Detlev Becker und sein überragendes Engagement für Niedereimer
Bereits im fünften Schuljahr entflammte das Interesse, die Heimat und deren Geschichte zu erforschen. „Seitdem hat mich das nicht mehr losgelassen“, sagt Detlev Becker. Seine Heimat ist das 1800 Seelen-Dorf Niedereimer, auch Ninive genannt. Der 57-jährige Postbeamte ist u. a. Vorsitzender des Arbeitskreises für Dorfgeschichte und -entwicklung sowie Ortsheimatpfleger und gilt als „Institution“ im Dorf. „Wir möchten die Geschichte greifbar machen und damit auch an der Zukunft arbeiten“, so Becker. „Wir wollen die Menschen mitnehmen.“ Fünf historische Ausstellungen und 14 Ausgaben des Heimatblattes, Der Ninivit, hat er maßgeblich mitgestaltet.
Becker erinnert sich noch genau an den Beginn seiner Passion, die Heimat zu erkunden: „Die Schule hat den Anstoß gegeben. Im fünften Schuljahr sollten wir nach alten Gebäuden suchen und darüberschreiben. Das hat mich ungemein fasziniert und mein Interesse für Heimatgeschichte geweckt.“ Als „Junge aus Niedereimer“ engagierte er sich u. a. auch als Messdiener, Jugendgruppenleiter, Mitglied im Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand, ist aktiver und überzeugter Feuerwehrkamerad, Chronist und „Pressesprachrohr“ der Ortsvereine und des Bezirksausschusses Niedereimer/Breitenbruch.
Seit 2002 übt Becker das Amt des Ortsheimatpflegers aus, zwei Jahre später wurde er Vorsitzender des Arbeitskreises für Dorfgeschichte und -entwicklung (AKD). Der Arbeitskreis hat seit 1995 bisher fünf Ausstellungen initiiert, eine sechste „75 Jahre Kriegsende 2020“ soll nachgeholt werden. Beckers Augenmerk richtet sich besonders auf die Zeit des Nationssozialismus. „Ich möchte verstehen, warum ein so verbrecherisches System sich zwölf Jahre halten und einen solchen Schaden anrichten konnte.“ Auch die aktuelle Sonderausgabe des Heimatblattes, Der Ninivit, beschäftigt sich mit diesem Thema: „75 Jahre danach – gerettete Geschichte(n) zu NS-Zeit, Krieg und Neubeginn“, so lautet der Titel des bisher 14. Heftes. In der 277 Seiten starken, anspruchsvollen und nachdenklichen Ausgabe kommen vor allem Zeitzeugen zu Wort, die heute in Niedereimer beheimatet sind. Sie erzählen ihre Erlebnisse zwischen 1933 und etwa 1950. „Für uns war es wichtig, von möglichst vielen Einzelschicksalen zu erfahren. Wir wollen die Geschichte greif- und erlebbar machen.“ Mit der Sonderausgabe will der AKD dazu beitragen, „dem Vergessen vorzubeugen und zu zeigen, dass Frieden und Freiheit kostbare Güter sind“. Becker arbeitete zudem in der Geschichtswerkstatt „Zwangsarbeit“ mit und ist Co-Autor der Dokumentation „Zwangsarbeit in Arnsberg 1939 – 1945 – Daten, Fakten, Hintergründe“. In der Geschichtswerkstatt (2004 – 2007) war auch Beckers Frau Simone aktiv, die zudem als Fußball-Trainerin die D-Juniorinnen der JSG Niedereimer/Bruchhausen betreut.
Becker geht es in seiner Arbeit aber auch um die Entwicklung des Ortes und „das Aktuelle zu erfassen“. Alles „was greifbar“ ist, wird gesammelt: Artikel über Niedereimer, Flyer oder auch Biermarken sind dabei. Das Dorfarchiv in der ehemaligen Post ist eine wahre Schatzgrube. „Es geht um Nachhaltigkeit. Was heute aktuell ist, wird morgen Geschichte.“
Hoher Besuch beim Historienspiel 2003
Auch in seiner Arbeit als Ortsheimatpfleger spielt die Ortsgeschichte eine wichtige Rolle. „Bei den Dorfführungen mit Kindergärten, Schulen, Gruppen, Vereinen und Neubürgern gebe ich sie weiter“, betont Becker. In bester Erinnerung bleibt zudem das Historienspiel 2003 auf dem Platz der ehemaligen Dicken Eiche mit ihrem Umfang von neun Metern. Das Spiel erinnerte an den Besuch von König Friedrich Wilhelm IV., der 1853 in Begleitung des Prinzen und späteren Kaisers Wilhelm I. den majestätischen Baum besucht hatte. Die 1923 abgebrannte Eiche ist das Hauptsymbol im Wappen des Ortes. Ein weiterer Höhepunkt des Orts war 2007 das 800-jährige Ortsjubiläum mit einer eigenen Ausstellung.
Becker gilt in Niedereimer als „Institution“. Ihn kennt jeder. Seit 25 Jahren ist der Postbeamte Zusteller im Ort. Er hat damit das Ohr am Puls der Einwohner. „Ich bekomme viel mit. Für einige ältere Bewohner bin ich vielleicht der einzige, mit dem sie sprechen.“ Sein Wunsch für die Zukunft des Ortes? „Wir wollen weiter an der Geschichte und der Zukunft von Niedereimer arbeiten. Wünschenswert wäre, weitere Mitarbeiter zu finden.“
Niedereimer, Ninive und das „Schmähgedicht“ von 1912
Dass Niedereimer als Ninive bezeichnet wird, hängt mit einem „Schmähgedicht“ des Gastwirts Schumacher aus Bruchhausen zusammen, der sich 1912 gemeinsam mit den Schützenbrüdern darüber geärgert hatte, dass Niedereimer eine eigene Schützenbruderschaft (St. Stephanus) gegründet hatte und ein eigenes Schützenfest auf der Friedrichshöhe feierte. Seit 1849 verband Bruchhausen und Niedereimer eine gemeinsame Bruderschaft. Der Wirt bezeichnete die Schützen aus Niedereimer als Ratten („Als die Ratten frech geworden, da zogen sie in großen Horden oben nach der Friedrichshöh`…) und als „Niniviten“. Die Niniviten waren die Einwohner von Ninive. Sie galten als böse und ungläubig. Nach dem Alten Testament war ihnen vom Propheten Jona angekündigt worden, dass Gott ihre Stadt zerstören würde. Da die Einwohner ihre Taten aber bereuten, wurden die reuigen Sünder von Gott verschont. „Darum wird Niedereimer auch als Ninive bezeichnet“, so Ortsheimatpfleger Becker. „Auch die Bewohner bezeichnet den Ort als Ninive.“ Übrigens: Die „Reue“ der Niniviten hielt nicht lange. Sie kehrten schnell zu ihrem alten Verhalten zurück. Die Strafe: Um das Jahr 612 v. Chr. wurde die einstmals prächtige Stadt im assyrischen Reich vollständig zerstört.