Im Mai 2008 wurde die Sauerland-Waldroute eröffnet, der nördlichste der (mit dem Rothaarsteig und Sauerland-Höhenflug) drei großen Trails durch das Land der tausend Berge: Rund 240 Kilometer Strecke liegen vor dem Wanderer, der sich in Iserlohn oder in Marsberg auf den Weg macht – und vor allem: viel Wald! Mehr als 100 Kilometer führt die Waldroute unter dem Motto „zauberhaft mystisch“ durch den Naturpark Arnsberger Wald.
Natur in ihrer ganzen Vielfalt steht im Vordergrund des Weges, den man gut in 16 Etappen bewältigen kann: Dichte Wälder, Moore, Seenlandschaften, dazu auch sehenswerte Reste vergangener Kulturen – auf diesem Weg dürfte jeder das Passende finden. Wer nur wenig Zeit hat oder sich erst einmal „warmlaufen‘‘ möchte, dem seien die ausgezeichneten Rundwege entlang der Strecke wärmstens anempfohlen. Links und rechts des Weges lässt sich auch so manches entdecken …
Von Iserlohn aus führt die eindrucksvolle Route zunächst nach Hemer, wo es gleich einen ersten Höhepunkt zu sehen gibt: Das Felsenmeer, ein wahres Labyrinth von Felsen, Vertiefungen, Spalten, das über Jahrhunderte entstanden ist durch Erosion durch Wasser und Wind, aber auch durch den Menschen: Schon um das Jahr 1000 soll hier nach Erzen geschürft worden sein. Die außergewöhnlich bizarre Formation erstreckt sich immerhin über eine Länge von etwa 700 Metern. Seit der Landesgartenschau 2010 sorgen eine wellenförmige Brücke und eine Aussichtsplattform für den ,,richtigen“ Durchblick.
Weiter geht’s in Richtung Hönnetal, das bis heute seinen wildromantischen Charakter behalten hat, der schon Westfalens große Dichterin Annette von Droste-Hülshoff und ihre Begleiter aus dem flachen Münsterland begeistert hat: „Es ist eine romantische Wanderschaft; das Tal klemmt sich immer wilder und düsterer endlich zur engen Schlucht zusammen; die schmale Hönne rauscht pfeilschnell unten über kantige Felsbrocken, aufbrodelnd und Streichwellen über den Fußweg schleudernd, bis endlich aus tiefem Kessel uns das Gebrause und Schäumen einer Mühle entgegen stürmen. Hier ist die Fährlichkeit überwunden, eine kühne kuppige Felswand springt vor uns auf, darüber ragen die Ringmauern und Trümmer der alten Burg, aus der ein neueres Wohnhaus wie ein wohlhabiger Pächter einer alten Ritterherrlichkeit hervorlugt.“
Die Droste meinte zweifelsohne die beeindruckende Burg Klusenstein, die geradezu majestätisch über dem Tal thront. Bis heute ist die Reckenhöhle beim Bahnhof Binolen (1912 hat die Eröffnung der Hönnetalbahn das gemächlich-beschwerliche Postkutschenzeitalter beendet) einer der Hauptanziehungspunkte für Wanderer, Biker und Automobilisten geblieben und so mancher fragt sich sicherlich, wie der nur aus wenigen Häusern bestehende Ort direkt nebenan „Sanssouci“ heißen kann.
In Balve wartet die aufwendig restaurierte Luisenhütte, ein besonderes Industriedenkmal. Sie ist die älteste Hochofenanlage Deutschlands mit vollständig erhaltener Inneneinrichtung. Ihren Namen erhielt sie 1834/35 nach dem Vornamen der Ehefrau des damaligen Besitzers, Ignatz von Landsberg. Wer gibt schon gern seinen Namen für einen Hochofen, werden Kritiker einwenden. Das stimmt, und doch ist das immer noch besser als Namensgeberin der „Dicken Bertha“ zu sein, jenes Riesengeschützes aus dem Ersten Weltkrieg, dessen Name angeblich auf Bertha Krupp zurückgeht. Direkt neben der Luisenhütte liegt das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stadt Balve und auch zur Balver Höhle (in der regelmäßig unterschiedliche Aufführungen und Konzerte stattfinden) ist es nicht weit von hier.
Wenige Wanderschritte weiter lockt bereits der Sorpesee, dessen 69 Meter hoher Damm in den Jahren von 1926 bis 1935 bei (Sundern-)Langscheid aufgeschüttet wurde. Aus dem Ortsteil Enkhausen stammt Sunderns berühmtester Sohn: Heinrich Lübke wurde hier am 14. Oktober 1894 geboren. Er war von 1947 bis 1952 Landwirtschaftsminister in NRW, wurde aber auch 1949 und 1953 in den Deutschen Bundestag (damals natürlich noch in Bonn!) gewählt. Unter Konrad Adenauer wurde Heinrich Lübke zunächst Landwirtschaftsminister, am 1. Juli 1959 wählte ihn die Bundesversammlung zum Bundespräsidenten. Am Rande höchst interessant: Heinrich Lübkes älterer Bruder war auch in der Politik tätig – und das sogar als Ministerpräsident von Schleswig Holstein!
Zurück auf der Waldroute erreicht der Wanderer Arnsberg, wo man sich selbstredend den Schlossbesuch nicht entgehen lassen darf, ehe es über die Ruhr nach Möhnesee geht. Erst im Jahr 2013 hat die namensgebende Möhnetalsperre ihren 100. Geburtstag gefeiert. Bis heute ist der See ein Magnet, der nicht nur Spaziergänger, Wanderer, Naturfreunde und Wassersportler anzieht, sondern mit der Eröffnung des Möhnetal-Radweges auch zunehmend von Zweirad-Freunden ins Herz geschlossen wird. Ein neuer Turm bietet seit 2014 einen eindrucksvollen Blick auf den Möhnesee und die Umgebung. Die Strecke bleibt am Südufer und führt durch Neuhaus und Wald, so weit man schauen kann, vorbei an der lohnenswerten Bilsteinhöhle bis nach Warstein, wo der außergewöhnliche Lörmecketurm schon von Weitem grüßt. In Warstein muss man sich entscheiden, nicht zwischen den berühmten Bieren aus dem Sauerland (denn auch nach Meschede-Grevenstein, dem Standort der Veltins-Brauerei ist es nicht weit), sondern ob es die Nord- oder die Südvariante sein soll. Im Vertrauen: Beide sind lohnenswert …
Auf der Nordroute kommt man zunächst nach Kallenhardt, wo eine Rundtour zum Schloss Körtlinghausen (das man für etwas größere Feiern anmieten kann) führt. Rüthen liegt wunderschön auf der Höhe, „eingepackt“ bis heute in die gut drei Kilometer lange, fast vollständig erhaltene mittelalterliche Stadtmauer. Einen Besuch lohnen überdies das Hachtor und der im Volksmund sogenannte Hexenturm sowie das Alte Rathaus (mit einer imposanten Rundtreppe), das als barocke Anlage in den Jahren von 1726 bis 1730 erbaut wurde. Wer nach so viel Pracht einen Abstecher in den Ortsteil Kneblinghausen macht, dürfte vielleicht enttäuscht sein: Vom einstigen Römerlager ist im Gelände nicht mehr allzu viel zu sehen – und ob es überhaupt ein Römerlager ist, ist bis heute nicht mit letzter Sicherheit bewiesen, obwohl sicherlich vieles dafür spricht.
Nicht nur für Wasserfreunde interessant ist das unter Naturschutz stehende Quellgebiet der Alme, eines knapp 60 Kilometer langen Nebenflusses der Lippe. Hier sprudelt und blubbert es wie wild: Mehr als 100 Einzelflüsse sammeln sich im Almequelltopf und sorgen für eine der stärksten und saubersten Quellschüttungen Deutschlands. Ursache für das beeindruckende Wasserschauspiel sind die geologischen Verhältnisse der aus Massenkalk bestehenden Briloner Hochfläche, wo man das Phänomen des Bachschwindens hautnah erleben kann: Zahlreiche Bäche und Bächlein fließen zunächst überwiegend unterirdisch. Die Almequellen liegen an der nördlichen Grenze der Briloner Hochfläche und gleichzeitig an deren tiefstem Punkt. Will sagen: Hier kommen die zahlreichen unterirdischen Wasserläufe wieder ans Tageslicht und bilden dieses romantischmystisch anmutende Quellgebiet.
Endstation der Wanderung ist dann Marsberg, wo man mehr als nur einen Hauch von Geschichte spürt: Die Altstadt von Obermarsberg ist sehenswert, mittendrin die Nikolaikirche aus dem 13. Jahrhundert. Lohnend ist auch ein Besuch der einstigen Stiftskirche St. Peter und Paul. Ein Vorgängerbau des Gotteshauses geht auf die Zeit Karls des Großen zurück, der mit seinen Mannen 772 die sächsische Eresburg (auf dem Gebiet des heutigen Obermarsberg) erobert und zerstört hat. In Brand gesetzt wurde auch die Irminsul, ein bedeutendes oder das bedeutendste sächsisches Heiligtum. Generationen von Heimatforschern haben sich damit befasst, wie denn diese Irminsul ausgesehen haben könnte, ob es nur eine besondere (hölzerne?) Säule oder ob es vielleicht gar ein kleiner, heiliger Hain war. Die Frage ist trotz allen Eifers nicht zu beantworten.
Wer sich ab Warstein für die südliche Variante entschieden hat, kommt zunächst nach Bestwig. Hier, im Ortsteil Ramsbeck, lohnt ein Abstecher in die Erz-Vergangenheit im Sauerländer Besucherbergwerk. Über Olsberg und Brilon geht es weiter Richtung Diemeltalsperre, die, 1924 in Betrieb genommen, zum großen Teil in Hessen liegt. Das wichtigste Requisit, die Staumauer, liegt allerdings auf nordrhein-westfälischem Gebiet. Hier lohnt ein längerer Zwischenstopp für den Rundweg „Fährschiff -Wandern an der Diemeltalsperre“. Von der Diemel aus geht es die letzten Kilometer in Richtung Marsberg, wo der Wanderer sich zufrieden zurücklehnen darf: Die Tour erfordert schon einiges Stehvermögen – aber man muss sie ja auch nicht auf einmal am Stück laufen. 16 Tagesportionen Sauerland-Waldroute sind genau richtig für den Wanderfreund, der nicht möglichst schnell von A nach B kommen möchte, sondern urwüchsige, zauberhaft mystische Natur und spannende Kulturzeugnisse erleben will.