Nach über 100 Jahren ist der Wolf wieder zurück. Im Jahre 2017 wurden 60 Wolfsrudel und 13 Wolfspaare in Deutschland gezählt, der überwiegende Teil in Ostdeutschland. Während Städter der Rückkehr oft positiv gegenüber stehen, gibt es in der Landbevölkerung oft Ressentiments. Doch gleich, ob man ihm wohlgesinnt ist – oder auch nicht – Meister Isegrim ist Teil unserer Kulturgeschichte. Deshalb kann man, wenn man über Wölfe spricht, die jahrhundertelange Jagd auf sie nicht unberücksichtigt lassen.
Während Viehbauern in der heutigen Zeit intensiv Herdenschutz betreiben können, zum Beispiel durch stromführende Zäune, war es für die Menschen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein schwer, ihre Nutztiere zu schützen. Schafe, Schweine und Ziegen weideten oft am und im Wald und waren für den Wolf dadurch eine leichte Beute. Besonders während der Hungerszeiten und in Kriegsjahren traf sie der Verlust eines Tieres schwer. Der Wolf wurde als große Bedrohung angesehen.
Einen anderen Blickwinkel auf die Wölfe hatten die Feudalherren. In den wald- und damit wildreichen Regionen des Sauerlandes fand der Wolf meist ein reichhaltiges Mahl. Dadurch wurde er allerdings zum Konkurrenten für die Feudalherren, die die alleinigen Rechte an der Jagd und am Wild für sich beanspruchten. Mit der Wolfsjagd wurde so also ein Konkurrent ausgeschaltet und gleichzeitig die Bevölkerung beruhigt.
„Wir hatten eine lustige Jagd und fangen einen Wolf”, schrieb Kaspar von Fürstenberg 1596 in seine Tagebücher. Für das einfache Landvolk war eine tagelange Wolfsjagd bei Kälte und Schnee wohl weniger erfreulich. Akribisch wurde festgelegt, wie bei der Treibjagd vorzugehen war. Sobald es Neuschnee gegeben hatte, trafen sich Wolfsjäger aus den umliegenden Orten an Sammelplätzen, den sogenannten „Feuerstätten“. Bewaffnet waren sie mit Trommeln, Spießen, Schwertern, Fangeisen und Äxten. Pferde trugen die Ausrüstung, zu der auch aus Leinen gewebte Fangtücher gehörten. Diese Tücher stammten aus Arnsberg und wurden innerhalb von sechs Tagen aus 232 Ellen* Linnen genäht. 22 Reichstaler betrug der Preis dafür im Jahre 1739. In Sundern-Hellefeld gab es ein Zeughaus, wo das Fanggarn gelagert wurde.
Wenn nun von jemand der Wolf aufgespürt hatte, begannen die Jäger ihn regelrecht einzukreisen, ungefähr alle 30 Schritt musste ein Mann stehen. Die Trommel wurde geschlagen, die Treiber setzten sich in Bewegung. Die Jägerknechte mit ihren Fangeisen stellten sich hinter Bäume, um den Wolf zu erstehen. Auch die Jäger standen dort, um den Wolf vor die Flinte zu bekommen. Wurde er erlegt, erhielt der Oberjägermeister den Wolfsbalg.
Jeder Distrikt hatte seine eigenen Spürer und Grenzen. Genau wurde festgelegt, wie viele Personen aus den einzelnen Ortsteilen an der Jagd teilzunehmen hatten. Die erste Feuerstätte war der Schultenhof zu Enste, die zweite Feuerstätte war Visbeck bei Hellefeld und die dritte Feuerstätte Neuhaus am Möhnesee.
Im Jahre 1623 wurden 825, fünf Jahre später 600 Personen zur Wolfsjagd aufgeboten. Die Kosten einer solchen Veranstaltung wurden auf monatlich 258 Reichstaler berechnet.
Seinen Abschluss fand die Jagd in einem feuchtfröhlichen Zechgelage. Die nicht gerade geringen Kosten hierfür ließ sich der Jägermeister von der Landeskasse auszahlen.
Mitte des 17. Jahrhunderts – im und nach dem Dreißigjährigen Krieg – war das Volk müde und ausgezehrt. In einer Chronik von 1641 stand zu lesen: „Bald lastete die Not des Krieges so sehr auf den Menschen, dass sie über den räuberischen Menschen die Raubtiere vergaßen, was natürlich deren starke Vermehrung zur Folge hatte.“ Zu einer Wolfsjagd waren sie nur noch unter Androhung von Strafen zu bewegen.
1677 hauste in der Gegend von Eslohe-Salwey noch einmal ein räuberischer Wolf, der lt. Bericht 40 Menschen verwundete und 25 fraß oder tötete. Nach dem zweiten Berichte waren es mehrere Wölfe, die im Esloher und Schliprüthener Gericht an die 20 Menschen gefressen oder zu Tode gebissen haben sollen. Beide Berichte leiden zwar sehr an Übertreibung, haben aber doch einen wahren Kern.
Mitte des 18. Jahrhunderts lehnten sich einige Orte gegen die Zahlung von Strafen auf. Vom Kurfürsten beauftragt, sollten die Kellnereifronen* der Kirchspiele Meschede, Remblinghausen und Calle angemahnt werden. Die Einwohner hatten in diesen Jahren die schuldigen Pferde zur Wolfsjagd nicht gestellt. 1768 baten die Einwohner der Dörfer Assinghausen, Bruchhausen und benachbarter Dörfer bei der Regierung um Erlass der regelmäßig in Bigge erhobenen „Wolfjagdgelder“, die noch immer vom Forstamt erhoben würden, „wenngleich keine Wölfe mehr vorkämen“. Der Oberjägermeister erklärte dagegen, „es seien derer in den letzten drei oder vier Jahren zwei gefangen worden.“ Die Auseinandersetzungen gingen weiter.
Der letzte Wolf im Sauerland wurde im Jahre 1811 in Schmallenberg-Oberfleckenberg vom Schultheis Wilmes gesichtet. Flugs wurde eine Dorfmannschaft aufgeboten. Wer sich bewaffnen konnte, wurde als Schütze angestellt. Nach kaum einer Stunde war das Tier erlegt und wurde den jauchzenden Dorfbewohnern präsentiert.
Der letzte Wolf in Westfalen wurde 1835 geschossen und später ins zoologische Museum Münster gebracht.
1990 hat man den Canis Lupus unter Naturschutz gestellt. Im Jahre 2015 wurde erstmals wieder ein Wolf im Sauerland gesichtet. Nach mehr als 150 Jahren Verbannung gibt es geschätzt rund 370 Wölfe in Deutschland, der überwiegende Teil in Ostdeutschland.
Text: Christel Zidi