Geschlagenes Ei mit Rotwein war die beste Medizin

Hildegard Wiethoff erzählt aus Kriegszeiten in Westernbödefeld

Die 89-jährige Kückelheimerin Hildegard Wiethoff, geboren als Hildegard Schmidt am 6. Oktober 1932 auf einem Bauernhof in Westernbödefeld, kennt noch viele Details aus ihrer Kriegskindheit. WOLL hat bei Bohnenkaffee, Waffeln, Apfelschnitzel und Himbeersaft mit ihr gesprochen.

Sechs Jahre alt war Hildegard Wiethoff, als der Krieg begann. Sie kam gerade in die Schule. Mit ihrer Familie wohnte sie in Westernbödefeld. Ihr Vater Heinrich Schmidt, gebürtig aus Ramscheid bei Serkenrode, hatte den damaligen Hof Schulte-Gierse gepachtet. Hildegard wuchs zusammen mit ihrer älteren Schwester Elisabeth und den jüngeren Brüdern Heinrich und Josef auf. Zwei weitere, ältere Schwestern – Maria und Luzia – sind größtenteils bei Onkel und Tante in Ramscheid groß geworden, da diese selbst keine Kinder hatten. „Früher war es üblich, dass Kinder an kinderlose Onkel und Tanten abgegeben wurden. Das war einfach so. Meine Mutter hat einmal geweint, als sie ein Nachbarmädchen sah, das sie an meine Schwester Mia erinnert hat. Und sie sagte später, dass sie nie wieder ein Kind abgeben würde“, erinnert sich die 89-Jährige.

Quelle: privat

Die Tagesabläufe in ihrer Kindheit waren immer ähnlich. „Morgens gingen wir zur Schule und nachmittags mussten wir viel auf dem Hof mithelfen. Kühe treiben, Kaffee aus Gerste oder Zichorien und Waffeln aufs Feld bringen oder Fallobst aufsammeln gehörten zu unseren Aufgaben“, so Hildegard Wiethoff. Die Wege waren weit und es gab noch keine Teerstraßen. „Da sind wir mit ziemlich unbequemen Holzschuhen durch die Matsche gelaufen, bei Wind und Wetter. Gummistiefel hatte noch niemand erfunden.“ Im Haus zogen die Kinder bequeme Pantoffeln an. Doch diese sahen nicht so aus, wie wir sie heute kennen. „Die russischen Gefangenen stellten Hausschuhe aus geflochtenem Stroh und Stoffresten her und verkauften diese.“

Eine Zeit ohne Antibiotika

Auch in der Schule ging es anders zu als heutzutage. Für Mädchen und Jungen sahen die Lehrinhalte unterschiedlich aus. Raumlehre sollte nur etwas für die Jungen sein und Handarbeiten wichtig für Mädchen – so die damaligen Ansichten. Die Klassen verbrachten während der Schulzeit viel Zeit in der Natur. „Lehrer Caspar Pickert sammelte mit uns Birken- und Fingerhutblätter für Arzneien. Er hat immer gut darauf geachtet, dass wir uns danach die Hände wuschen. Fingerhut ist ja giftig.“ Wenn wir heute an Krankheiten denken, fragen wir uns: Wie lief es im Krieg, wenn jemand krank wurde? Wie war die ärztliche Versorgung? Hildegard Wiethoff hat ein Beispiel: „In einem Sommer gegen Kriegsende zog sich mein Vater eine Rippenfellentzündung zu, die lange andauerte. Der Arzt kam, um es festzustellen. Er musste Bettruhe halten. An Antibiotika war in diesen Zeiten nicht zu denken. Ich wurde nach Bödefeld geschickt, um damals sehr wertvollen und seltenen Rotwein bei dem befreundeten Wirt Nieder zu holen. Die Medizin mischten wir dann selbst: Geschlagenes Ei mit Rotwein.“

Familie Schmidt wurden – wie allen Bauern, bevor die Amerikaner einzogen – Kriegsgefangene als Hofhilfen zugeteilt. „Bei uns lebten ein Russe, ein polnisches Mädchen und ein Franzose. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis zueinander, aber sie saßen nie mit uns am Esstisch, sondern separat in der Küche. Das war unter Hitler so gewollt.“ Apropos Essen: Hildegard weiß noch ganz genau, welche Speisen vorrangig auf den Tisch kamen. „Im Krieg gab es alles, was im eigenen Garten wuchs. Fitzebohnen (Stangenbohnen) wurden mit Salz eingerieben und in Tontöpfen eingemacht. Wir waren die ersten, die Erdbeeren im Garten hatten, da unser Hofverpächter Rektor Josef Gierse diese an seinem Arbeitsort Bochum besorgen konnte. Stielmus aßen wir sehr gerne. Dazu gab es Speck, gebratene Blut- und Leberwurst und Mettwurst. Sonntags wurde auch mal Braten serviert. Oft kochten wir eine sehr einfache Suppe, zum Beispiel Milchsuppe. Butter war rar. Sie wurde uns in kleinen Portionen von der Molkerei zugeteilt. Was das Essen betrifft, konnten wir froh sein, dass wir Bauern waren.“

Quelle: privat
Hildegard Schmidt

Kriegserfahrungen ihrer Kindheit

Hildegard hatte im Krieg oft Angst. „Ich kann mich noch gut an das Gefühl erinnern, wenn die Geschwader über uns flogen und Silberstreifen geschmissen wurden. Als ich einmal die Kohleferien in Ramscheid bei Onkel und Tante verbrachte, konnte ich sehen, wie in Dortmund die Bomben fielen. Am Himmel Richtung Bausenrode war alles rot.“ Zur Erklärung: Kohleferien gab es als Verlängerung der Weihnachtsferien, wenn in der Schule die Kohle zum Heizen ausgegangen war.

Bei dem Blick in den rot gefärbten Himmel sollte es nicht bleiben. Hildegard Wiethoff kann sich an den 7. April 1945 erinnern – ein schwarzer Tag für Westernbödefeld und die Umgebung. „Wir haben uns in einer Gruppe zu 13 Leuten
mit Pferd und Karren nachts draußen im Wald versteckt. Franzosen hatten in der Nähe ein Feuer angezündet. Das konnten die Aufklärer (Amerikaner) sehen. Sie beschossen uns. Dann haben wir sofort ein weißes Laken (Zeichen der Ergebung) auf unserem Pferdekarren gespannt und sie ließen uns wieder in Ruhe. Wir hörten die ganze Nacht, wie die umgebenen Orte bombardiert wurden.“

Ihre Eltern bewahrten Hildegard und ihre Geschwister vor dem Anblick erschossener Menschen oder Tiere auf den Straßen in diesen Tagen. Ihr Haus hatte ein großes Loch im Dach und die Küche war zerstört. Sie konnten es später instandsetzen. In den folgenden Wochen besetzten Amerikaner den Hof. „Die Amis bekamen die guten Räume und wir waren im Keller. Sie haben bis auf ein paar bestickte Kissen nichts mitgenommen und waren auch nicht schlecht zu uns, da mein Vater kein NSDAP-Mitglied war.“ Mit 13 Jahren zog Hildegard mit ihrer Familie komplett zu dem Bruder des Vaters nach Ramscheid. Sie machte eine Hauswirtschaftsausbildung im Kloster Werl und heiratete anschließend in Kückelheim den Landwirt Johannes Wiethoff, um selbst eine Familie zu gründen, in friedlichen Zeiten.

Hildegard Wiethoffs Rezepte für die „einfachen Suppen“
Milchsuppe: Reis in Milch aufkochen • Mit einer Prise Salz und viel Zucker abschmecken
Flockensuppe: Haferflocken mit Milch aufkochen • Mit einer Prise Salz und viel Zucker abschmecken
Pflaumensuppe: Getrocknete Pflaumen und Graupen mit Milch aufkochen
Apfelsuppe: Getrocknete Apfelschnitzel in Wasser gekocht mit Zucker – dazu gab es Nudeln.