerland als Lebensform“ verdient?
Ulrich Raulff:
Ich finde nicht, dass es eine Überhöhung ist. Die Sauerländer haben bestimmte Eigenschaften, zum Beispiel einen ausgeprägten Feinsinn für Naturmaterial: Holz, Stein, und das, was man daraus machen und bauen kann. Die Diskussionen um Nachhaltigkeit und Klimaschutz machen das akuell. Die Wälder hier haben gelitten durch die Dürreperiode in den Jahren 2018 und 2019. Viele Fichtenbestände sind zerstört worden. Trotzdem bleiben die Wälder des Sauerlandes. Förster, Forstwissenschaftler und Forstwirtschaftler werden Wege aus der Krise herausfinden und die Wälder gut in Schuss halten. Schauen Sie sich mal Wälder in anderen Gegenden Deutschlands an, in Berlin und in Brandenburg. Oder fahren Sie nach Italien. Dann erkennen Sie, was ein anständiger Sauerländer Wald ist. Deshalb würde ich zur Lebensform sagen, wenn Sie diese Elemente mal alle zusammennehmen, dann können Sie sagen, die Sauerländer haben Stil.

WOLL: Die Holzkohlegewinnung und die fortschreitende Industrialisierung, die eng mit der Entwicklung der Firma Krupp verbunden ist, sorgten vor über 200 Jahren für eine vorübergehende Entwaldung und der Anpflanzung der Fichte in unseren Regionen. Die Fichte ist der Brotbaum des Sauerlandes geworden. Die Sauerländer haben verstanden, damit umzugehen. Es wird hoffentlich auch nach diesen Trockenperioden gelingen, neue Formen der Waldbewirtschaftung zu findet, wie damals mit dem Sauerländer Weihnachtsbaum.
Ulrich Raulff:
Natürlich, wir lernen doch immer nur aus Krisensituationen.

WOLL: Im Lied der Sauerländer heißt es: „Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland“. Schlägt Ihr Herz heute auch noch für das Sauerland?
Ulrich Raulff:
Ja, für das Sauerland und seine Bewohner. Uns wird ja immer nachgesagt, wir seien stur. Aber wenn sie sich das mal bei Licht ansehen, besagt das, dass der Sauerländer gerne in Ruhe gelassen wird. Aber er lässt auch andere in Ruhe. Er redet nicht auf Leute ein. Er will niemanden bekehren. Sie können das stur nennen, Sie können auch sagen, dass ist konservative Liberalität.

Quelle: Aschendorff Verlag
Der Essay: „Sauerland als Lebensform“

WOLL: Wer sollte das Buch „Sauerland als Lebensform“ unbedingt lesen?
Ulrich Raulff:
Das Buch ist für alle Sauerländer gedacht, nicht nur für Anfänger der sauerländischen Lebensart, sondern auch für die, die im fortgeschrittenen Stadium sind.

WOLL: Gilt das auch für Politiker und Verantwortlichen in den Organisationen, die sich berufsmäßig mit dem Sauerland beschäftigen? Hierzu gehört die Diskussion Südwestfalen versus Sauerland. Ihrem Buch nach ist das Sauerland kulturhistorisch eine andere Region als eine gewollte Region Südwestfalen.
Ulrich Raulff:
Ja natürlich, das sind ganz unterschiedliche alte Prägungen durch Tradition und Religion. Da sieht man mal, welche Ballungskraft darin steckt. Das gehört eben auch zur Lebensform.

WOLL: Das macht das Buch „Sauerland als Lebensform“ vermutlich zu einem der wichtigsten Werke, das es je über das Sauerland gegeben hat.
Ulrich Raulff:
Es gibt ja nicht viele. Die ganz Großen haben ein paar nette Sachen geschrieben. Heinrich Heine hat das am Rande erwähnt, Max von der Grün hat die grüne Lunge beschrieben.

WOLL: In ihrem Buch stellen Sie in einer sehr vergnüglichen und unterhaltsamen Form das Sauerland und seine Entwicklung auf literarisch höchstem Niveau vor. Ich bin überzeugt, dass dies unser Sauerland lange prägen wird. Es gibt so viele Zitate daraus, die man entnehmen kann, um einzelne Aspekte des Sauerlandes treffend zu beschreiben. Ein kleines Büchlein mit großer Wirkung.
Ulrich Raulff:
Sehr schön, wie Sie das beschreiben. Vielen Dank, Herr Hoffe.