Hineingezogen in den Trommel-Rhythmus

Taikoschule Sen Ryoku in Eversberg 

Düsseldorf vor gut zwanzig Jahren. Das EKO-Haus der Japanischen Kultur in Düsseldorf. Konzert der Gruppe TenTekko. Peter Wiegelmann, der mit seiner Tochter Daniela vor Ort war, erinnert sich noch sehr gut daran: „Ich war fasziniert, konnte nicht aufhören, zuzuhören.“ Nach dem Konzert ging er zu den Künstlern und fragte, was er tun müsse, um das Trommeln zu erlernen. Die Reaktion: „Eine Einladung zu meinem ersten Übungsabend.“ 

Eversberg heute. Das Markes-Haus in Eversberg. Übungsstunde der von Peter Wiegelmann gegründeten Gruppe Sen Ryoku (= Große Trommel). Ganz anders als die Samurai, die ihre Kämpfer mit intensiven, rhythmischen Klängen in Ekstase, fast in eine Art Blutrausch versetzt haben, um Gegner zu besiegen, befindet Christine sich während des Trommelns eher in einem „Flow“: „Losgelöst von allen Alltagssorgen, einfach nur man selbst sein, im Einklang mit der Trommel.“ Ein gewisser „Suchtfaktor“ spielt beim Spielen und Hören der Trommeln durchaus eine Rolle, aber  „Wir kommen natürlich nicht in einen Blutrausch“, berichtet Christiane und lacht. Hanne empfindet das Trommeln als „Kraftquelle, die erden und ausgleichen kann.“ „Wobei“, so ergänzt Uwe, „das Gruppengefühl eine ganz entscheidende Rolle spielt, da man nur in der Gemeinschaft, im musikalischen Dialog das richtige Taiko-Gefühl erlebt“.    

Peter Wiegelman

Allerdings ist der Weg dorthin oft etwas steinig. Offensichtlich haben auch die Götter Japans vor den Erfolg den Schweiß gesetzt. „Taiko“, so Peter Wiegelmann, „deckt tatsächlich recht brutal aktuelle Konzentrations- bzw. Koordinationsschwächen auf. Als Leiter bin ich dann natürlich gefordert, darauf hinzuweisen. Es gab auch schon mal Teilnehmer, die dann ein Tränchen verdrückt haben – aber wiedergekommen sind immer alle.“ „Trotzdem“, so ergänzen schließlich Michael und Christiane, ist das Überwinden dieser Widerstände, etwa beim Einüben eines neuen Stückes, etwas, das uns neues Zutrauen schenkt, dann, wenn die Musik schließlich „vom Kopf in die Arme gekommen ist“    

Die bekannteste Taiko-Trommel nennt sich „wadaiko“. Ihre charakteristische Fassform gibt es in  Größen von 30 bis 180 cm Durchmesser. Beidseitig ist sie mit Leder bespannt. Bereits 16 dieser Trommeln hat Peter Wiegelmann, der Leiter der Taikoschule, in wochenlanger Arbeit selbst hergestellt.  Auch Trommler Ulmar Becker hat seine Trommel selbst gebaut.  

Besonderen Begegnungen der sehr menschlichen Art  

Im Rahmen des Förderprogramms „Kultur und Schule“ besucht Peter Wiegelmann viele Schulen der Region, um Kindern und Jugendlichen das Trommeln nahezubringen.  

Etwa sechs bis sieben Mal pro Jahr tritt die Gruppe öffentlich auf, 2018 etwa beim Hennesee-Festival oder bei der Matinee in den Arnsberger Bürgergärten.  

Welchen Einfluss Taiko auch auf die Zuhörer hat, war beim „Martinslauf“ in Paderborn zu sehen, bei dem Sen Ryoku das musikalische Rahmenprogramm bildete. Die Gruppe nahm den Lauf-Rhythmus der rundenweise herannahenden Läufer mit ihren tiefen Trommelklänge auf, beschleunigte dann – und – die Läufer beschleunigten ebenfalls – vermutlich unbewusst, aber deutlich sichtbar – in jeder Runde mit.    

Bei einem Konzert in Lippstadt teilte die Begleiterin einer taubstummen Zuhörerin später mit, dass diese das Trommeln, dass zu spürende Vibrieren, als etwas empfand, mit dem Sie mit Ihrer Umwelt, sprich den anderen Menschen im Publikum, in Kontakt treten kann. Herbert Grönemeyer („Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist“) lässt grüßen.  

Einer der vielen gemeinnützigen Auftritte war den Opfern des Katastrophen-Jahres 2011 (Stichwort Fokushima) gewidmet. Zusammen mit anderen Taiko-Gruppen werden seit vielen Jahren in Dortmund Konzerte gespielt, deren Erlös ausschließlich für die medizinische Betreuung von Kindern aus der Region verwendet wird. 2019, beim bisher letzten Auftritt dieser Art, kam einer der vielen japanischen Besucher auf Daniela Wiegelmann zu. „Er sprach offensichtlich kein Wort Deutsch, ich kein Wort Japanisch. Und da stand dieser hochbetagte Herr vor mir, bedankte sich schweigend, mit einer tiefen Verbeugung bei mir. Ein Moment, bei dem ich noch heute Gänsehaut bekomme!“  

Im großen Übungsraum des „Markes Haus“ in Eversberg, findet dann alles, was zuvor beschrieben und wurde, in der Musik eine wunderbare Übersetzung:  Eingeleitet durch einen riesigen Gong, erfüllen tiefe rhythmische Trommel-Klänge, erst ruhiger, dann sich steigernd bis hin zu einem dramatischen Inferno, den großen Raum, dann wieder leiser, langsamer, und …da capo. Es ist laut, aber es ist vor allem faszinierend. Der Zuhörer wird in die Musik hineingezogen wie eine Nussschale in eine Meereswelle …  

Das „Taiko-Trommeln“ hat eine Jahrtausende alte Tradition. Noch vor Christi Geburt wurde erst in China, dann in Korea und schließlich in Japan (mit dem Import des Buddhismus etwa im 5. Jahrhundert n.Chr.) auf die Taiko, die „dicke Trommel“ geschlagen. Zunächst sollte das Trommeln die Götter der Shinto-Religion beschwören, später versetzten die Samurai die eigenen Kämpfer mit den intensiven,  rhythmischen Klängen in Ekstase, in eine Art Blutrausch, um Ihre Gegner zu besiegen.