Immer mit beiden Beinen auf der Erde bleiben

Franz-Otto Falke (97) hat alle vier Generationen des Familienunternehmens FALKE miterlebt

In normalen Zeiten hätte es in diesem Jahr in Schmallenberg ein großes Firmenjubiläum gegeben. Denn vor 125 Jahren, 1895, wurde das Familienunternehmen FALKE durch Franz Falke, den Urgroßvater der heutigen Inhaber Franz-Peter und Paul Falke, gegründet. Ohne Frage ein schöner Grund, dieses große Jubiläum gebührend zu feiern. Doch daraus wurde aus allseits bekannten Gründen nichts. WOLL-Herausgeber Hermann-J. Hoffe und Rainer Zepernick, der gestalterische Kopf hinter WOLL, haben selbst lange Jahre für die Firma FALKE gearbeitet. Es war daher eine ganz besondere Ehre und große Freude, im Jubiläumsjahr 2020 mit dem 97-jährigen Seniorchef Franz-Otto Falke ein Interview zu führen. Franz-Otto Falke hat zusammen mit seinem 1990 verstorbenen Bruder Paul Falke das Unternehmen in dritter Generation über 40 Jahre geführt. Als kleiner Junge erlebte er noch den Gründer Franz Falke-Rohen, danach das unternehmerische Geschick seines Vaters Franz jr., dessen Erbe er nach dem frühen Tod des Vaters 1951 zusammen mit seinem Bruder erfolgreich weiterführte. Zum Interview treffen wir uns frühmorgens in dem in den 50er Jahren gebauten Haus am Aberg. Die Haustür ist weit geöffnet. Frische Morgenluft durchflutet den Eingang. Franz-Otto Falke hat uns schon gehört und empfängt uns mit den Worten: „Wenn ich nicht wüsste, wer Ihr seid, könnte ich Euch nicht erkennen. Meine Augen tun es leider nicht mehr.“ Wir nehmen am großen, runden Tisch Platz und fühlen uns herzlich willkommen.

WOLL: Wir sind dankbar und freuen uns, dass wir mit Ihnen heute dieses Interview führen dürfen. Wie geht es Ihnen, wie fühlen Sie sich in dieser von der Corona-Krise geprägten Zeit?
Franz-Otto Falke:
Von Corona merke ich nicht viel, aber das Alter, das macht sich doch bemerkbar. Leider kann ich nicht mehr lesen und arbeite daher auch nicht mehr. Einoder zweimal in der Woche lasse ich mich noch ins Büro fahren, um einige Sachen zu erledigen.

WOLL: Ein Blick in den Geschichtskalender sagt, dass die Firma FALKE in diesem Jahr ihr 125-jähriges Firmenjubiläum feiern kann. Ihr Großvater Franz Falke-Rohen hat das Unternehmen 1895 gegründet. Haben Sie Ihren Großvater noch in Erinnerung?
Franz-Otto Falke:
Ja! Wir wohnten damals alle am Kirchplatz. Wir in der ersten Etage. Opa und Oma und einige Söhne im Erdgeschoss. Abends, wenn alle am großen Tisch beim Abendessen zusammensaßen, da saß er ganz still da. Mehr weiß ich aber auch nicht mehr (Anmerkung: Franz-Otto Falke wurde 1923 geboren, der Großvater starb 1928). Am aktivsten war meine Oma. Auf die muss ich ein Loblied singen. Sie hat die Familie zusammengehalten und dafür gesorgt, dass es weiterging. Das Geld war immer knapp. Oft fuhr mein Opa als Lohnstricker für Textilien mit der fertigen Ware morgens mit dem ersten Zug von Altenhundem nach Essen und bekam dafür wieder Geld und 20 Kilo Garn. Mit denen fuhr er dann abends zurück und machte sich mit den 20 Kilo auf dem Rücken zu Fuß von Altenhundem nach Schmallenberg. Danach hatte die ganze Familie wieder für ein paar Tage etwas zu tun.

Die Erinnerungen an die frühen Jahre der Firmengeschichte FALKE sind von Erzählungen und Geschichten geprägt, die in der Familie von Jahr zu Jahr weitererzählt wurden. Das erste Jubiläum im Jahr 1920 ging mit dem Bau eines neuen Fabrikgebäudes einher, dem heutigen Hauptfirmensitz in der Oststraße. Zwei Jahre zuvor hatte die Familie Falke-Rohen die Woll- und Haargarnspinnerei Carl Meisenburg in Schmallenberg erworben, die spätere Firma Falke Garne. Der markante hohe Schornstein, ein Wahrzeichen am Eingang von Schmallenberg, zeugt noch heute von den Entwicklungen in dieser Zeit. Die zweite Phase der Firma FALKE von 1920 bis 1945, die Kinder- und Jugendzeit von Franz-Otto Falke, war geprägt von den rasanten Veränderungen in Deutschland mit Inflation, Weltwährungskrise, Machtergreifung durch die Nazis, Kriegsvorbereitungen und dem Zweiten Weltkrieg. Das Ende des Krieges und das 50-jährige Jubiläum von FALKE fielen zufälligerweise zusammen. An eine Jubiläumsfeier war natürlich nicht zu denken. Stattdessen galt es, sich unter den gegebenen, katastrophalen Bedingungen Gedanken zu machen und Schritte in eine hoffentlich bessere Zukunft zu wagen.

Quelle: Archiv
Franz-Otto Falke, seine Frau Annemie und Klaus Gerwin (50er Jahre) (Foto: Archiv FALKE)

WOLL: Die Jubiläumsjahre der Firma FALKE waren meist auch so etwas wie Wendepunkte in der Unternehmenshistorie. 1920 wurde der heutige Firmensitz in der Oststraße gebaut. 1945 wurde der Startschuss für die Entwicklung der Marke FALKE gelegt (WOLL hat in einem Interview im Frühjahr 2012 mit Franz-Otto Falke und seinem Freund Klaus Gerwin ausführlich darüber berichtet). 1970 wurde in der Stadthalle groß gefeiert. Der legendäre Jazz-Musiker Duke Ellington spielte auf der Jubiläumsfeier. 1995 hatte Falke gerade einen Umweltpreis bekommen. Und heute, im 125. Jubiläumsjahr, sorgt Corona dafür, dass das Jubiläum ohne Feier vorüberzieht. Welches Ereignis in 125 Jahren Firmengeschichte war aus Ihrer Sicht unter dieser Betrachtung vielleicht das wichtigste?
Franz-Otto Falke: Das ist schwer zu sagen. Es gibt nicht den einen entscheidenden Punkt. Es gab immer eine Reihe von Entwicklungsschritten. Ich habe praktisch erst ab 1945 mitbekommen, wie so eine Firma funktioniert. Mein Bruder und ich hatten das große Glück, dass wir zum Kriegsende wieder in Schmallenberg waren und mithelfen konnten, die Firma wieder aufzubauen. Die Erinnerungen an das Wirken unserer Oma sind im Nachhinein von ganz besonderer Bedeutung für die Entwicklung von FALKE. Natürlich war das 75-jährige Jubiläum mit dem Auftritt von Duke Ellington ein besonderes Ereignis. Das bringt ein bisschen zum Ausdruck, was uns von anderen unterscheidet. Sehr stark hängt das auch mit unserem Freund Klaus Gerwin zusammen. Mit ihm haben wir in der Zeit nach dem Krieg oftmals nächtelang zusammengesessen, Ideen entwickelt, diskutiert, entschieden und Dinge umgesetzt. So wurde zum Beispiel bereits 1946 „FALKE“ und das bekannte rote Logo als Marke angemeldet und eingetragen. Mein Bruder Paul und ich haben Klaus Gerwin in den gestalterischen Dingen, von denen wir wenig Ahnung hatten, immer voll und ganz vertraut. Er war ein Glücksfall für unser Unternehmen. Vermutlich wäre ohne sein Wirken alles ganz anders verlaufen.

WOLL: 1951, nach dem Tod Ihres Vaters, übernahmen Sie zusammen mit Ihrem Bruder Paul die Verantwortung für das expandierende Unternehmen. Waren Sie darauf vorbereitet?
Franz-Otto Falke:
Unser Vater hat uns schon etwa 1946 zur Ausbildung nach Aachen und Reutlingen geschickt. Mein Bruder Paul hat in Aachen die Textilingenieursschule besucht und ich in Reutlingen die Fachschule für Strickereitechnik. Das Studium dauerte zwei Semester. Danach war mein Bruder automatisch für die Spinnerei auf der Meisenburg verantwortlich und ich für die Strickerei.

WOLL: Fast 70 Jahre gehörte die tägliche Fahrt ins Büro in der Oststraße zu Ihrem Leben, Urlaubszeit und Feiertage ausgenommen. Was hat Sie angetrieben und was treibt Sie sogar heute noch an, in die Firma zu kommen?
Franz-Otto Falke:
Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe. Für meinen Bruder und mich war das selbstverständlich. Es war nicht die Idee, m.glichst viel Geld zu verdienen, es war eine Verpflichtung, das vom Vater beziehungsweise vom Großvater und der Großmutter Übernommene weiterzuführen. Und hier komme ich besonders auf die Großmutter zurück: Ohne sie gäbe es uns nicht mehr. Die Oma war eine einzigartige Persönlichkeit mit einer mitreißenden Energie.

WOLL: Als „Schmallenberger Junge“ haben Sie die Entwicklung der Stadt Schmallenberg und des Sauerlandes über beinahe einhundert Jahre mitverfolgt. Was hat sich in dieser Zeit geändert?
Franz-Otto Falke:
Grundsätzlich hat sich nichts geändert. Es sind die Firmen übrig geblieben, die sich sehr zeitig auf die Zukunft ausgerichtet haben. Als Beispiel erwähne ich gerne das Thema Werbung. Wir hatten seinerzeit von Werbung und Öffentlichkeitsarbeit keine Ahnung. Klaus Gerwin und mein Freund Erich Hofmann, den ich seit meiner Schulzeit kannte, haben uns auf diese Dinge aufmerksam gemacht. So waren wir geistig vorbereitet und konnten die Entwicklung vom Verkäufer- zum Käufermarkt mit entsprechenden Werbemaßnahmen gut bestehen. 1976 haben wir den Deutschen Marketingpreis für unsere Arbeit erhalten. Das war eine Anerkennung für unsere erfolgreiche Unternehmenspolitik, die sich den veränderten Rahmenbedingungen schon früh angepasst hatte.

Quelle: Falke Archiv
Vor 44 Jahren erhielt Falke den deutschen Marketingpreis. Paul Falke und Franz-Otto Falke präsentieren stolz die Medaille (Foto: Archiv FALKE)

WOLL: Wer Sie kennt und öfter mit Ihnen spricht, weiß, dass Sie eine besondere Liebe für die plattdeutsche Sprache haben. Nicht wenige werden von Ihnen auf Plattdeutsch begrüßt und verabschiedet. Was bedeutet Ihnen die heimische Mundart?
Franz-Otto Falke:
Das Plattdeutsche bedeutet mir viel. Aber ich vermute, dass es ausstirbt. Je länger man hier lebt, desto mehr fühlt man sich der Gegend und den Leuten verbunden. Ich spreche gerne Platt, aber es gibt kaum noch Leute, die Plattdeutsch verstehen und sprechen. Früher wurde es von allen in der Familie gesprochen. Wenn die Oma dann mal mit dem Vater Hochdeutsch sprach, wusste man: „Jetzt wird es ernst!“

WOLL: Wir wissen, dass Sie schon seit Ihrer Jugend neben der klassischen Musik auch die Jazz-Musik lieben. Unvergessen bleibt der Besuch Duke Ellingtons 1970 in der Stadthalle Schmallenberg bei einem FALKE Jubiläumsfest. Welchen Stellenwert hat die Musik in Ihrem Leben?
Franz-Otto Falke:
Keinen, der alles beherrschte. Das kam erst durch die Freundschaft zu Klaus Gerwin. Der sprach übrigens gerne Plattdeutsch, konnte aber auch vier Fremdsprachen und verschaffte uns dadurch den Zugang zur Modewelt. 1958 bekamen wir eine Lizenz von Dior Paris und später auch den Kontakt zu Armani. Die entsprechende Musik, um Ihre Frage zu beantworten, begleitete dies und hat mich ebenso begeistert.

WOLL: Sie haben, wir sagten es schon, drei Viertel der Unternehmensgeschichte miterlebt und ein langes, sehr erfülltes Leben gelebt. Können Sie uns in diesem Corona-Pandemie-Jahr eine hoffnungsvolle Botschaft mit auf den Weg geben?
Franz-Otto Falke:
Mit den Beinen auf der Erde bleiben. Nicht hochnäsig werden. Das ist das Allerschlimmste. Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz, sagt ein Sprichwort. Interessiert an allem sein, neugierig bleiben. Und ich wiederhole es gerne: mit den Beinen auf der Erde und Sauerländer bleiben. Das ist auch ein Antrieb bei mir, auch wenn ich dem einen oder anderen mit Plattdeutsch auf die Nerven gehe. Aber das hat schon einen ernsten Hintergrund, damit ich mit den Beinen auf der Erde bleibe.

WOLL: Und wie bleibt man mit beiden Beinen auf der Erde?
Franz-Otto Falke:
Das geht nicht automatisch. Man muss natürlich in die Zukunft blicken. Die liegt nicht alleine in Schmallenberg, das ist klar. Doch als Standort und Ursprung ist das unbezahlbar. Deshalb muss man nicht eingeschränkt oder begrenzt bleiben. Es gibt eine ganze Reihe anderer Firmen hier in Schmallenberg und im Sauerland, die sich so entwickelt haben. Gott sei Dank. Mir ist immer bewusst gewesen, dass wir hier eine einmalige Lage haben und eine traumhafte Umgebung. Doch die Lage alleine macht es nicht. Die Menschen, die hier agieren, darauf kommt es an. Das stelle ich immer bewusst heraus. Auch wenn es manchem auf den Wecker geht. Im Laufe der Jahrzehnte hat man natürlich viele Menschen kennengelernt. Auch die, die in unserer Firma waren. Die einen passten da rein, die anderen waren Blender. Das merkt man erst hinterher. Doch der Erfolg von FALKE ist auch der Erfolg, und das ist mir wichtig zu sagen, unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem ganzen Sauerland und auch aus den jeweiligen Standorten der Tochterfirmen in Deutschland und der Welt.

WOLL: Herr Falke, wir bedanken uns für das sehr persönliche und herzliche Gespräch mit Ihnen. Es war sehr bereichernd und ein starker Ansporn. Wir wünschen Ihnen alles Gute und Gottes Segen.

Das Interview führten WOLL-Herausgeber Hermann-J. Hoffe, der von 1969 bis 1981 als Lehrling und danach als Mitarbeiter in der Werbeabteilung und im Marketing bei FALKE tätig war, und Rainer Zepernick, der von 1977 bis 1981 als Grafik-Designer in der FALKE Werbeabteilung arbeitete und danach als Selbständiger weiter für FALKE gearbeitet hat. Dem dynamischen und zupackenden Firmenchef Franz-Otto Falke und Schmallenberger Bürger „Ötte“ sind sie viele hundert Male begegnet und sie haben ihn immer sehr geschätzt.

Dieser Beitrag erschien in der Winterausgabe 2020 des WOLL-Magazins Schmallenberg-Eslohe. Das WOLL-Magazin könnt ihr im Zeitschriftenstand oder im WOLL-Onlineshop https://woll-onlineshop.de/woll-magazin/ erhalten.