Gespräch über Bäume

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Von Hubert Koch

Am Anfang der Betrachtung ein Zitat. Bert Brecht schrieb auf dem Höhepunkt der Nazi-Diktatur folgende Zeilen „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“

Gegenwärtig ist es angesagt, diesen Satz umzustellen: „Es ist fast ein Verbrechen, in diesen Zeiten nicht über Bäume zu reden, sondern über Mode, Fußball und anderes.“ Das Unrechtsregime, über das lange geschwiegen wurde, dauerte 12 Jahre.

Buchen und Fichten

Das Thema heute hat einen Rahmen, der die Erd-, Wald- und Menschheitsgeschichte berührt. Nur über einen kleinen Abschnitt daraus können wir hier sprechen. Zur Eingrenzung des Themas steigen wir in die Geschichte ein, nah an der Gegenwart, nämlich am Ende der letzten Eiszeit und aus der großen Vielfalt der Bäume wählen wir die Arten, Buche und Fichte.     

Das Klima der Eiszeiten löste unter der vielfältigen Gemeinschaft der Bäume eine Massenflucht von Nord nach Süd aus. Sie suchten Asyl in vom Eis verschonten Refugien am Oberrhein und im Mittelmeerraum. Von da aus setzte dann nach dem endgültigen Verschwinden des Eises die Heimkehr der Bäume ein, allerdings nur für die Arten, denen der südliche Lebensraum zu heiß und zu trocken war. Die von West nach Ost verlaufende Alpenregion umgingen sie im Westen durch das Rhonetal und im Osten wählten sie die Balkanroute. Auf den Wegen nach Norden siedelten sie da, wo es ihnen zusagte und wo sie den Kampf gegen konkurrierende Baumbrüder und Schwestern gewannen, oder sich mit ihnen arrangierten. Daraus entstanden Mischwälder, deren Gelingen von Toleranz und Anpassung abhängt. Bis zum Endzustand der Wälder gab es einige Vorstufen wie Tundra-, Zwergstrauch-, Birken-, Haselzeit und andere.

Wir beobachten unsere beiden Hauptdarsteller.

Die Buche hatte um 800 v.Chr. den mitteleuropäischen Raum ziemlich kompromisslos besiedelt. Diese Region war weltweit das einzige geschlossene Buchengebiet.

Quelle: WOLL-Verlag

Natürliches Verbreitungsgebiet Buche

Im Osten bilden die Ukraine und Polen, im Süden, Mittelitalien, Mittelgriechenland und die Pyrenäen, im Westen die Kanalküste und im Norden Ostdänemark und Südschweden die Grenze. In England und Irland galt für die Buche damals schon der Brexit. 

Die Fichte wanderte über die Balkanroute, besiedelte die höheren Lagen der Alpenregion, Osteuropa, Baltikum, Russland bis zum Ural und Skandinavien von Norden. Ganz in unserer Nähe führte ihre Wanderstrecke vorbei, nämlich in den Hochlagen des Thüringer Waldes und des Harzes.                                                      

Natürliches Verbreitungsgebiet Fichte

Quelle: WOLL Verlag

Der Sprung ins ca. 200 km westlich entfernte Sauerland gelang nicht, hier herrschte das Matriarchat Buche.

Die Auswahl der beiden Baumarten für unsere Betrachtung ist nicht zufällig. 

Beide Arten haben das Leben der Siedler des Sauerlandes erst ermöglicht und dann begleitet.

Mit dem Wachsen der Bevölkerung nahm die Rodung des Buchenurwaldes in Mitteleuropa ständig zu und am Ende dieser Periode, um 1400, war noch ein Drittel des Urwaldes übrig, aus dem allmählich Wirtschaftswald wurde. Dieses Wald-Feldverhältnis ist bis heute geblieben, wobei immer noch Flächen für Siedlung und Verkehr beansprucht werden. – Heide Neuer-Hagen

Mit dem Wachsen der Bevölkerung nahm die Rodung des Buchenurwaldes in Mitteleuropa ständig zu.

Der Begriff nachhaltige Nutzung war zwar im Jahr 1713 erfunden, wurde aber nicht angewandt. Im Sauerland z.B. war der Waldanteil höher als in den fruchtbaren Niederungen, aber die Gewinnung und Verarbeitung von Eisenerz erforderte große Mengen Holzkohle, die eine nachhaltige Waldwirtschaft nicht hergab, also wurde Raubbau betrieben. Anschließend verhinderte das Weidevieh auf diesen Flächen eine natürliche Wiederbewaldung und die ständige Nutzung des Bodenbewuchses zur Viehstreu ließ sie zu baumlosen Heidesteppen werden. Was an Buchenwald übriggeblieben war, stockte meist auf extremen Standorten oder war durch Übernutzung zu Niederwaldformen degradiert.

Die Begegnung Mensch – Buchenwald, so kann man bilanzieren, ging für die Mutter des Waldes nicht gut aus. Das Ende des Holzkohlenzeitalters war besiegelt, als man die Steinkohle entdeckte. Versuche, auf den Heideblößen künstlich den Buchenwald zurück zu holen, scheiterten.

Nun kommt die zweite Hauptdarstellerin unserer Betrachtung ins Bild, die Fichte. 

Wozu die Natur viele tausend Jahre brauchte, um eine Baumart an einem bestimmten Standort zu etablieren, benötigte der Mensch nur einige Jahrzehnte. Ausgestattet mit Sack und Esel brachte er 50 kg Fichtensamen aus dem Thüringerwald ins Sauerland. Damit konnte er, wenn alles reibungslos ablief, rein rechnerisch 1600 ha Höhenblößen in Fichtenforste verwandeln. Mensch und Esel machten die Tour mehrmals und so verschoben sie die Grenzen des Verbreitungsgebiets der Fichte zu Lasten der Buche in einem kurzen Zeitraum von etwa 100 Jahren, mit dem Ergebnis von etwa 70 % Fichte zu 30% Buche.

Die anfängliche Diffamierung der Fichte wandelte sich mit der Erkenntnis, was man alles aus dem Holz machen kann, in das Lob „Brotbaum“. Die ökonomischen Gewinne der Fichtenwirtschaft brachten viele Waldbesitzer dazu, ihre Betriebe auf den „Brotbaum“ auszurichten. Damit gingen sie, ähnlich wie an der Börse, ein hohes Risiko ein.

Ein paar Angaben über Bedürfnisse und Eigenheiten der Baumart geben dem Risiko ein Gesicht. Keine hohen Ansprüche stellt die Fichte an Wärme und Nährstoffe, aber an Wasser. Mindestens 40 mm/qm pro Monat in der Vegetationszeit, möglichst 1000 mm/qm im Jahr.n Es war keine Laune der Natur, dass sich die Fichte in Mittel- und Südwesteuropa nicht behauptet hat. Das waren Faktoren wie Wind, der bei der flachen Wurzel leichtes Spiel hat, Nassschnee und Insekten, wenn sie außer Rand und Band geraten. Außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes ist der reine Fichtenwald ein Kunstgebilde, ähnlich einer Plantage, die dem Menschen dient und seiner Obhut anvertraut ist. Aus der Beobachtung der Fichtenurwälder lernte und lernt der Mensch die Baumart Fichte durch kluge Waldbautechnik vor den Gefahren in der „Fremde“ zu schützen. Dieser Kulturwald bedarf der ständigen Beobachtung von der Pflanzung bis zur Ernte, dann liefert er den wunderbaren Rohstoff Holz und trägt zur Artenvielfalt bei.

Im Laufe der Jahre ist die Sorgfaltspflicht des Menschen gegenüber seinem Schützling Fichtenforst mehr und mehr vernachlässigt worden. Das lässt sich an verschiedenen Merkmalen nachweisen. Mangelnde Pflege fördert die Instabilität, Lagerung ungeschälter Fichten reizt die Borkenkäfer zu Massenvermehrungen und die Propagierung von Wildnisgebieten verunsichert die Verantwortlichen. Die Versklavung der Fichte in Gebieten, die ihr nicht zusagen, die schlechte Behandlung und der Unmut des Klimas lässt aktuell befürchten, dass sie sich nach zweihundert jährigem Besuch hier wieder verabschiedet.

Eine Bilanz am Ende des Gesprächs über Bäume kann man aus verschiedenen Betrachtungsweisen ziehen, nämlich wirtschaftlich, ökologisch und moralisch. 

Beim Entrüsten heute über Bilder von brennendem Urwald am Amazonas sollte man ein paar Minuten dem zu zwei Drittel verschwundenen europäischen Buchenwald von gestern widmen. Damals war das Roden des Waldes zur Ernährung der ständig wachsenden Bevölkerung eine Heldentat, genau wie das Herbeischaffen von einem Zentner Fichtensamen aus dem Thüringer Wald ins Sauerland auf dem Rücken eines Esels. Beides diente der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen. Die eine Tat wird heute Vernichtung eines Ökosystems genannt, die andere Verfichtung.      

Ethisch, moralisch und religiös wird die Unterwerfung der Natur durch den Menschen mit einer Aufforderung aus der Bibel gerechtfertigt: Machet Euch die Erde untertan. 

Bei der derzeit hitzigen Diskussion, was alles zum Untertanmachen gerechnet werden darf, hört man oft die Mahnung, der Satz sei falsch ausgelegt, die Erde sei Euch anvertraut, müsse er heißen.   

Quelle: WOLL-Verlag
Foto Oktober 2019: Abschied von der Fichte?

Quellen:

  „Lexikon der Baum und Straucharten“  von  P. Schütt/ H.J. Schuck/ B. Stimm – Verlag: Nikol 2014      

„Uns anvertraut“ von Josef Richter    Landwirtschaftsverlag Münster – Hiltrup 1998  

Beitrag aus dem Buch „Von Bäumen und Menschen“ – Kurzgeschichten aus der Natur -von Hubert Koch – WOLL-Verlag – ISBN: 978-3948496-64-7