Hexenkump, Old Shatterhand und das Wolgalied

Klassenfoto UII Gymnasium Attendorn: Vorne links Albrecht Roesner

Quelle: privat

Erinnerungen an eine Jugend in Attendorn

Albrecht Roesner (Jahrgang 1942) hat seine Kindheit in Attendorn verbracht, ist hier bis zur Unterprima zum Gymnasium gegangen und machte sein Abitur ein Jahr später im ostwestfälischen Espelkamp. Das Interesse an Land und Leuten im Sauerland ist immer geblieben. Nach dem Studium an der Staatlichen Akademie für Grafik, Druck und Werbung in Berlin war Albrecht Roesner unter anderem fast zwanzig Jahre bei Mannesmann in Düsseldorf als Leiter der Konzernwerbung tätig. Der Blick zurück ins Sauerland, besonders nach Attendorn, hat ihn überall begleitet. Wegen eines Berichtes aus dem Jahre 2014 im WOLL-Magazin zum 100-jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche zu Attendorn, nahm der heute in Korschenbroich lebende Rentner Kontakt zur WOLL-Redaktion auf. Unserer Bitte, mal einen Bericht über seine Zeit im Sauerland zu schreiben, hat Albrecht Roesner gerne entsprochen. (hh)

An der Ev. Grundschule in Attendorn hatten wir als Lehrer Herrn Tiggemann. Obwohl schon im Rentenalter, war er wegen Lehrermangels reaktiviert worden. Dass er schon etwas schwerhörig war, kam ihm beim Simultan-Unterricht zweier Klassen durchaus zugute. So ließ er manches durchgehen, was eigentlich hätte geahndet werden müssen. Wirklich mucksmäuschenstill wurde es aber, wenn Lehrer Tiggemann die Geschichte vom Glockenguss zu Attendorn erzählte. Wie alle meine Mitschüler war ich jedes Mal gespannt, wie der zum Tode Verurteilte und damit die Story endete: Wurde er gehenkt, geköpft oder gevierteilt?

Wie auch immer: Auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte hatte der Delinquent den gleichen Weg wie ich nach Schulschluss: stadtauswärts über die Biggebrücke, dann rechts ab in Richtung Sün- Hexenkump, Old Shatterhand und das Wolgalied Erinnerungen an eine Jugend in Attendorn Albrecht Roesner dersweg und Rappelsberg. Mein Zuhause war allerdings schon auf halber Strecke erreicht. Weil mich die Geschichte doch beschäftigte, suchte ich insgeheim auf der Brücke nach dem Kreuz, das man in Erinnerung an den zu Tode gekommenen Gesellen errichtet haben sollte, leider vergeblich.

War vorzeiten der Galgen männlichen Delinquenten vorbehalten, so gab es in Attendorn für die Examinierung und Bestrafung von einschlägig verdächtigen Frauen den so genannten „Hexenkump“, eine dunkle Vertiefung in der Bigge einige hundert Meter oberhalb der Biggebrücke. Trotz des schaurigen Namens habe ich dort das Schwimmen gelernt und oft mit Freunden gebadet. Leider war die alte Bogenbrücke in den Nachkriegsjahren dem aufkommenden Verkehr nicht mehr gewachsen und schließlich für den Abriss freigegeben.

Quelle: privat
Alte Biggebrücke, Aquarell Karl Müller

Das Verschwinden eines der letzten Relikte aus alter Zeit bedauerte auch unser Kunsterzieher am Gymnasium, Karl Müller. Er hatte sich oft mit der Staffelei am Biggeufer niedergelassen, war erfreut, dass sich jemand für seine Arbeit interessierte und ließ mich gern über die Schulter schauen, wie er die Brücke zeichnete und aquarellierte.

Die alte Brücke wurde abgerissen, die neue 1957 dem Verkehr übergeben. Studienrat Müller hat damals mein Interesse an Gestaltung und Kommunikation geweckt und meinen Berufsweg mitbestimmt. Er hat sich in Attendorn durch die Neugestaltung der Glasfenster in der evangelischen Erlöserkirche ein Denkmal gesetzt.

Mit Old Shatterhand die Schulbank gedrückt

Über dem Eingangsportal des städtischen Gymnasiums stand damals wie heute „Deo Musis Patriae“. Nach dem verlustreichen Krieg und der darauffolgenden Teilung Deutschlands wurde der Begriff Vaterland jedoch hinterfragt. Für die Mehrzahl der Lehrer waren zehn, fünfzehn Jahre nach Kriegsende die Kriegserlebnisse noch präsent. Unser Mathe-Studienrat Stratesteffen ließ sich gern dazu verleiten, über die Schlacht am Wolchow zu berichten. Danach machten weniger die Rotarmisten als Sumpf, Mücken und nicht vorhandene Straßen den Deutschen zu schaffen. Wegen fehlender Sportlehrer musste er auch dieses Fach unterrichten. Bei gutem Wetter ging es hinaus zum Sportplatz, bei Regen blieben wir in der Halle. Unter Stratesteffens Anleitung wurde dann Marschieren geübt: „Im Gleichschritt Marsch!“ und „Abteilung Halt!“. Das Marschieren klappte mit der Zeit ganz gut, bei „Abteilung Halt!“ gab es immer wieder Nachgetrappel, zum Missfallen des Kommandierenden.

Ein Ass im Sport war unser „Old Shatterhand“, der Elsper Junge Jochen Bludau, der dort jahrzehntelang bei den Karl-May-Festspielen in dieser Rolle glänzte. Nach dem Sport unter der Dusche pflegte er stimmgewaltig das Wolgalied zu singen: „Hast du dort oben vergessen auch mich?“

Mathelehrer Roeske gab sich alle Mühe, uns das binäre Zahlensystem verständlich zu machen. Er war seiner Zeit zu weit voraus.

Im Schulalltag waren auch Ohrfeigen an der Tagesordnung. Wir waren eine reine Jungsklasse und haben es den Lehrern nicht immer leicht gemacht. Unter den Streichen der Schüler hatte besonders Lateinlehrer Nake zu leiden. Er fuhr mit seinem NSU Quickly-Moped zum Einkaufen und hatte oft Probleme mit der Weiterfahrt, weil ihm von Schülerhand regelmäßig der Benzinhahn abgesperrt wurde.

Attendorner liefert Stoff für Arzt von Stalingrad

Einer meiner Freunde war Günter Lönnendung, der mit seiner Mutter und seinen Schwestern in der Hofestatt wohnte. Vater Heinrich kam erst 1955 nach zehnjähriger russischer Kriegsge fangenschaft zurück nach Attendorn. Er war in dieser Zeit in den verschiedensten Gefangenenlagern gewesen und hatte umfassende Kenntnisse darüber. Wie mir mein Freund erzählte, hat ihn etliche Male Heinz Günther alias H. G. Konsalik besucht und dazu befragt. Sein Buch „Der Arzt von Stalingrad“ kam 1956 heraus und wurde ein Bestseller. Gut möglich, dass einiges von Lönnendungs Erzählungen in das Buch eingeflossen ist. H.G. Konsalik wohnte bis 1957 mit seiner Frau in Attendorn und zog dann ins Rheinland.

Auszeichnung von Business Week USA: Best Read Advertisement of the Month, September 1987, Herkunftsnachweis: Salzgitter AG Konzernarchiv/Mannesmann ArchivQuelle: privat
Auszeichnung von Business Week USA: Best Read Advertisement of the Month, September 1987, Herkunftsnachweis: Salzgitter AG Konzernarchiv/Mannesmann Archiv

Zum Studium nach Berlin, zum Job nach Düsseldorf

Ich selbst ging nach dem Abitur zum Studium nach Berlin. Die Staatliche Akademie für Grafik, Druck und Werbung war damals führend in der Vermittlung moderner Kommunikationstechniken. Siemens Düsseldorf bot nach dem Examen den Einstieg in Beruf und Praxis. Die enge Anbindung an die Werbezentralen in München und Erlangen machten personellen Austausch und Einblick in Marketing und Werbung des Weltunternehmens möglich. Danach war ich als Werbeleiter im Handelsblatt-Verlag tätig. Düsseldorf hatte den Vorteil, dass es hier eine kleine Kolonie von Attendornern gab, die sich regelmäßig trafen und austauschten.

Mannesmann – fit für die Zukunft

1983 wurde ich Leiter der Konzernwerbung bei Mannesmann in Düsseldorf. Ein anspruchsvoller und aufregender Job in einem Unternehmen, das sich in wenigen Jahren vom Stahl-/ Röhrenhersteller zu einem Weltmarktführer im Maschinenund Anlagenbau und in der Elektronik wandelte. Mannesmann diversifizierte schneller und effektiver als beispielsweise Krupp oder Thyssen. Wertvolle Unterstützung hatte das Unternehmen dabei durch eine herausragende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und eine kreative hauseigene Werbeagentur.

Anzeigenmotiv gegen die Übernahme von Mannesmann durch VodafoneQuelle: privat
Anzeigenmotiv gegen die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone

Vodafone besiegelt das Ende eines Weltunternehmens

Mannesmann gewann die Ausschreibung für das private Mobilfunknetz D2 und war alsbald nicht nur in Deutschland, sondern auch auf dem europäischen Mobilfunkmarkt erfolgreich. Dies wiederum machte Mannesmann zum begehrten Objekt. Vodafone – ebenfalls ein erfolgreicher Player in Europa – bereitete die feindliche Übernahme vor. Als Mitglied des Defence- Teams um Vorstand Esser war ich einbezogen in die Gegenmaßnahmen und hätte niemals geglaubt, dass ein Unternehmen von der Größenordnung Mannesmanns hätte übernommen werden können. Um die Aktionäre gegen die Übernahme einzustimmen, wurde eine speziell dafür entwickelte Anzeigenkampagne in der Tages- und Wirtschaftspresse geschaltet. Letztendlich stimmte Esser aber auf Druck der Anteilseigner und -vertreter dem Verkauf zu: Vodafone legte 180 Milliarden auf den Tisch für die teuerste Übernahme in der Industriegeschichte. Das Unternehmen wurde in Einzelbereiche zerlegt und verkauft. Die Konzernzentrale in Düsseldorf wurde aufgelöst, die Mitarbeiter konnten fortan zuhause bleiben.

Quelle: privat

Albrecht Roesner
Werdegang:
• Ev. Grundschule Attendorn
• Städt. Gymnasium Attendorn
• Nach dem Studium in Berlin berufliche Stationen in Düsseldorf bei Siemens und beim Handelsblatt-Verlag
• Zuletzt Leiter Konzernwerbung bei Mannesmann