Horst Rellecke: „Kunst ist wie alle kulturellen Dinge auch ein Lebensmittel.“

Horst Rellecke hat so ziemlich alles gemacht, was man als Künstler machen kann: zahlreiche Bilder gemalt, Lichtinstallationen kreiert, Skulpturen erschaffen, Lasershows veranstalteteinen Klangwald konzipiert. Als Architekt ist er vor allem für den Glaselefanten im Maximilianpark Hamm bekannt. Und über all das hat er auch noch Bücher geschrieben. Ob da noch Fragen offen sind? Oh ja – und wir haben sie gestellt! 

WOLL: Herr Rellecke, wann haben Sie entdeckt, dass Sie ein Künstler sind? 

Horst Rellecke: Ich war vier Jahre alt, da malte ich das Haus unserer Nachbarn und bekam dafür eine Tüte Kirschen. Seitdem bin ich Profi. (Lacht) Natürlich wurde das später in der Schule noch weiter gefördert.  

WOLL: Sie hatten über 150 Einzelausstellungen im In- und Ausland. Wie ging das los? 

Horst Rellecke: Mit 21 Jahren hatte ich meine erste Ausstellung in Kamen. Ich bat die Galerie Klein in Hamm, mir dafür Rahmen zu leihen. Als ich sie zurückgab, waren meine Bilder noch darin, angeblich aus Zeitnot. Ich versprach, sie in der nächsten Woche rauszunehmen. So standen meine Bilder eine Woche da rum und konnten den Leuten auffallen. Als ich zurückkam, sagte der Galerist: „Nee, lassen Sie die mal hier.“ Der Galerie Klein bin ich noch bis heute verbunden. 

WOLL: Raffiniert! Ein Jahr später, 1972, nahmen Sie Ihr Architekturstudium in Stuttgart auf. Hängt das mit der Malerei zusammen? 

Horst Rellecke: Natürlich. In Stuttgart wurde großer Wert auf künstlerische Inhalte gelegt, da waren auch Malerei und Materiallehre Inhalte des Architekturstudiums. 

WOLL: Wie hat es Sie und Ihre Frau Marlies an den Möhnesee verschlagen? 

Horst Rellecke: 1975 bekam ich ein heiß begehrtes Stipendium für die Druckerei Kätelhön am Möhnesee. Von da an war ich dort mehrfach im Jahr zu Gast. Als meine Frau und ich Zwillinge bekamen, kamen wir dann hierher und bauten das Haus.  

WOLL: Arbeiten Sie auch hier? 

Horst Rellecke: Ja, auch wenn mein Atelier früher größer war. Mein Sohn ist mit seiner Familie aus Berlin hier ins Haupthaus hergezogen, da hatten wir umgebaut. Außerdem habe ich eine Metallwerkstatt im Lippetal. 

WOLL: Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf Ihre Arbeit aus? 

Horst Rellecke: Als die ganzen Ausstellungen absagt wurden, war es für mich schwierig, mich zu motivieren. Ich will ja keine Bilder für die Halde malen! Aus lauter Verzweiflung, weil man so viel Zeit hat, habe ich dann ein Video kreiert. 
 

WOLLSie meinen „Scoorillo“? Das habe ich auf YouTube gesehen. Dort kann man auch einen Rundgang durch ein virtuelles Museum mit Ihren Werken unternehmen. Was sollen Ihre Bilder eigentlich bedeuten? 

Horst Rellecke: Was soll Mozarts „Kleine Nachtmusik“ bedeuten? Ein Bild ist ein Bild. Es kann nicht sein, dass man das erst in ein anderes Medium übersetzen muss, zum Beispiel Sprache. Sonst könnte man ja gleich eine Geschichte schreiben. 

WOLL: Stimmt. Geben Sie uns trotzdem einen Tipp? 

Horst Rellecke: Ich gebe gern über Titel einen Einstieg in die Bilder. Ob das gelingt, ist eine andere Sache. 

WOLL: Wie bei dem Bild „Die große Bauchpinselei“? Das finde ich ja herrlich!  

Horst Rellecke: Ich traf oft Leute, die nur große Taten angestrebt haben, um dafür gelobt zu werden. (Lacht) Da dachte ich mir, ich erfinde eine Maschine für sowas. 

WOLL: Was ist das Schwierigste beim Malen?  

Horst Rellecke: Malen ist Datenstrom vom Gehirn zur Hand in Echtzeit, ein Prozess, der in Schichten vor sich geht. Im Vergleich zur Musik etwa, kann man das Ergebnis nicht sofort überprüfen. 

WOLL: Also alles Erfahrungssache? 

Horst Rellecke: Irgendwann kann ein Bild nur noch anders werden, nicht besser. Den Moment muss man erkennen können.  

WOLL: Sind Sie heute besser als früher? 

Horst Rellecke: Ich habe immer die handwerkliche Perfektion angestrebt. Die war irgendwann erreicht. 

WOLL: Welchen Maler bevorzugen Sie selbst? 

Horst Rellecke: Ich schätze die Werke des surrealistischen Malers Yves Tanguy. 

WOLL: Malen Sie selbst surrealistisch? 

Horst Rellecke: Ich möchte mich da eigentlich in keine Schublade stecken lassen. 

WOLL: Was inspiriert Sie zu Ihren Kunstwerken? 

Horst Rellecke: Was jeden Tag passiert. Und Reisen, immer schon. Ich habe alles an großen alten Kulturstätten bereist. 

WOLL: Haben Sie ein Beispiel? 

Horst Rellecke: Einmal brachten wir eine chinesisches Geburtstags-Lotusblüte mit, die öffnete sich und blökte dann 30 Minuten lang „Happy Birthday“ und war nicht abzustellen. Also benutzte ich sie, um den Marder in unsere Zwischendecke zu verscheuchen. Das Ding blökte allerdings nach vier Wochen immer noch, also verstaute ich es in einer Truhe. Später zerquetschte ich es zwischen zwei Spanplatten und arbeitete es dann in das Bild „Vereiste Lotusblüte“ ein. Ein gutes Gefühl, weil ich einen chinesisches Plastikartikel gleich dreimal nachhaltig verwendet hatte!“ 

WOLL: Soll Kunst etwas? 

Horst Rellecke: Kunst ist wie alle kulturellen Dinge auch ein Lebensmittel. Das merkt man jetzt, da es fehlt. Kunst ist dafür da, um die Gesellschaft weiterzubringen.  

WOLL: Sie konnten als Künstler viele Erfolge feiern.  

Horst Rellecke: Ich habe das große Glück gehabt, dass ich immer machen konnte, was ich wollte. Es gibt Abzweigungen im Leben, und wenn ich mich da anders entschieden hätte, wäre das womöglich in eine vollkommen andere Richtung gelaufen. Da greift eins ins andere. 

WOLL: Zum Beispiel? 

Horst Rellecke: Ich wollte immer schon nach Amerika. Ich hatte nie vor, eine Doktorarbeit zu schreiben, kam aber so an ein Stipendium bei Charles Moore in Los Angeles. Dort gab es Schuhgeschäfte in Form eines Schuhs, Autos als Werkstätten und Imbisse in Form einer Pommestüte. Das war praktisch später die Inspirationsquelle für den Glaselefanten. 

WOLL: Wie sind Ihre Zukunftspläne? 

Horst Rellecke: Ich habe mich in letzter Zeit wieder konsequent auf Malerei beschränkt und das soll auch so bleiben. Nächstes Jahr werde ich 70, da muss ja was her für eine Ausstellung. 

WOLL: Werden Sie als Künstler einmal in den Ruhestand gehen? 

Horst Rellecke: Nein. Wenn es soweit ist, soll mich der Sensenmann ohne viel Gewese unter der Leinwand liegend abholen, den Pinsel noch in der Hand.