„Ich habe das Gefühl, noch gebraucht zu werden“

Ein Stück Neheimer Industriegeschichte: Noch mit 80 Jahren fertigt Werner Mittler Lampenschirmgestelle an 

Den „Blaumann“ hat Werner Mittler seit 65 Jahren an und darauf ist er stolz. Der gelernte Gürtler fertigt noch im Alter von 80 Jahren in seiner Werkstatt in der Neheimer Burgstraße Lampenschirmgestelle. Mittler verkörpert als letzter verbliebener „Einzelkämpfer“ ein Stück Neheimer Leuchtenindustrie-Geschichte und beliefert einen festen Kundenstamm. Die Werkstatt im Hinterhof gleicht einem Industriemuseum mit besonders hohem ideellem Wert. „Ich habe das Gefühl, noch gebraucht zu werden“, sagt Mittler. „Mir macht die Arbeit Spaß.“ 

Seit 1977 ist Mittler mit der Firma Hücker & Mittler selbstständig. Über Jahrzehnte an seiner Seite Kumpel Heinz Hücker, den er seit der gemeinsamen Gürtler-Lehre 1956 kennt. Ihre beruflichen Wege waren unzertrennlich:  Die großen Neheimer Leuchtenfirmen Egon Hillebrand und Schröder, zwischendurch die Firma Albers, so lauteten die Stationen, ehe sie sich selbstständig machten. Vor der Gründung der eigenen Firma 1977 produzierten sie „nach Feierabend“ schon Lampenschirmgestelle. 2014 schied Hücker, inzwischen auch 80, aus gesundheitlichen Gründen aus der Fima aus. Mittler ist seitdem Einzelkämpfer, eine Aushilfe erledigt die Büroarbeit. „Heinz ruft mich jeden Montag zwischen 10 und 11 Uhr an, darauf freue ich mich. Es gibt immer viel zu bereden.“ 

Die Werkstatt gleicht einem Industriemuseum mit vielen Schätzen.

Natürlich geht es um die Geschäfte, die laufen in der umkämpftem und von Krisen gebeutelten Leuchtenindustrie „gut“. Der entscheidende Grund ist die Tatsache, dass die Senior-Firma Drahtgestelle für Sonderanfertigungen von Lampenschirmen fertigt. Der Kundenstamm steht für den Zulieferer aus Neheim. Hauptabnehmer ist die Firma Peters Leuchten (Peters Design) in Rinteln in Niedersachsen, die seit 1919 Leuchten und Sonderleuchten baut, auch und besonders für Hotels in Europa. „Darunter sind auch bekannte 5-Sterne-Hotels wie in München oder Paris“, betont Mittler. Daneben beliefert Mittler vier bis fünf kleinere Firmen. 

Der Blick in seine Werkstatt ist atemberaubend, sie atmet Neheimer Leuchtengeschichte und erinnert an die kleinen Zulieferbetriebe in der Möhnestraße, wo in der Lampen-Blütezeit vor über 100 Jahren praktisch in jedem Keller Leuchtenteile für die großen heimischen Firmen von Weltruf hergestellt wurden. „Die Werkstatt ist mein Leben.“ Und gleicht einem Museum. Sieben Schweißmaschinen, eine aus dem Zeitraum 1935/1940, Schere, Ringautomat, eine pneumatische Maschine zum Abkanten, drei Maschinen mit Handbetrieb – eine ist ein umgestalteter Poststempel – finden sich hier, wecken Erinnerungen und lassen die Herzen der Tüftler und Heimatforscher höherschlagen. Die Werkstatt ist eine wahre Fundgrube, ein Schatz. Und was geschieht mit der Werkstatt, wenn er mal aufhören sollte? „Dann wird die Werkstatt hier abgebaut und in Rinteln bei Peters wieder aufgebaut. Diesen Deal habe ich mit dem Seniorchef von Peters vereinbart.“ 

1946 als Vertriebener aus Schlesien nach Neheim gekommen 

Ans Aufhören denkt Mittler noch lange nicht. „Wenn ich das Wort aufhören in den Mund nehme, dann will das keiner hören, ich werde sofort abgeblockt.“ Er hat die Rente längst durch, die Arbeit ist Hobby und vermittelt das Gefühl „gebraucht zu werden“. Der Neheimer hat sich einen Traum erfüllt. 1946 war er als Vertriebener aus Schlesien nach Neheim gekommen, sein Vater arbeitete als Schweizer (Melker) auf Gut Moosfelde. Mittler besuchte die damalige Volksschule in der Burgstraße, in unmittelbarer Nähe seiner jetzigen Werkstatt. 51 Jahre ist er inzwischen mit Ehefrau Sigrid verheiratet, Anja und Axel heißen die Kinder. Jahrelang war er als Hundeführer mit eigenen Boxern unterwegs. Er ist bekennender und treuer Schalke-Fan – auch in diesen nicht leichten Zeiten. Zugleich interessiert ihn alles, was mit Sport zu tun hat. Im Sport kennt er sich genauso gut aus wie bei den Lampen.