“Ich war für eine Steuergutschrift.“

Quelle: Kirchhoff

Kanzleramt schaltete nach Attendorn – WOLL-Interview mit Unternehmer-Präsident Kirchhoff

Als Unternehmerpräsident von Nordrhein-Westfalen vertritt Arndt G. Kirchhoff (65) den Verband in der Öffentlichkeit gegenüber Politik, Gewerkschaften und anderen Organisationen. Kirchhoff ist Geschäftsführender Gesellschafter der in Iserlohn und Attendorn ansässigen Kirchhoff-Gruppe, die mit „Kirchhoff Automotive“ mit 9.000 Mitarbeitern und 30 Standorten in elf Ländern den größten Anteil stellt. Seine Meinung ist in Corona-Zeiten in den Medien wie in der Politik sehr gefragt. Beim WOLL-Interview sitzt Kirchhoff am schwarzen Konferenztisch in seinem Attendorner Büro. „Grundsätzlich ist es so, dass Unternehmer optimistisch sind. Das müssen sie sein, sonst haben sie den Beruf verfehlt“, sagt der im Ruhrgebiet geborene und seit über 30 Jahren in Attendorn lebende Unternehmer mit dem Blick nach vorn – trotz oder gerade wegen der Pandemie.

WOLL: Heißt das, dass Corona auch Chancen bietet?
Arndt G. Kirchhoff:
Unternehmer sind immer neugierig. Diese Neugierde ist wichtig, denn keiner von uns hat Erfahrung mit der Pandemie: Was ist das? Wie verändert sich das Leben? Da schaut man weniger auf die negativen Seiten, die Angst und Panik verbreiten würden, sondern mehr auf die Chancen. Das ist typisch für unsere Region und war immer so. Wir in Südwestfalen sind die Nummer drei in Deutschland. Damit sind wir auf Augenhöhe mit der Schwäbischen Alb und dem Südschwarzwald und kurz nach uns kommt schon Ostwestfalen, wo die Strukturen ähnlich sind.

WOLL: Wie haben Sie den Beginn der Corona-Zeit erlebt?
Arndt G. Kirchhoff:
Wir in Deutschland hatten ja Glück, weil wir in dieser ersten Phase bundesweit gut gemanagt wurden. Anders als in Frankreich oder Italien, wo die Situation sicher dramatischer war. Die Menschen hierzulande waren draußen, haben Sport gemacht, waren wandern. Gut, wir konnten weder Restaurants noch Kneipen besuchen, sind mehr zu Hause geblieben. Aber „Lockdown“ ist das falsche Wort. Die Industrie war nie geschlossen. Ich persönlich bin sehr viel Fahrrad gefahren: Ich kenne inzwischen alle stillgelegten Bahnstrecken …

WOLL: Auch Ihr eigener Betrieb kam um Kurzarbeit nicht herum …
Arndt G. Kirchhoff:
Stimmt. 66 Prozent der Mitarbeiter mussten wir vorübergehend in Kurzarbeit schicken. Weil keine Warenlieferung aus Italien, Spanien und Frankreich ankam, ergab Vollbeschäftigung wenig Sinn. Wir sind eine extrem vernetzte Wirtschaft, insbesondere in Europa.

WOLL: Wie lautet denn Ihre Prognose für die Zukunft?
Arndt G. Kirchhoff:
Wir haben schon so viele Krisen überlebt. Viele Unternehmen sind weit über 100 Jahre alt. Der Familienbetrieb Kirchhoff wurde bereits vor 235 Jahren gegründet, da waren ein paar Weltkriege und ein paar Weltwirtschaftskrisen dazwischen – wir werden das jetzt auch überstehen. Und das erwarten auch die Belegschaften und die Menschen von uns. Natürlich weiß keiner, wie lange es dauert. Wir werden wohl alle mit Corona leben müssen.

WOLL: Wie haben Sie sich und das Unternehmen geschützt?
Arndt G. Kirchhoff:
Wir sind in Attendorn einer von 60 Produktions-Standorten weltweit. Normalerweise haben wir t.glich ausländische Besucher. Umgekehrt reisen viele von uns ins Ausland. Das Hin und Her haben wir von heute auf morgen gestoppt.

WOLL: Hatte das auch Vorteile?
Arndt G. Kirchhoff:
Ja – wir haben Zeit gespart, Reisen, Übernachtungen. Das führte aber auch dazu, dass ich morgens um 7:30 Uhr zuhause die erste und abends im um 20 Uhr im Büro die letzte Videokonferenz hatte. Also: positiv anstrengend.

WOLL: Selbst das Bundeskanzleramt hat nach Attendorn geschaltet: Wie haben Sie Angela Merkel erlebt?
Arndt G. Kirchhoff:
Als geübte Team-Playerin während des Lockdowns gleich in mehreren Video-Gesprächsrunden. Das Kanzleramt wählte die Teilnehmer an. Dann meldete sich schlicht Angela Merkel. Und zwar von zuhause. Sie hat die Meetings sehr gut moderiert.

WOLL: Welchen Vorschlag haben Sie der Runde im Kanzleramt gemacht?
Arndt G. Kirchhoff:
Ich war dafür, dass man allen eine Steuergutschrift gibt. Die Menschen dürfen 6.000 oder 8.000 Euro absetzen, egal, wer was kauft. Anzüge, Waschmaschinen, von mir aus auch ein Auto, oder auch ins Restaurant gehen und Quittungen sammeln. Das ist doch so etwas, was den Deutschen reizt. Denn eins ist klar: Die Lager waren voll. Solange keiner ein Hemd oder eine Kaffeemaschine aus dem Regal nimmt oder ein Auto vom Händlerhof fährt, wird nichts Neues produziert.

WOLL: Wurde Ihr Vorschlag angenommen?
Arndt G. Kirchhoff:
Nein. Die Politik hat sich für die Drei-Prozent-Senkung der Mehrwertsteuer entschieden.

WOLL: Und was wird sie bringen?
Arndt G. Kirchhoff:
Das werden wir spätestens im vierten Quartal sehen. Wenn es nicht funktionieren sollte und Arbeitsplätze wegfallen, müsste es ansonsten ein zweites Konjunkturpake geben.

WOLL: Viele Zulieferbetriebe der Autoindustrie befinden sich im Sauerland. Deren Mitarbeiter befürchten, dass es zu Entlassungen kommen könnte. Arbeitslosigkeit ist hierzulande eigentlich kein großes Thema. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Arndt G. Kirchhoff:
In der deutschen Autoindustrie war es insgesamt so, dass wir um 40 Prozent herunterfahren mussten. Händler und Zulassungsstellen hatten wochenlang geschlossen. Jetzt geht es besser, wir liegen inzwischen bei 75 Prozent. Aber 100 Prozent funktioniert nicht. Wir können den Verlust von April und Mai nicht aufholen. Andererseits ist es so, dass wir einen Facharbeitermangel haben. Grundsätzlich gilt: Wir wollen niemanden entlassen.

WOLL: Wie steht es um die Ausbildung?
Arndt G. Kirchhoff:
Wir wollen, dass jeder Jugendliche eine Ausbildungsstelle bekommt und nicht unter der Pandemie leiden muss. Es darf keine Corona-Generation geben! Wir haben zurzeit etwas weniger Ausbildungsstellen im Angebot, aber auch weniger Nachfrage.

WOLL: Woran liegt das?
Arndt G. Kirchhoff:
Es gab in diesem Jahr noch keine Möglichkeit, sich richtig nach m.glichen Ausbildungsplätzen zu erkundigen. Normalerweise haben wir Ausbildungsmessen in Olpe, die Arbeitsagentur organisiert Info-Veranstaltungen und Jugendliche, Eltern und Lehrer können sich dort bei den Unternehmen, der IHK und den Handelskammern informieren. Das fiel alles weg. Onlinewerbung ist hier kompliziert. Man muss sich persönlich treffen, gerade bei Personalgesprächen. Mit den Ministerien, den Arbeitsagenturen, den Kammern und den Unternehmen haben wir beschlossen, nicht an den Stichtagen zum Ausbildungsstart festzuhalten. Wir halten das Fenster auf: Die jungen Leute können auch noch im Oktober oder November mit einer Ausbildung beginnen. Wir bleiben flexibel, denn es soll keiner auf der Strecke bleiben.

WOLL: Warum ist die Region Sauerland/Südwestfalen so erfolgreich und innovativ?
Arndt G. Kirchhoff:
Die Gegend war immer innovativ. Die Region ist mit den Menschen, die hier leben, immer prima ausgekommen. Das fußt auf einer sehr guten Facharbeiter-Ausbildung. Denn die meisten Innovationen sind nicht die „disruptive breakthroughs“ (die bahnbrechenden Technologien), sondern die kleinen Verbesserungen am Produkt, am Produktionsprozess. Und das können nur Facharbeiter – nicht die Forscher an der Uni. Die machen Grundlagenforschung. Von den klugen Köpfen in den Firmen lebt die Region und das schon seit Jahrzehnten.

WOLL: Ist diese Region auch attraktiv für „Nicht-Sauerländer“?
Arndt G. Kirchhoff:
Aber klar! Das sagt schon unser Landrat: „Leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen.“