Humorvolle Kurzgeschichten aussem Sauerland

Willze machen? Isso.

Quelle: Sonja Heller

„Willze machen? Isso“

Das sagen sich Sauerländer und Sauerländerinnen, die selbst in Extremsituationen schnell die innere Ruhe wiedergewinnen, nur kurz mit den Schultern zucken und einfach weitermachen. WOLL-Autor Michael Martin inspirierte diese Denkweise zu einer persönlichen Zeitreise, die sich in der Neuerscheinung „Willze machen? Isso“ nachlesen lässt.

Voll was auffen Nürsel gekriegt?

In seinen humorvollen Kurzgeschichten feiern wir dramatische Weihnacht mit Omma und dem Hamster Genscher, lernen echte Härtefälle wie Gerda mit den Lederhänden kennen, treffen Ömmes und King Hakan oder ärgern uns beim Absturz von Skylab über Krämer Zwo. Und so nimmt Martin uns mit durch die Jahrzehnte, die gespickt sind mit lauter lustigen Ereignissen zum Beömmeln. Die Storys aus „Willze machen? Isso“ sind tatsächlich so oder so ähnlich passiert, nur die Namen wurden hier und dort geändert, damit der Autor nicht unerwartet einen auf die Zwölf bekommt.

Über den Autor

Wer an den WOLL Verlag denkt, kommt um ihn nicht herum: Michael Martin begeistert Sauerlandfans seit „Voll auffen Nürsel“ mit seinen Geschichten über die Sprache, die Traditionen und die Menschen unserer Heimat. Seitdem folgten über zehn Bücher, die allesamt im WOLL Verlag erschienen sind. Der Erfolg gibt Martins literarischer Hingabe zum Sauerländischen recht: So erschien „Sauerländer. Besser geht’s nicht“ im vergangenen Dezember bereits in 3. Auflage, und auch der Sprachratgeber „Fragen Sie Dr. Nürsel!“ findet regen Anklang bei all denen, die vom Sauerland nie genug kriegen.

Der 1960 im märkischen Werdohl geborene Autor lebte zwei Jahrzehnte lang in Südengland, ehe es ihn wieder ins Land der tausend Berge, genauer gesagt in die Altstadt von Neuenrade, verschlug. Ob Märchen, Sagen, Jugenderinnerungen, Bräuche oder andere Sprachschätze: Wie Martin sind auch seine Geschichten tief mit dem Sauerland verwurzelt, und gibt das auch auf Lesungen und anderen Literaturveranstaltungen zum Besten.

Leseprobe

Zwei Minuten vor Ende der Ebay-Auktion rauschte Tante Hetti plötzlich in mein Arbeitszimmer. Ohne anzuklopfen, versteht sich. Das stand ihr nun mal zu, als ältester Großtante der Familie. Sonntags kam sie nach der Kirche oft unangemeldet zu uns, nur umma ehmt nachem Rechten zu sehen, wie sie dann stets behauptete. Manchmal blieb sie zum Mittagessen, häufiger bis zum Kaffee, und wenn man Pech hatte, bis nach der Lindenstraße. Ihren grünen Wollmantel mit Bisamkragen und den dazu passenden kleinen Hut legte Hetti dabei niemals ab. War ja schließlich nurma ehmt.

„Da hätte ich viel drum gegeben, für so ein eigenes Zimmer“, sagte sie, während sie sich in meinem kleinen Heimbüro umsah.

„Wir haben früher zu neunt in so einer engen Stube gehaust, weißt du ja. Und im Winter haben wir sogar die Ziegen aus dem Stall zu uns reingeholt, erst die Liese und dann später auch dieses Teufelstier, die Lotte. Mit der Lotte war nicht gut Kirschen essen, das sag ich dir! Wenn dein Oppa die nicht rechtzeitig an die Hörnern packte, dann sauste die wie ein geölter Blitz …“

„… runter in den Keller und schmiss das Eingemachte um. Ich weiß, Tante Hetti.“

Meine Fresse, wie oft hatte ich diese olle Kamelle schon gehört.

„Stimmt, mein Junge! Aber da kannst du dich ja gar nicht dran erinnern, da warst du ja noch …“

„… ein Zwinkern in den Augen meiner Mutter. Ich weiß, Tante Hetti!“

Tante Hetti stand jetzt direkt hinter mir und schaute fasziniert auf den leuchtenden Bildschirm meines ersten Laptops.

„Ist das nun dieser teure Computer, für den ich dir letzte Weihnachten das Scheinchen gegeben habe?“

Stimmte zwar, denn was soll sich ein erwachsener Mann außer Bargeld sonst von seiner alten Tante wünschen. Sie nervte mich aber trotzdem gerade, denn der finale Auktions-Countdown für den Dachgepäckträger bei Ebay lief schon.

„Nä, Tante Hetti, das ist ein Waffeleisen mit Innenbeleuchtung.“

Yes! Der Gepäckträger gehörte mir! Ich ließ eine Becker-Faust durch die Luft sägen und drehte mich zu meiner Großtante um. Die war aber schon wieder auf dem Weg nach draußen und faselte etwas von unfein und Undank sei der Welten Lohn.

„Warte doch mal, Tante Hetti, war nicht so gemeint! Ich war nur gerade im Internet und musste was Dringendes erledigen.“

Tante Hetti blieb stehen und sah mich entgeistert an. Der Sprung von Lottes Ziegenabenteuern ins Digitalzeitalter war wohl etwas zu weit für sie gewesen. „Du hast ein Internetz?“, fragte sie neugierig. Schlagartig wurde mir klar, dass ich einen schweren Fehler gemacht hatte.

„Der Matta Listringhaus ihre Nichte, die Maike, die jetzt in diesem schönen Haus im Bergischen wohnt, musse Matta zweimal umsteigen, wennze die besuchen fährt, diese Maike jedenfalls, die hat auch ein Internetz. Matta sagt, der Maike ihr Internetz, das weiß einfach alles. War ja auch als Kind schon eine ganz eine Aufgeweckte, die Maike. Kein Wunder, dass die so ein schlaues Internetz hat.“ Tante Hetti holte den kleinen Gästehocker aus der Ecke und setzte sich neben mich. Dann berührte sie meinen Laptop vorsichtig mit der Fingerspitze, so als wollte sie prüfen, ob das Brot noch weich genug war oder eher zu Paniermehl taugte. In dem Moment machte es Pling, die Bestätigungsmail von Ebay war eingetrudelt. Tante Hetti zuckte zusammen und hielt sich die Hand vor den Mund.

„Hab‘ ich was kaputt gemacht? Herrgott im Himmel!“

„Mach dir mal keine Sorgen, Tante Hetti, das war nur eine E-Mail. Alles in Ordnung!“

Tante Hetti atmete sichtlich erleichtert auf.

„Da hast du mir ja einen tüchtigen Schreck eingejagt, mein Junge! Ich dachte schon, das Ding fliegt uns gleich um die Ohren! Dabei war das nur so eine I-Mehl.“

Sichtlich entspannt beugte sie sich wieder nach vorn und starrte auf den Bildschirm.

„I-Mehl! Macht die Maike auch immer, sogar für ihre alte Tante Klara. Aus dem Urlaub, oder zum Geburtstag.“

Sie seufzte.

„Warum schickst du mir nicht auch mal so ‘ne Imehl? Oder kann dein teures Ding da keine Imehl?“

Ich beruhigte sie.

„Natürlich kann mein Laptop E-Mail. Und natürlich weiß mein Internet auch alles.“ Schließlich sollte sie nicht glauben, dass ich mir für den Hunni, den sie zum Laptopkauf beigesteuert hatte, Schrott hatte andrehen lassen.

„Aber es ist nicht mein Internet, Tante Hetti, das Internet gehört nämlich eigentlich niemandem, weil …“

Tante Hetti war schon ganz woanders.

„Frag dein Internetz doch mal, wo wir unsere Lotte damals gekauft haben!“

Ich stöhnte leise. „So was kann man nicht im Internet recherchieren, Tante Hetti, wer sollte denn so eine Information speichern?“

Sie sah mich spöttisch an: „Na da hast du dir ja ein feines Internetz andrehen lassen, Junge! Das ist doch eine ganz einfache Frage. Ich wette, der Maike ihr Ding, das wüsste das.“

„Es gibt nur ein Internet, Tante Hetti, die dämliche Maike …“

„Die ist nicht dämlich, sondern eine ganz eine Intelligente. Ich sage nur: Höhere Handelsschule. Das is‘ ‘ne ganz ‘ne gute Partie, die Maike!“

Das konnte ich schlecht beurteilen, ich wusste nur aus eingeweihten Kreisen, dass Maike knutschte wie eine gesengte Sau und auf Schützenfest mit Klaus Beckmann hinters Zelt gegangen war. Er war es auch, der uns später erzählt hatte, dass man Maike als Fotomodell buchen konnte, selbst dann, wenn man gar keinen Fotoapparat hatte.

„Maike eine gute Partie? Wer sagt das denn?“

„Hömma, das weiß doch bei uns fast jeder, mein Junge! Außer deinem Internetz, nehme ich an.“

Ich gab auf.

„Nä, Tante Hetti, so was weiß mein Internetz leider nicht.“