Ideenreichtum der Sauerländer Gemeinden macht Hoffnung

Christof Sommer, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW 

Der aus Nuttlar stammende Christof Sommer war von 1999 bis 2005 Bestwigs Bürgermeister, von 2005 bis 2020 Bürgermeister in Lippstadt. Seit dem 01.01.2021 ist der Volljurist Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW in Düsseldorf.  

WOLL: Herr Sommer, wie kam es zum Wechsel nach Düsseldorf? 

Christof Sommer: Der Abschied vom Amt des Bürgermeisters ist mir nicht leichtgefallen. Das operative Geschäft, das Gestalten und der Austausch mit den Menschen, das hat mir viel Freude gemacht. Aber in den vielen Jahren im Rathaus habe ich einfach zu oft erlebt, dass die kommunalen Leistungen nicht die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Wenn man daran etwas verändern will, muss man auf Landesebene tätig werden.  

WOLL: Welche Sauerländer Interessen gilt es aktuell besonders zu berücksichtigen? 

Christof Sommer: Das Sauerland ist ein ländlicher Raum, der sich sehen lassen kann. Nicht nur als Magnet für Touristen. Wirtschaftlich zählt die Region zu den erfolgreichsten in Deutschland. Sie bietet den Menschen Perspektiven und darauf kommt es an. Das gilt es zu erhalten und zu fördern, etwa durch Verbesserungen in der Infrastruktur. Es geht dabei um das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse. 

WOLL: Ihr Vorgänger, Dr. Bernd Jürgen Schneider, hat in einem Interview gesagt. „Wir müssen die Städte neu denken. Weg vom Shopping-Ziel hin zum Zentrum für Austausch, Kultur und Miteinander.“ Wie schwer ist es, das umzusetzen? Reicht es, die nötigen Angebote zu schaffen und darauf zu warten, dass die Menschen sich dort sammeln?  

Christof Sommer: Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ohne ein attraktives Angebot werden die Menschen noch weniger als zuletzt in die Innenstadt kommen. Der Online-Handel hat den Zentren schon vor der Pandemie arg zugesetzt, Corona war da nur ein Brandbeschleuniger.  Jetzt wird es darum gehen, den Handel so gut es geht zu stärken, aber die Städte auch mit zusätzlichen Komponenten zu beleben. Das ist auch eine Riesenchance. 

WOLL: Wie werden unsere Innenstädte in Zukunft aussehen? Haben Sie da eine Vision oder gibt es schon konkrete Pläne? 

Christof Sommer: Das lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Viele Kommunen probieren derzeit aus und überlegen zusammen mit Handel, Kultur, Politik und Immobilieneigentümern, welche Schwerpunkte sie setzen wollen, um das Profil der Stadt zu schärfen. Konkret lässt sich sicher schon sagen, dass sich das Gesicht der Zentren verändern wird. Weniger Einkaufsmeile, dafür mehr Wohnen, Kindergärten, Handwerk, Bildung oder Kultur. Auch Gastronomie und Events werden eine größere Rolle spielen. Jetzt ist die Zeit, um den richtigen Mix zu finden. 

WOLL: Was wird sich für die Dörfer auf dem Land ändern? Tante-Emma-Läden gibt es auch da ja kaum noch.  Und ohne Auto geht sowieso nichts mehr?  

Christof Sommer: Das ist noch ein Blick in die Kugel. Es gibt da sehr widersprüchliche Trends. Manches macht den Dörfern Hoffnung. Wir wissen zum Beispiel nicht, inwieweit es die Menschen bei hohen Mieten weiterhin in die große Stadt ziehen wird. Das Homeoffice macht das Leben in ländlichen Regionen wieder attraktiver. Ein Mindestmaß an Infrastruktur muss aber sicher vorhanden sein, ob bei der Gesundheitsversorgung, Verkehr oder Kinderbetreuung. Worauf man bauen kann, ist außerdem der Ideenreichtum, den ich in vielen Gemeinden immer wieder wahrnehme. Tante Emma hat sich vielerorts neu erfunden. In Südwestfalen kenne ich Dorfläden, die den Menschen als Ort für Begegnung und Austausch dienen und gleichzeitig ihr Sortiment über eine Online-Plattform anbieten und die halbe Region beliefern. Das funktioniert!  

WOLL: Der Leerstand in vielen Städten war auch schon vor der Pandemie erschreckend. Jetzt dürfen Städte leerstehende Objekte ankaufen – vorausgesetzt das Geld von Bund und Land reicht dafür. Und da hapert es noch? 

Christof Sommer: Da muss man das Land auch mal loben. Kommunalministerin Ina Scharrenbach hat schnell reagiert und den Städten und Gemeinden mit dem Sofortprogramm Innenstadt die richtigen Hilfen zur richtigen Zeit an die Hand gegeben. 100 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Zur Wahrheit zählt aber auch, dass der Umbau der Städte Jahre in Anspruch nehmen wird. Ohne eine Verstetigung der Förderung wird es nicht gehen. Erfreulicherweise hat jetzt auch der Bund die Zeichen der Zeit erkannt und will aktiv werden.  

WOLL: Falls die Leerstände nicht durch den Einzelhandel aufgehoben werden, weil der Trend zum Kauf im Internet weitergeht, wird sich der analoge Einkauf wohl auf die Supermärkte konzentrieren. Das alles am Stadtrand? 

Christof Sommer: Ganz und gar nicht, der Supermarkt draußen auf der grünen Wiese liegt nicht in unserem Interesse. Je mehr die Zentren wieder für das Wohnen zur Verfügung stehen, desto wichtiger wird die Nahversorgung. Viele Kommunen loten derzeit im Gespräch mit den Handelsketten aus, unter welchen Umständen eine Rückkehr in die Innenstadt möglich ist. Die Schlüsselfragen sind das Parken und die Mieten. Da sehe ich Spielräume.  

WOLL: Und wie sieht es mit dem Wohnungsangebot aus? Ein Häuschen auf dem Land zu bekommen, ist jetzt schon kaum noch möglich. Mieten und Mietnebenkosten steigen auf dem Dorf genau wie in der Stadt. Haben Sie eine Idee wie man aus dieser Misere wieder rauskommt? 

Christof Sommer: Mit nur einer Idee kommt man da nicht aus, wir müssen an vielen Stellschrauben drehen. Grundsätzlich geht es um einen Mangel an Flächen. Seit dem Mai gibt es daher das Baulandmobilisierungsgesetz. Es soll Genehmigungsverfahren beschleunigen und gibt Ländern und Kommunen in angespannten Wohnungsmärkten einige gute Instrumente an die Hand. Zum Beispiel sind Städte und Gemeinden nicht mehr gezwungen, ein Grundstück im Rahmen des Vorkaufsrechts zum Höchstgebot zu erwerben. Jetzt greift der gutachterliche Verkehrswert. Dies kann dazu beitragen, die Preise zu dämpfen.  

WOLL: Bei den Kommunen ist der Investitionsrückstand trotz steigender Investitionen weiter angestiegen. Besonders in den Bereichen Schule und Verkehrsinfrastruktur. Zwei Bereiche, in denen es besonders wichtig ist, zu investieren. Braucht es einen neuen Rettungsschirm? 

Christof Sommer: Ja, und zwar dringend. Wenn das eintritt, was die Steuerschätzung erwartet, fehlen den kommunalen Kassen in NRW bis 2024 jährlich an die zwei Milliarden Euro. Der hohe Investitionsbedarf für Schule und Verkehr, aber auch die Digitalisierung der Schulen oder den Umbau der Innenstädte kommt da noch obendrauf. Bisher ziehen Bund und Land daraus nicht die erforderlichen Schlussfolgerungen. 

WOLL: Wenn die Lage schon in diesen Bereichen nicht gerade rosig ist, rücken die zuvor erwähnten Zukunftsplanungen doch in viel weitere Ferne, oder? 

Christof Sommer: Die Politik hat sich da in besorgniserregendem Maße von der Realität abgekoppelt. Man kann nicht große Transformationsprozesse ankündigen, ohne dafür die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Umsetzen müssen Klimaschutz, Verkehrswende oder Digitalisierung am Ende die Kommunen. Anstatt das anzuerkennen, zwingen uns Bund und Land, auf Jahre hinaus Schulden anzuhäufen. Das wird in vielen Städten und Gemeinden spürbare Folgen für die Lebensqualität vor Ort haben. 

WOLL: Sie kommen ursprünglich vom Lande, aus Nuttlar, sind dann nach Lippstadt, in eine mittelgroße Stadt gezogen und seit Anfang des Jahres leben sie in der Großstadt Düsseldorf. Gerade stelle ich mir zuerst ein Fachwerkhaus im Sauerland vor, ein schönes Einfamilienhaus am Stadtrand von Lippstadt und jetzt eine Penthouse-Wohnung. Ist das so? Wie wohnen Sie privat? 

Christof Sommer: Mit der Penthouse-Wohnung kann ich leider nicht aufwarten, aber ansonsten sind Sie schon nahe dran. In Nuttlar war es ein Einfamilienhaus, in Lippstadt auch und in Düsseldorf finden Sie mich in einer kleinen Wohnung im Souterrain eines Boardinghouses. Noch habe ich aber die Hoffnung auf eine etwas größere und dennoch bezahlbare Wohnung nicht aufgegeben. 

WOLL: Sie haben in Ihrem Xing-Profil angegeben, dass Sie auf sauerländisch sprechen. Was ist Ihr Lieblingswort, ihr Lieblingssatz? 

Christof Sommer: „Komma bei mich bei!“ Das habe ich als Kind immer von meinen Großeltern gehört – und ist so typisch sauerländisch, woll? 

Der Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen setzt sich dafür ein, dass die Anliegen der kleineren und mittleren Städte und Gemeinden bei der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Er hat ein Mitspracherecht bei allen Gesetzesvorhaben des Landes, wenn es um die kommunalen Interessen geht.