Geschützte Räume zum Diskutieren pragmatischer Lösungen

Torben Halbe

Quelle: Foto: Christian Klant

Der Modernismus und Universalismus von klassisch Liberalen, Konservativen und anderen freiheitsliebenden Menschen ist eine offene Flanke, die von Grünen, Linken und anderen Zentralisten routinemäßig ausgenutzt wird. Er führt unter anderem zu einem Irrglauben an eine faire und „sachliche“ Diskussion im „öffentlichen Raum“, der sich darin äußert, dass wir den zentralistischen Intellektuellen wieder und immer wieder ins offene Messer aus sprachlichen und emotionalen Tricks in einem vorgefertigten Meinungsklima laufen. Das können wir uns angesichts der Bundestagswahl und der im Corona-Kontext stattgefundenen Wirtschaftszerstörung nicht länger erlauben. Es wird Zeit, zurückzucanceln!

„Sein Ruf ist schlecht, aber sein Potenzial gigantisch: ein Lob auf den Konservativismus“ nannte Alexander Grau seinen Gastbeitrag in der NZZ vom 17.04.21[i]. Darin forderte er einen individualistischen Konservatismus, auch angesichts der Bedrohung der „Freiheitsräume jedes Einzelnen durch die technologische Entwicklung und die ideologischen Übergriffe der sich progressiv Wähnenden“. Er schrieb: „Dieser mutige Individualismus ist in freien und liberalen Gesellschaften ein ungleich attraktiveres Angebot als die autoritären und ängstlichen Weltbeglückungsphantasien der Dauerbesorgten. Befreit von dem Verdacht, lediglich Herrschaftsideologie alter Eliten zu sein, kann ein moderner Konservatismus endlich das subversive Potenzial entfalten, das schon immer in ihm steckte“. Ich stimme zu, und auch den von ihm angedachten Schulterschluss mit dem klassischen Liberalismus sehe ich als unbedingt nötig. Mehr noch: Ich würde jeden in die Reihen der Freiheitsliebenden aufnehmen wollen, der nicht von einem Zentralstaat gegängelt werden möchte und auch andere nicht gängeln möchte, egal ob man ihn nach vergangenen Maßstäben als links, rechts oder sonst wie bezeichnet hätte. Auch bisher apolitische Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten zufrieden damit waren, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden, sollten sich anschließen, da die Bürger in Frieden lassen etwas zu sein scheint, zu dem der moderne Staat (und die Medienwelt) schlicht nicht mehr fähig ist.

Dieser breite Schulterschluss ist nötig, weil die Feinde der Freiheit und Individualität, besagte „Weltbeglücker“, inzwischen leider ebenfalls ein Agglomerat über frühere ideologische Grenzen hinweg bilden. Waren beispielsweise die massenhafte, unkontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen und ein Klimaschutz durch Wirtschaftszerstörung (siehe Kohleausstieg und womöglich in Zukunft auch noch Verbrennungsmotorausstieg) ursprünglich linke und grüne Themen, wurden sie doch von der Merkel-CDU umgesetzt, unter dem Applaus zahlreicher Journalisten und „Experten“. Bei Corona ist es noch schlimmer: Wieder wird der zentralistische Holzhammer angesetzt, gerechtfertigt mit dem Tunnelblick handverlesener Experten, kondensiert in eine wenig aussagekräftige, aber politisch leicht beeinflussbare Zahl (den Inzidenzwert)[ii], mit dem angesichts einer höchstwahrscheinlich endemisch[iii] werdenden Krankheit völlig utopischen, aber am intellektuellen Reißbrett wahrscheinlich alternativlos erscheinenden Ziel „No CoViD“.

Wer genau sind diese Gegner der Freiheit? Organisatorisch sind sie Zentralisten, da sie alles durch Micromanagement von Berlin (oder gar Brüssel) aus entscheiden wollen. Vom Habitus her sind sie Intellektuelle: Üblicherweise bürgerlicher Hintergrund, akademische Bildung, oft in den Gesellschaftswissenschaften, „Karriere“ als Aktivist, Haltungsjournalist, Berufspolitiker oder an der Universität. Und allesamt Profis für Sprache und Propaganda, und zwar so stark, dass es unbewusste Züge angenommen hat: So, wie ein erfahrener Handwerker sein Werkzeug ganz automatisch gut führt, führt diese herrschende Klasse die Sprache, um die Menschen zu beeinflussen.

Das ist vielen klar, eine umfassende Analyse dieser Problematik legte z. B. der klassisch liberale Volkwirtschaftler, Unternehmer und Privatgelehrte Roland Baader schon im Jahr 2002 mit „totgedacht –Warum Intellektuelle unsere Welt zerstören“ vor. Dort wird ausführlich dargelegt, wer diese Intellektuellen sind, wie sie unsere Welt zerstören, und warum sie das tun. Das Buch, mit einem Geleitwort von Michael von Prollius, ist online frei verfügbar lizensiert, und ich kann nur empfehlen, reinzuschauen: http://www.roland-baader.de/wp-content/uploads/Baader_totgedacht.pdf

Dennoch: Ein Mittel dagegen scheint mit betont rationalen Analysen wie der von Roland Baader noch nicht gefunden. Meiner Ansicht nach, weil wir die Bedeutung von „Vernunft“ im politischen Raum deutlich überbewerten. Der Siegeszug der zentralistischen Intellektuellen, der dauerbesorgten, pseudoprogressiven Weltbeglücker hält zumindest unverändert an!

Weg mit dem Ballast!

Das hat Herr Grau erkannt, und er bietet in besagtem NZZ-Artikel sogar einen Lösungsansatz: Das Überbordwerfen von ideologischem Ballast durch die Konservativen! Er schreibt: „Insbesondere ihre Fixierung auf das angeblich Zeitlose ist ein ideologischer Klotz am Bein. Selbstverständlich sind kollektive Identitäten, soziale Rollen oder kulturelle Normen menschliche Konstruktionen. Das macht sie aber nicht weniger wertvoll.

Ein selbstbewusster Konservatismus weiss, dass das Konzept der sozialen Konstruktion keine böswillige linke Erfindung ist, sondern eine anthropologische Realität. Nationale Kulturen, Rituale, soziale Rollen und Institutionen wie Ehe und Familie stammen aus dem sozialen Labor der Geschichte. Genau deshalb aber sind sie wertvoller, humaner und angemessener als die künstlichen Produkte modischer Gesellschaftsingenieure.“

Gut gesagt, und das gilt ähnlich auch für klassisch liberale Konzepte wie die freie Marktwirtschaft und den Individualismus! Auch diese sind nicht zeitlos, sondern wertvolle evolutionäre Entwicklungen, bewährt und weiterentwickelt, anders als im Elfenbeinturm entwickelte Retortenbabys wie Massenkollektivismus oder Planwirtschaft. Dabei vertragen sich Ehe und Familie sowie auch lokale Gemeinschaften wie die in Dörfern oder Kleinstädten sehr gut mit Individualismus, ja, sie helfen dem Individuum bei der Individualität, indem sie ihm lokale, individuelle Rollen zuweisen. Auch das hat Herr Grau erkannt.

Um diesen neuen individualistischen Konservativismus/Liberalismus zum Erfolg gegen den zentralistischen Intellektualismus zu verhelfen, möchte ich hier nun einen weiteren ideologischen Klotz am Bein angreifen: Die sogenannten bürgerlichen Werte, sofern sie universalistisch und ja, zeitlos verstanden werden.

Viele Konservative und klassisch Liberale des 21. Jahrhunderts beobachten richtig, dass man in der westlichen Welt des 20. Jahrhunderts freier war als heute, in dem Sinne, dass es deutlich weniger Eingriffe in die Wirtschaft, Kunst, Sprache und Kultur und selbst in das alltägliche Leben gab. Der Begriff „Eingriffe“ soll dabei sowohl rechtliche Eingriffe der Staatsgewalt abdecken als auch moralische Angriffe durch Medien und Internetmobs: So oder so, sich wie früher in eigenverantwortlichen Handlungen „um seinen eigenen Kram zu kümmern“ oder offen in eigenen, nicht an mediale Sprachregelungen angepassten Worten seine Meinung zu äußern, ist kaum mehr erlaubt.

Konservative und klassisch Liberale ziehen daraus aber den falschen Schluss, wenn sie als Ursache dieser Freiheit des 20. Jahrhunderts vermuten, es sei ein allgemein geteilter, einheitlicher Glaube an eben diese als universell und zeitlos verstandenen bürgerlichen Werten, wie „Vernunft“, „Objektivität“, „Demokratie“, „Menschenrechte“, „Menschenwürde“, „Humanismus“, „Moral“, „Freiheit“ etc. gewesen. Ich setze diese Begriffe in Anführungszeichen, um klarzumachen, dass ich nicht etwa die zahlreichen lokal umsetzbaren Strukturen und Prozesse kritisiere, die die Sprecher vor Ort mit solchen Begriffen bezeichnen könnten, sondern ein „abstraktes“, „universelles“ Verständnis.

Bürgerliche, nicht „antibürgerliche“ Kräfte nehmen uns die Freiheit!

In diesem von mir kritisierten Verständnis wird die Ursache der heutigen Unfreiheit darin gesucht, dass diese „modernen“ universellen Werte von „postmodernen“ „antibürgerlichen“ Kräften demontiert wurden. Oft wird dabei z. B. der Name Michel Foucault und sein Einfluss zunächst auf eine Handvoll linker Akademiker und dann auf immer weitere Kreise als Ursache genannt. Als Ziel von konservativer und klassisch liberaler Politik wird entsprechend dann ausgewiesen, „den Menschen“ (ganz allgemein und zielgruppenunspezifisch) diese Werte „wieder in Erinnerung“ zu rufen, da sie eben als universell und unveränderlich verstanden werden.

Dabei würden wir gut daran tun, uns in Teilen ein Beispiel an Foucault zu nehmen und diese Werte nicht mehr als unabhängig von aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, Foucault würde wohl sagen von Machtstrukturen, zu betrachten. Dass die oben benannten bürgerlichen Werte im „Diskurs“ des 20. Jahrhunderts zur Freiheit beitrugen, heißt nicht, dass sie das auch im 21. tun werden, im Gegenteil, mit den Strukturen des 21. Jahrhunderts sind sie Teil von Macht- und Propagandamechanismen geworden, die immer weitere Freiheitseinschränkungen nach sich ziehen.

Denn die zentralistischen Intellektuellen, die seit Jahrzehnten mehr und mehr die Macht in der westlichen Welt ergreifen, sind keineswegs komplett „antimodern“, und sie sind auch keinesfalls antibürgerlich. Im Gegenteil: Es handelt sich um bürgerliche Akteure, die zwar ihre Gegner mit Hilfe von Foucaults (und Derridas etc.) Methodik dekonstruieren, für sich selbst aber Objektivität und den Dienst an der Vernunft sowie an Menschlichkeit, Gerechtigkeit etc. reklamieren, also „moderne“ Ziele. Sie sind nicht postmodern und wären deutlich weniger erfolgreich, wenn sie es wären, denn sie möchten ein bürgerliches Publikum ansprechen, das größtenteils modern denkt (denn im Ernst, wie viele Leute lesen schon Foucault?), und mit ebensolchen großen, universellen Zielen gefüttert werden möchte. Diese Intellektuellen können wie aus der Pistole geschossen argumentieren, warum Dinge wie Ehe, Familie, Marktwirtschaft und Individualismus nur „sozial konstruiert“ sind, um die „Macht“ „alter weißer Männer“ zu erhalten und den Rest der Welt „zu unterdrücken“, aber für ihre eigenen Konzepte und Rollen sehen sie das völlig anders. Sie würden nie sagen, „Diskriminierung“, der Klimawandel oder das Coronavirus seien nur sozial konstruiert, um die Macht zentralistischer Intellektueller in technokratischen Gremien und den Medien zu sichern und den Rest der Welt zu unterdrücken und ordentlich Steuergeld einzusammeln. Sie sind also selektiv postmodern: Postmodern gegenüber den Zielen und Werten ihrer Gegner, modern ihren eigenen Zielen und Werten gegenüber. Auf diese Art und Weise können sie sich selbst als selbstlose Diener, gar Vollstrecker „großer Sachen“ und ewiger Wahrheiten sehen und darstellen, während ihre Gegner als egoistische, subjektive, machtbesessene Würstchen, die in ihrer kleingeistigen „Bubble“ schmoren, dargestellt werden. Diese „große Sachen“ oder „großen Themen“ werden offen als ein Vollstrecken bürgerlicher Werte wahrgenommen und auch erfolgreich so verkauft, beispielsweise, wenn Weltuntergangsmodelle von Klimaforschern oder regierungszugehörigen Corona-Experten als „Vernunft“ oder „Objektivität“ dargelegt werden[iv] (und abweichende Meinungen oder Kritik an den Maßnahmen als „Wissenschaftsleugnung“, „Fake News“ oder die Äußerer solcher Kritik als „Pseudo-Experten“ (O-Ton Prof. Christian Dr. Drosten[v]) kritisiert oder gar zensiert[vi] werden), oder wenn Identitätspolitik als Schutz der „Menschenrechte“, „Menschenwürde“ oder „Humanismus“ gegenüber Minderheiten bezeichnet wird, oder wenn „Linksliberale“ „Freiheit“ als etwas sehen, dass nur durch schwere staatliche Eingriffe in sämtliche Lebensbereiche, um die Menschen vor sich selbst oder voreinander zu schützen, gewährleistet werden kann, oder wenn die Kritik an Regierungsentscheidungen mit Kritik an der „Demokratie“ gleichgesetzt wird, oder wenn „Moral“ als eins-zu-eins Quelle alternativloser Entscheidungen bezeichnet wird, die keinerlei demokratischer Beteiligung mehr bedürfen.

Universalismus als Falle

Der Erfolg der zentralistischen Intellektuellen zeigt, dass der Kampf um die Deutungshoheit für diese alten „universellen“ bürgerlichen Werte für Konservative und klassisch Liberale längst verloren ist. An ihnen im „öffentlichen“ politischen Raum (also landesweiten Medien und landesweit offenen Social-Media-Plattformen) festzuhalten bedeutet, ins offene Messer zu laufen und der Zentralisierung Vorschub zu leisten. Man darf niemals zugeben, ein abstraktes Ziel mit den Intellektuellen zu teilen, dann hat man schon verloren, denn, wie Roland Baader im oben genannten Buch Nicolás Gómez Dávila zitiert: „Ein klassischer Kunstgriff der Linken besteht darin, Weg und Ziel zu identifizieren: allgemein anerkannte Ziele mit umstrittenen Methoden. Wer diese oder jene Methode der Linken kritisiert, scheint auf diese Weise das von allen akzeptierte Ziel zurückzuweisen.“[vii] Diesen propagandistischen Mechanismus haben die längst nicht mehr nur linken Intellektuellen perfektioniert: Wer eine Maßnahme kritisiert, ist gleich ein „Leugner“ der „allgemein akzeptierten“ Problematik („Klimaleugner“ oder „Corona-Leugner“) oder des „allgemein akzeptierten“ Ziels (bei Corona: Menschenleben retten) oder des allgemein akzeptierten Werts (bei Corona: Menschenrecht auf Leben).

Es sind also gerade die bürgerlichen Werte des 20. Jahrhunderts, die heute unsere Unfreiheit begründen. Das ist nicht überraschend: Im 20. Jahrhundert war der Staat kleiner und die Medienwelt übersichtlicher und langsamer. Das heißt, es konnte zwar in Zeitungen, im Bundestag etc. über universelle Werte diskutiert werden, aber es konnte dabei nicht mehr herausspringen als grobe Richtschnüre, die mit sehr viel lokaler Freiheit vor Ort ausgelegt wurden.

Doch seitdem hat sich viel verändert: Der Staat und die öffentlich-rechtlichen Medien haben mehr Mitarbeiter und mehr Geld. Es gibt mehr und mächtigere NGOs als früher. Das Internet mit seinen sozialen Medien ist entstanden, mit Mobs aus Weltbeglückern, die nur zu bereitwillig immer neue Regeln fordern und Abweichler denunzieren (falls der gesetzliche Rahmen ihnen das bereits erlaubt) und sonst zumindest diffamieren und beleidigen und versuchen, ihre berufliche Existenz zu zerstören[viii].

Der vergrößerte Staat möchte also nicht nur automatisch mehr Regeln erlassen und ihre Einhaltung überwachen, er dabei hat auch noch Unterstützung durch zahlreiche bereitwillige Blockwarte.

Der Staat mit seinen Expertengremien, die Medien und die Internetmobs beziehen ihr Personal dabei aus einer weiteren gesellschaftlichen Entwicklung: Der Intellektuellenschwemme. Auch hierzu hat Roland Baader in seinem Buch ein treffendes Zitat gefunden, nämlich von Bertrand de Jouvenel: „Lange Zeit hat man angenommen, das große Problem des 20. Jahrhunderts sei die Frage, welchen Platz die Arbeiter in der Gesellschaft einnehmen. Viel zu wenig Aufmerksamkeit wurde dem Anschwellen einer großen Intellektuellenschicht gewidmet, deren Platz in der Gesellschaft sich als das größere Problem herausstellen könnte.“[ix] Tatsächlich: Wir haben Jahrzehnte der Akademisierung hinter uns. Jahrgänge über Jahrgänge gab es zu viele Studenten, vor allem in gesellschaftswissenschaftlichen Studiengängen (allen voran Gender-Forschung) und „Umwelt“-Studiengängen wie Ökologie und Klimaforschung etc., statt das „was ordentliches gelernt“ wurde. Viele dieser Studenten und Absolventen sehen ihren gesellschaftlichen Wert und Lebenssinn im moralischen Bewerten und Regulieren von Dingen. Wer heute noch von „universellen Werten“ spricht, sollte wissen, dass er all diesen regulierungswütigen Menschen die perfekte Begründung an die Hand gibt, sich überall einzumischen.

Unter diesen Umständen stellt sich also heraus, dass universelle Werte, darunter auch die bürgerlichen, schon immer unfreiheitlich und totalitär gewesen wären, wenn man tatsächlich versucht hätte, sie zentral detailliert zu definieren und diese zentralen Auslegungen Millionen von Menschen ohne Berücksichtigung der lokalen Begebenheiten aufzuzwingen. Nur war das in vorigen Jahrhunderten nicht möglich. Da es nun nicht nur möglich, sondern angesichts der angesprochenen gesellschaftlichen Veränderungen unausweichlich ist, wird es dringend Zeit, den Universalismus und Modernismus fallen zu lassen, wenn wir in Zukunft noch Freiheit genießen wollen.

Von den Gegnern lernen

Stattdessen müssen wir von unseren Gegnern lernen, von allgemeinen Strategien bis hin zu speziellen Taktiken. Die allgemeine Strategie ist wie beschrieben eine selektive Nutzung des Postmodernismus, zur Demontage der gegnerischen Aussagen, Werte und sogar Personen. Konservative Institutionen wie Ehe und Familie werden von den zentralistischen Intellektuellen als sozial konstruiert zur Machterhaltung alter weißer Männer dargestellt, klassisch liberale Kernideen wie die freie Marktwirtschaft und der Individualismus werden als sozial konstruiert zur Machterhaltung „der Reichen“ oder „Privilegierten“ (oft auch „alte weiße Männer“) dargestellt und mit emotionalen Wertungen wie Sexbesessenheit oder Gier verknüpft, während die zentralistischen Intellektuellen sich ebenso emotional das hehre Ziel der Beendigung dieser Verhältnisse zuschreiben, und zwar nicht einmal mehr in einem „der Zweck heiligt die Mittel“-Denken, sondern in einem „Zweck und Mittel sind eins“-Denken.

Entscheidend dabei ist die Entwicklung von Feindbildern, wie eben den „alten weißen Männern“, da die zentralistischen Intellektuellen erkannt haben, wie man Emotionen in der Politik richtig verwendet: Ungerichtet wirken sie abschreckend auf viele Menschen, aber wenn es sich um „gerechte“ Emotionen gegen „die Bösen“ oder für „die Guten“ handelt, sind sie enorm mitreißend. Die Vertreter dieser Feindbilder oder gefühlte Fürsprecher der „bösen“ Konzepte werden zum Schweigen gebracht, falls sie noch leben, oder ihre Werke aus der Geschichte getilgt. Das kann so weit gehen, dass man an der Universität Sheffield versucht, die Lehrpläne zu „dekolonisieren“, indem man Ingenieurstudenten ausführlichst auf die angebliche verwerfliche „koloniale Vergangenheit“ der Mathematik des 18. und 19. Jahrhunderts hinweist, auf der ein Großteil des Lehrplans basiert, da man bei Wissenschaftlern wie Sir Isaac Newton, Gottfried Wilhelm Leibniz, Paul Dirac und Pierre-Simon Laplace „davon ausgehen könne, dass sie von Aktivitäten der Kolonialzeit profitiert haben“[x]. So funktioniert die sogenannte „Cancel Culture“!

Ergänzt wird das Entwickeln der Feindbilder dadurch, „die Opfer“ dieser Feindbilder darzustellen, und sich selbst zum Fürsprecher dieser Opfer zu ernennen. Beispielsweise „misshandelte Frauen“ als „Opfer“ der „Institution Ehe“ oder „arme Menschen“ als Opfer der „Institution Marktwirtschaft“, „Risikogruppen“, als Opfer der „Corona-Leugner“. Bei den zentralistischen Intellektuellen besonders perfide: Sie stellen die Opfer immer so erbärmlich und hilflos wie irgend möglich dar, als völlig ausgeliefert und ohne Eigeninitiative, um zu rechtfertigen, dass diese Opfer sich nicht selbst demokratisch einbringen können, sondern dass einzig und allein die zentralistischen Intellektuellen für sie sprechen können. Informationsfluss von diesen angeblich Vertretenen zu ihren selbsternannten Vertretern wird so gut wie ausgeschlossen. Beispiel Identitätspolitik in den USA: junge, akademisch gebildete Schwarze aus gutem Hause geben an, nur wegen der gleichen Hautfarbe für das bildungsferne schwarze Proletariat in zerfallenen Stadtteilen sprechen zu können. Dieses Sprechen „für“ das Proletariat erfolgt in einem gesellschaftswissenschaftlichen Vokabular, dass man ohne einschlägige Universitätsausbildung unmöglich auch nur ansatzweise verstehen kann. Für die Schwarzen aus den Ghettos mit abgebrochener Highschool-Bildung und starkem Slang bestehen damit unüberwindliche Sprachbarrieren, sie haben keinerlei Chance, zu überprüfen, ob ihre selbsternannten akademischen Vertreter tatsächlich für sie sprechen oder nur ihre eigenen Interessen verfolgen, die effektive Repräsentation ist schnell bei null. Ähnlich läuft es, wenn wohlsituierte, akademisch gebildete Politikerinnen in Deutschland angeben, für die alleinerziehende Kassiererin mit Hauptschulabschluss sprechen zu können, nur weil diese auch eine Frau ist, und das dann in einer Mischung aus Gender-Geheimsprache und Behördendeutsch tun, das selbst für Akademiker anderer Disziplinen kaum zu verstehen ist. Die Vorstellung von Repräsentation ohne Informationsfluss ist absurd! Es ist offensichtlich, dass diese zentralistischen Intellektuellen über Hautfarbe und hinweg eine geschlossene Schicht bildet, die sich nur selbst repräsentiert, nur ihre eigene Macht und ihr Geld, und das ihre ganzen schönen Worte wie „Umweltschutz“, „Gleichberechtigung“, „soziale Gerechtigkeit“ usw. usf. nur sozial konstruiert sind, um das machtstrukturell durchsetzen zu können und Besitzstandswahrung zu betreiben, indem sprachliche und politische Einwirkung von außen abgewürgt wird…

Dekonstruieren und Canceln können wir auch!

Liebe Leser, merken Sie, was ich hier mache? Was ich den ganzen Text hindurch schon gemacht habe? Ja, ich baue ein Feindbild auf, eben diese „zentralistischen Intellektuellen“ (oder kurz „die Intellektuellen“), und ich dekonstruiere ihre „Werte“ als reines Eigeninteresse, ich werfe ihnen perfide Ausbeutung und Instrumentalisierung derjenigen Minderheiten vor, die sie zu vertreten vorgeben, sowie Ausbeutung von uns allen, über Steuern, sowie Unterdrückung von uns allen, über haufenweise Regeln und Gesetze und Überwachung! Emotional werfe ich ihnen vor, unsere Menschlichkeit und unser Mitleid gegen uns zu verwenden, indem sie zwar irgendwelche armen Opfer vorschieben, aber dann dafür sorgen, dass Hilfe nie zu diesen Opfern gelangt, sondern das stattdessen immer nur noch weitere Behörden und Gremien geschaffen werden, die sich selbst verwalten und vermehren und weitere zentralistische Intellektuelle steuergeldfinanziert in Lohn und Brot bringen, statt irgendwem außerhalb dieser Strukturen effizient weiterzuhelfen.

Warum tue ich das? Nun, weil wir schon lange können, was unsere Gegner können. Unsere Gegner wollen Konservative zu Frauenhassern erklären und Ehe und Familie zu Mitteln dazu? Unsere Gegner wollen klassisch Liberale zu rücksichtlosen Egoisten erklären, die für einen Euro mehr ihre eigenen Kinder in den Steinbruch schicken würden, und die Marktwirtschaft zum Mittel dazu? Und wenn wir den Mund aufzumachen versuchen, um darzulegen, dass dem nicht so ist, werden wir gecancelt?

Ha! Das können wir schon lange! Die sollen mal sehen, wie es ist, wenn wir (und mit wir meine ich wie oben beschrieben die Konservativen, klassisch Liberalen und alle anderen Freiheitsliebenden und Individualisten) sie ebenso auf ein Feindbild reduzieren, und sämtliche Vertreter von „autoritären und ängstlichen Weltbeglückungsphantasien der Dauerbesorgten“, um noch einmal Herrn Graus Worte zu verwenden, von nun an als „zentralistische Intellektuelle“ bezeichnen! Und zwar unabhängig davon, ob der mit dieser Bezeichnung angegriffene Einzelne schon politische oder mediale Macht hat oder nur gesichtsloses Mitglied eines Internetmobs ist.

Und das können wir, weil wir eben keine Universalisten und Modernisten mehr sind. Wir glauben nicht mehr, dass Begriffe wie „Menschenrechte“, „Fortschritt“ oder „Umweltschutz“ immer das gleiche bedeutet oder immer positiv ist. Wir erkennen, dass diese Begriffe, wenn sie von zentralistischen Intellektuellen verwendet werden, hochgradig negativ bewertet werden müssen, verabscheut werden müssen als schamlose Machtergreifungsversuche, als Angriffe auf unsere Freiheit, unsere Individualität und unseren Wohlstand. In anderen Kontexten können sie immer noch etwas anderes und auch etwas Gutes und Sinnvolles bedeuten, aber nicht in der sogenannten „öffentlichen Diskussion“ der voreingenommenen Medienlandschaft der zentralistischen Intellektuellen. Dort sind solche „großen Themen“ immer sofort anzugreifen, es sollte ganz routiniert hervorgehoben werden, dass es bei dieser Verwendung, diesem Kontext, diesen Sprechern eben nie um „die Sache“ geht, sondern nur um schamlose Instrumentalisierung, Propaganda, Machtergreifung, um noch einen noch aufgeblähteren Staat, noch mehr Steuern und Bürokratie, noch mehr Zentralismus und Ineffizienz, noch mehr Gleichschaltung statt Individualität, noch mehr Totalitarismus statt Freiheit. Das heben wir in den Medien hervor, immer und immer wieder. Und wenn die zentralistischen Intellektuellen etwas dagegen sagen möchten, canceln wir sie, wenn möglich. Wir schreiben dem Verlag oder Zeitung, die sie abgedruckt hat, oder dem Fernsehsender, der sie hat sprechen lassen, wütende Leserbriefe, in denen wir fragen, warum solchen egoistischen Propagandisten, solchen seelenlosen, machtgierigen Technokraten, eine Bühne geboten wird. Genauso äußern wir unseren Unmut, wenn sie auf einer Veranstaltung sprechen möchten, und fordern vorab das Absagen der Veranstaltung, und wenn die Veranstaltung trotzdem stattfindet, demonstrieren wir lautstark.

Ein weiterer Trick, den wir von den zentralistischen Intellektuellen lernen können: Wenn jemand die Worte in den Mund nimmt, die unsere Werte bezeichnen, nur um sie zu dekonstruieren (z. B. Ehe oder Familie, Eigenverantwortung, Individualismus oder Marktwirtschaft) dann greifen wir diese unzulässige Verwendung als „kulturelle Aneignung“ (Englisch „cultural appropriation“) an! Genauso gehen wir vor, wenn man Worte, die unsere Werte bezeichnen, zwar positiv bewertet, aber nur, um uns die Worte im Mund umzudrehen und statt dem, was wir eigentlich mit dem Aussprechen dieser Werte erreichen wollen, damit weitere zentralistische Maßnahmen und Freiheitszerstörungen rechtfertigt. Die zentralistischen Intellektuellen gehören nicht zu „unserer Kultur“ (besser gesagt unseren zahlreichen lokalen Kulturen, denn jeder Ort in Deutschland hat eine eigene), sie bilden ihre eigene Kultur, die Kultur der Hauptstadtblase, und sollen gefälligst die Finger von unseren kulturellen Werten lassen!

Und wir beleidigen die zentralistischen Intellektuellen, wenn nötig, auch persönlich! Wenn Sie zögern, einen zentralistischen Intellektuellen persönlich zu beleidigen, fragen Sie sich: Würde mein Gegenüber das zu einem alten, weißen Mann sagen? Wenn ja, legen Sie los!

Machen wir uns nichts vor, der Kulturkampf ist längst eröffnet, wir haben uns bisher nur noch nicht gewehrt. Und damit sollten wir nicht länger warten, denn unsere Gegner sehen sich als Diener, gar Vollstrecker, einer „neuen Zeit“. So jemand wird nicht aufhören, und ein Zugeständnis, das wir als Kompromiss oder Ausgleich sehen würden, sehen sie nur als ersten Teilerfolg auf dem Weg zu einem vollständigen Sieg. Um einzusehen, dass diese neue Zeit, in der sie die Welt regieren, niemals kommen wird, dürfen sie niemals Teilerfolge feiern, die sie als Zeichen des unausweichlichen „Fortschritts“ interpretieren würden, nein, sie müssen auf Granit beißen. Daher wird es Zeit, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, denn die zentralistischen Intellektuellen lassen und mit ihren „Diskurs“-Taktiken seit Jahrzehnten auf Granit beißen.

Sollen sie mal sehen, wie das ist!

Ziel des Ganzen: Geschützte Räume zum Diskutieren pragmatischer Lösungen

Nun wird mir vorgeworfen werden, meine Forderungen seien destruktiv und nihilistisch. Aber das Gegenteil ist der Fall! Stattdessen sind die beschriebenen Taktiken der zentralistischen Intellektuellen destruktiv: Sie führen dazu, dass immer mehr Entscheidungen in zentralen Gremien hinter verschlossenen Türen getroffen und uns dann bundesweit aufgezwungen werden. Das ganze Diskursbrimborium im „öffentlichen Raum“ schützt diese zentrale Gremien vor Widerspruch von außen und propagiert dann die dort getroffenen Entscheidungen.

Das ist nicht nur unfreiheitlich und unrepräsentativ, sondern auch noch ineffizient, da die Vorstellung, all die Informationen aus dem Leben von Millionen von Menschen und Betrieben zu einem zentralen Ort zu leiten und dort sinnvoll verarbeiten zu können, Hybris ist[xi].

Was wir durch das hier beschriebene Vorgehen gewinnen, sind geschützte Räume (um nun auch noch das Konzept von „Safe Spaces“ von der Gegenseite zu übernehmen, um es gegen sie zu verwenden), in denen pragmatische, realistische Lösungen auch unter Einbeziehung von Kosten und Trade-Offs diskutiert werden können, ohne dass zentralistische Intellektuelle mit ihren „großen Themen“ (wie ihren Interpretationen von „Menschenrechten“ oder „Klimaschutz“) dazwischengrätschen oder die lokalen Vorkommnisse willkürlich einem angeblichen „gesamtgesellschaftlichen Problem“ (wie „Diskriminierung“) zuordnen, um dann wie immer bundesweite (oder gar weltweite) „Lösungen“, durch Technokraten überwacht, zu fordern. Und immer mit einer „Moral über alles, koste es was es wolle“-Haltung ohne Rücksicht auf die Implikationen der eigenen Maßnahmen, bezahlen müssen schließlich immer die anderen, nicht die staatsfinanzierten zentralistischen Intellektuellen, und Betriebe mögen zwar an den jeweiligen Maßnahmen zu Grunde gehen, aber der Staat wird weiter wachsen…

Durch das Canceln der zentralistischen Intellektuellen werden sie landaus, landein aus solchen Diskussionen herausgehalten, sodass freiheitlich und eigenverantwortlich wirtschaftlich sinnvolle Lösungen gefunden werden können. Also fast so, wie es im 20. Jahrhundert war, nur, dass wir jetzt mehr Aufwand betreiben müssen, um diese Problemlösungsräume vor denen zu schützen, die sie totdiskutieren und totmoralisieren würden.

Aus diesen Räumen müssten nicht nur offensichtliche Vertreter der zentralistischen Intellektuellen herausgehalten werden, sondern jegliches Detail ihrer Sprache, da sie leider propagandistisch so mächtig sind, dass wir alle längst subtil beeinflusst sind. So sind z. B. Gender-Sprache, aber auch sämtliche moralisch aufgeladenen „großen Themen“ der zentralistischen Intellektuellen herauszuhalten. Wenn jemand versehentlich solche Sprache in den Mund nimmt, sollte darauf hingewiesen und der so formulierte Punkt der Diskussion ignoriert werden.

Nur so kann gewährleistet werden, dass auch sprachlich nicht akademisch gebildete Menschen in diesem Land wieder repräsentiert werden können, da sie wieder mit ihren eigenen Worten in politischen Diskussionen sprechen dürfen.

Die Grundvorstellung sollte sein, dass alle Probleme und sämtliche denkbare Lösungen für diese im Kern lokal sind. Die Menschen vor Ort müssen sie also diskutieren und in Angriff nehmen, falls nötig unter eigenverantwortlicher Hinzuziehung externer Experten. Aber sie brauchen keine unerwünschte Einmischung durch selbsternannte Experten, also keine zentralistischen Intellektuellen.

Geeignete Räume für solche lokalen, pragmatischen Diskussionen, solche vor den Intellektuellen geschützte Räume, sind z. B. Versammlungen vor Ort, Lokalzeitungen und die sozialen Medien. Über die sozialen Medien ist ein auch eine Vernetzung mit anderen Orten möglich, um im größeren Maßstab an neuen politischen Begriffen und an politischer Willensbildung und Aktivität zugunsten von Konservatismus und Liberalismus zu arbeiten.

Quellen:


[i] https://www.nzz.ch/feuilleton/konservatismus-sein-ruf-ist-schlecht-sein-potential-gewaltig-ld.1611895

[ii] https://woll-magazin.de/inzidenz-und-co-zahlenwerte-als-symbole-der-symbolpolitik/

[iii] https://www.nature.com/articles/d41586-021-00396-2

[iv] https://www.fr.de/kultur/tv-kino/mai-thi-nguyen-kim-maybrit-illner-zdf-allesdichtmachen-liefers-palmer-kubicki-tv-90483010.html

[v] https://youtu.be/e_34W6Z_wpQ?t=17

[vi] https://www.achgut.com/artikel/youtube_zensur_fuer_boris_reitschuster_moskau_holt_ihn_ein

[vii] http://www.roland-baader.de/wp-content/uploads/Baader_totgedacht.pdf S. 117

[viii] Frau Sevinc Basad, Autorin des Bestsellers „Schäm dich!“, in welchem sie Identitätspolitik u. Ä. kritisiert, fasst dieses Vorgehen des Mobs hier gut zusammen: https://twitter.com/JSevincBasad/status/1388115687663616014

[ix] http://www.roland-baader.de/wp-content/uploads/Baader_totgedacht.pdf S.31

[x] https://www.telegraph.co.uk/news/2021/04/24/isaac-newton-latest-historical-figure-swept-decolonisation-drive/

[xi] https://forum-freie-gesellschaft.de/zur-notwendigkeit-der-dezentralisierung-gesellschaftlicher-informationsverarbeitung/