
Doch wo ist der Fingerhut?
Ende Mai und Anfang Juni verwandelt sich das Sauerland in ein Blütenmeer. In diesem Jahr dominiert das intensive Gelb des Ginsters, im Jahr zuvor das Pink des Fingerhutes. Warum erleben wir in den letzten Jahren solche Blütenmeere und vor allem: Wo ist der Fingerhut in diesem Jahr geblieben, der letztes Jahr so prächtig die Berghänge bedeckte? Wir haben dazu mit Rangern, Waldbauern und Gärtner gesprochen.
Nachdem durch den Fraß der Borkenkäfer freie Fläche statt Fichten an den Berghängen zu finden sind, nutzen andere Pflanzen in aller Eile ihre Chance. Durch Naturverjüngung wachsen auch ohne Zutun der Waldbauern auf den Waldflächen kleine Bäume heran: zunächst Birken und Ebereschen, aber auch Buchen und Fichten, deren Samen noch überall im Boden vorhanden sind. In wenigen Jahren werden die Bäume wieder das ganze Sonnenlicht für sich beanspruchen. Der Waldboden liegt dann wieder im Schatten. Das „wissen“ die niedriger wachsenden Arten des Waldes – von den Kräutern bis zu den Sträuchern. Deshalb „ist ihnen klar“, dass sie sich extrem beeilen müssen, um sich in der Zeit ohne schattige Bäume so stark wie möglich zu vermehren. Folglich blühen die Arten so intensiv sie können – vor allem, wenn der Mix aus Regen und Sonne für ihren Wuchs so optimal ist, wie in diesem Jahr.
Zunächst kommen die Kräuter, Stauden und Farne. Dazu gehört der Fingerhut, der im Jahr 2024 seine Sternstunde erlebt hat. 2023 blühten noch deutlich weniger Fingerhüte. Die Fingerhutpflanze braucht allerdings zwei Jahre vom Samen bis zur nächste Blüte. Im ersten Jahr kommen nur kleine Blättchen. Und zur prächtigen Blüte kommt es im zweiten Jahr nur dann, wenn bis dahin nicht andere, größere Pflanzen die Fläche für sich beanspruchen.
Nach dem Fingerhut kommen die Himbeer- und Brombeersträucher und kurz nach ihnen der schnell wachsende Ginster. Hat er erst einmal eine Fläche erobert, erobert er sie ganz. Er überwuchert alles. Die meisten Kräuter, Stauden und Farne haben unter ihm keine Chance. Flächen, die vor zwei Jahren noch dem Fingerhut gehörten, sind in diesem Jahr vom Ginster bedeckt. Die Samen des Fingerhutes müssen darunter geduldig auf ihre nächste Chance warten – wahrscheinlich erst in Jahrzehnten. Auch die jungen Bäume wachsen nur langsam unter dem Ginster, aber sie wachsen zuverlässig. Und wenn sie zwischen dem Ginster hindurch kommen, überwuchern sie ihn, nehmen ihm die Sonne und beanspruchen die Fläche für sich.
In diesem Jahr gehört das Sauerland dem Gelb des Ginsters. Was aus den vielen Fingerhutsamen des letzten Jahres wird, erleben wir erst im nächsten Jahr. Ein paar Fingerhutpflanzen werden aber auch in diesem Jahr vermutlich noch kommen.
Ein Fingerhutmeer erleben wir aber wahrscheinlich erst wieder 2026 und auch nur auf jenen Flächen, die der Ginster bis dahin noch nicht erobert hat. Danach herrscht der Ginster bis der Wald zurückgekommen ist. Mehr dazu und ob der Ginster nun für den Wald gut oder schlecht ist, erfahren Sie im Video-Podcast „Ginsterblüte statt Fingerhutmeer“ aus der Podcastreihe Kappest kompakt.