“Ich habe noch gearbeitet wie vor 100 Jahren!“

Josef Hoppe aus Sögtrop ganz persönlich: Eindrucksvoller Einblick in seine Geschichte

Sie können sie erzählen, die Geschichten von damals. Nicht, weil sie davon gehört oder darüber gelesen haben, sondern, weil sie sie erlebt haben. Einer dieser Zeitzeugen ist Josef Hoppe aus Sögtrop. 1930 geboren, gibt er uns einen eindrucksvollen und lebendigen Einblick in die Geschichte seines Ortes und seines Schaffens.

Immer habe er, so erzählt er uns, in der Sögtrop 3 gewohnt. So heißt die Straße beziehungsweise der Bauernhof, der seit dem Jahr 1536 im Familienbesitz ist. Die Hausnummern wurden nach der Reihenfolge der Bebauung vergeben. Das kleine Örtchen konnte stetig wachsen: So gab es in der Zeit des Zweiten Weltkrieges circa 19 Häuser, darunter vier Bauern mit Pferdegespann. Die anderen besaßen zwar auch landwirtschaftliche Flächen, aber teilweise mit Kuh-Gespann. „Die Arbeit auf dem Feld und im Stall war damals genauso wie 100 Jahre zuvor. So haben wir es gelernt. Harte Arbeit, die viel Kraft und Ausdauer erfordert. Misten, pflügen, säen, ernten – alles von Hand“, erinnert sich der 90-jährige Landwirt. Unzählige Steckrübenpflänzchen hat er von Hand gesetzt, Kühe gemolken und vieles mehr. Nachdenklich, aber mit einem Lächeln im Gesicht sagt er: „Heute unvorstellbar, wie lange das alles gedauert hat.“ Während seine 1926 geborenen Zwillingsbrüder in den Krieg zogen, stand er mit seinen 15 Jahren auf dem Feld und folgte dem Tempo der Pferde beim Pflügen. „Du musstest hinterher gehen, da konnte man sich nicht aufs Pferd setzen und ausruhen.“ Schon als Kinder wussten sie: Wenn das Dröhnen zu hören war, hieß es auf dem Feld in Deckung gehen. Dann kamen die feindlichen Flieger und schossen Feldarbeiter ab. Im Wald, im Graben oder unter den sogenannten Winterhaufen musste man sich verstecken. Danach ging es weiter.

„Aber vor der Arbeit habe ich mich nie bange gemacht“, schmunzelt er. Sein Ding war es, wie er selber sagt, mit den Pferden im Wald Holz zu schleppen. Das war schon eine echte Leidenschaft. Früher habe man sich auch selbstverständlich gegenseitig geholfen. Ware gegen Ware oder Leistung gegen Leistung. Dieses Tauschgeschäft fand Josef Hoppe ganz großartig.

Wenn abends die Feldpost verlesen wurde, saß er mit seiner Familie samt weiteren fünf Geschwistern in der Stube am Ofen und konnte sich nicht vorstellen, was seine Brüder im Krieg erleben mussten. Nur sein Vater, der im Ersten Weltkrieg an der Front gestanden hatte, ahnte, wie grausam es war. In einem Brief (Herbst 1944 – Schlacht um Arnheim) schreibt sein Bruder Alois: „Aber glaubt mir, es sind doch so Gefühle, wenn man in seinem Erdloch liegt, … und wir gegen so modern gerüstete Gegner kämpfen, wie sie vor uns liegen mit ihren Maschinenpistolen. Die Mutter Gottes stehe mir bei.“

„Der Ami hat uns Kinder gerettet und zog weiter.“

Die Feldpost seiner Brüder gibt es heute noch. Sein Bruder Alois hat sogar in einem Kriegstagebuch alles verschriftlich. So kann Josef Hoppe heute ermessen, was damals los war. Sein Vater hat sich damals geschworen und eigens aufgeschrieben: Wenn Sögtrop im Krieg verschont bleibt, gibt es ein gelobtes Dankhochamt. Sein Wunsch und seine Gebete wurden erhört. Dieses Hochamt wird in Sögtrop seit 1945 regelmäßig gehalten. Doch davon konnte damals keiner ausgehen. „Auf unserem Hof hatten wir eine Art Panzerwerkstatt. In den Nächten wurde repariert. Das Panzerrohr lugte aus der Scheune raus und musste mit Leitern und Stroh abgedeckt werden, damit die Aufklärer es von oben nicht sehen konnten“, erinnert sich Josef Hoppe. „Kistenweise standen bei uns in der Scheune Handgranaten und Munition. Wenn da eine Granate draufgefallen wäre, hätte es ein echtes Malheur gegeben.“

Eine spezielle Auszeichnung seiner Mutter gibt es nicht mehr. Sie hatte 1942 das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter in Gold“ erhalten, als Anerkennung dafür, dass sie acht Kinder geboren hat. Im April 1945 kamen die Amerikaner auf den Hof Hoppe und wollten prüfen, ob man hier ein Lazarett einrichten könne. „Ich weiß es noch wie heute: Meine Schwester und ich waren sehr krank und wurden im Kartoffelkeller versteckt, als uns dort der Ami fand. Als er feststellte, wie krank wir waren, gab er uns beiden eine Handvoll Tabletten. Meine Mutter hatte Todesängste. Wir schluckten sie und schliefen einen ganzen Tag. Danach waren wir wieder topfit. Der Ami hat mich und meine Schwester gerettet und zog weiter“, erzählt Josef Hoppe.

Wichtig ist dem 90-Jährigen zu betonen, dass er die Landwirtschaft wirklich liebte; das ist bis heute so geblieben. „Ich musste nicht Landwirt werden, ich wollte es. Ich hatte richtig Freude daran.“ So hatte er 1946 an der Landwirtschaftsschule in Eslohe und anschließend an der Landesforstschule in Allagen (bei Soest) seine Ausbildung zum Landwirt abgeschlossen. 1949 ging es dann zur „Allgemeinen Bildung“ nach Hardehausen (bei Paderborn). „Das hat mir sehr gut getan. Eine schöne Zeit war das“, erinnert sich der Rentner. Darüber hinaus hat er seine knappe Freizeit mit Vorstandsarbeiten verbracht. So war er viele Jahre Vorsitzender der Landjugendgruppe und 40 Jahre bei der bäuerlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft Kirchrarbach eG engagiert.

„Alles ist technischer und einfacher geworden. Das ist doch wirklich krass.“

Die schlimmste Zeit war zwischen 1945 und 1948. Von den Einwohnern seines Heimatortes waren 14 Männer gefallen, darunter einer seiner Zwillingsbrüder. Die Granattrichter rund ums Dorf sowie die Absturzstelle eines deutschen Nachtjägers, der mitsamt seiner gefährlichen Munition explodierte und damit den ganzen Ort gefährdete, erinnerten an die schlimme Zeit. Tatsächlich blieb Sögtrop aber, wie von göttlicher Hand geschützt, weitestgehend verschont. „Es war für alle eine harte und traurige Zeit, aber es musste ja irgendwie weitergehen.“ Erst nach 1948, als es „alles“ wieder gab, ging es bergauf. Eine rasante Entwicklung startete. „Von damals bis heute hat sich so viel getan, das wird es nie wieder in der Form geben. Alles ist technischer und einfacher geworden. Das ist wirklich unglaublich, in so einem rasanten Tempo“, sagt Josef Hoppe nachdenklich. Gefragt nach der seiner Meinung nach besten Erfindung in den letzten 90 Jahren, kommt ohne Zögern: der Trecker. „1951 kam der erste Trecker auf unseren Hof. Ab da ging doch alles fast schon wie von selbst.“ Noch heute liebt Josef Hoppe es, auf dem Trecker zu sitzen. Alles an landwirtschaftlichen Geräten und Fahrzeugen interessiert und fasziniert ihn. Wenn es der Jahreszeit entsprechend aufs Feld geht, wird er jedes Mal unruhig und wäre gerne dabei: „Ich schaue leider nur noch zu.“

Allerdings kann er nur ganz schlecht dabei zuschauen, wie der Wald stirbt. Das macht ihn unfassbar traurig. Denn man muss wissen, dass Josef Hoppe damals zu denen gehörte, die Wald aufgeforstet haben. „Wenn Ländereien nicht mehr für die Landwirtschaft ertragreich waren, die wurden Grenzertragsböden genannt, dann haben wir sie aufgeforstet. Die Fichte war damals sehr gefragt“, berichtet Josef Hoppe. Und dann kommt der Borkenkäfer und macht alles, ein ganzes Lebenswerk, kaputt. „Mir könnten wirklich die Tränen kommen, wenn ich das sehe. So eine Naturkatastrophe und Geldvernichtung.“

„Ich hoffe, dass wir bald wieder normal leben können.“

Die Katastrophe der Corona-Pandemie sieht er dagegen nüchtern. „Es gab schon immer Seuchen und Krankheiten, die schlimm waren. Die Schwarze Pest, die Pocken – da sind im Sauerland damals auch Tausende gestorben. Und nicht zuletzt die Kriege. Ich hoffe, dass das Virus bald abflaut und wir wieder normal leben können“, wünscht sich Josef Hoppe. Denn Weihnachten ohne seine Kinder und Enkelkinder – das ist für ihn unvorstellbar. An die Stunden unter dem heimatlichen Weihnachtsbaum erinnert sich auch sein Bruder Alois in seinem Kriegstagebuch als die schönsten im Jahr. Das sieht Josef Hoppe auch so. Mit seiner Frau Angela, einer geborenen Stratmann, hat Josef vier Kinder (Martin ist 53, Klaus 51, Anne 49 und Nesthäkchen Marie-Theres 46). Eigentlich waren es fünf Kinder, doch seine erste Tochter ist 1966 verstorben. Auch seine Frau hat er schon vor 22 Jahren verloren. Alle seine sieben Geschwister und viele seiner Freunde und Weggefährten sind ebenfalls nicht mehr am Leben. Das macht ihn sichtlich traurig. „Die Trauer gehört auch zum Leben dazu. Als älterer Mensch denkst du viel nach und musst viel verkraften“, versucht Josef Hoppe diese Tatsachen in Worte zu fassen. So lenkt er schnell ein und sagt: „Ich habe aber auch viel Glück in meinem Leben gehabt. Ich hatte und habe eine tolle Familie. Meine Arbeit hat mir immer große Freude gemacht, auch wenn ich noch wie vor 100 Jahren geackert habe. Landwirt zu werden war top. Von den schlimmen Kriegserlebnissen meines Vaters und meiner Brüder bin ich verschont geblieben. Unser Hof ist und bleibt geschichtsträchtig und der Rest wird sich zeigen. Ich würde heute alles wieder so machen, wenn ich nochmal auf die Welt käme.“ Zufrieden lehnt er sich zurück und genießt heute seinen wohlverdienten Ruhestand auf seinem Hof.

Dieser Beitrag erschien in der Winterausgabe 2020 des WOLL-Magazins Schmallenberg-Eslohe. Das WOLL-Magazin könnt ihr im Zeitschriftenstand oder im WOLL-Onlineshop https://woll-onlineshop.de/woll-magazin/ erhalten.