
Quelle: Andrea Beverungen
Vogelauffangstation in Marsberg
Ob Turmfalke, Kranich oder Amsel: Das Team der Vogelstation Essenthoer Mühle kümmert sich um einheimische Vögel, die Hilfe brauchen. Doch auch andere Wildtiere werden hier gesundgepflegt und wieder ausgewildert.
Ein bisschen missmutig blickt der Uhu aus seiner Voliere. Kein Wunder, denn er muss eine Verletzung auskurieren. Genau wie die anderen Vögel in den Volieren der Essenthoer Mühle. Denn die historische Wassermühle im Marsberger Ortsteil Essentho ist seit 1980 eine Pflegestation für hilfsbedürftige Wildvögel. Den Schwerpunkt legt sie dabei auf Greifvögel und Eulen. „Die meisten sind gegen Drähte oder Rotorblätter von Windrädern geflogen, steckten in Zäunen fest oder verhedderten sich in Schutznetzen von Teichen“, erklärt Anna Reichel, die die Station führt. Unter ihrer fachkundigen Pflege können die gefiederten Patienten gesund werden und in großen Volieren das Fliegen trainieren. Sind sie wieder fit, dürfen sie zurück in die Freiheit, entweder auf dem idyllisch gelegenen Gelände selbst oder in einem anderen passenden Lebensraum. Kraniche hat die Station auch schon in eine Kranichkolonie nach Norddeutschland gebracht.
Gegründet haben die anerkannte Auffangstation Reichels Großeltern Wilfried und Mathilde Limpinsel. Im Lauf der Jahre betreuten sie über 6.000 Greifvögel und Eulen, dazu kamen schnell weitere Vogelarten. Später nahmen sie auch andere Wildtiere auf. „Eichhörnchen, Feldhasen, Wildkatzen, Fledermäuse, Siebenschläfer und Igel waren unter anderem schon bei uns“, sagt Anna Reichel. Nachdem ihr Großvater im Frühjahr dieses Jahres verstorben ist, hat die studierte Forstwissenschaftlerin und Waldökologin ehrenamtlich die Leitung der Station übernommen. Zusammen mit ihrem Freund und weiteren freiwilligen Helfern stemmt sie die Arbeit mit großem Engagement.

Hochbetrieb im Sommer
Besonders in den Monaten April bis August hat die Station alle Schnäbel voll zu tun: Dann klingelt von morgens bis abends das Telefon, weil vor allem junge Vögel gefunden werden und dort Hilfe erhalten sollen. „Wir erhalten in dieser Zeit rund 30 bis 50 Anrufe am Tag“, erzählt Reichel.
Denn mittlerweile ist die Station weit über das Umfeld von Marsberg bekannt. „Wir übernehmen Tiere aus dem gesamten Hochsauerlandkreis, den Kreisen Paderborn, Höxter, Waldeck-Frankenberg, Soest, Kassel und Unna.“ Einige stammen sogar aus anderen Bundesländern. Ein Bussard kam aus Rheinland-Pfalz, eine Wildkatze aus Thüringen.
„Man merkt, dass sich Menschen stärker als früher engagieren, um Tieren in Not zu helfen“, so Reichel. Nicht alle Notfälle kommen durch, aber die Erfolgsquote ist hoch. Die Station pflegt ihre Schützlinge nicht nur gesund, sondern unterstützt auch die Wildtierforschung. So erhalten zum Beispiel alle Vögel vor dem Auswildern einen Ring und werden offiziell registriert. Wildkatzen bekommen einen Chip, Reichel lässt bei ihnen stets einen Gentest machen. So stellt sie sicher, dass es sich nicht bloß um eine Hauskatze mit ähnlicher Fellfärbung handelt. Durch die Pfleglinge sieht sie zudem, was sich in der Natur verändert. „Früher hatten wir zum Beispiel viele Grauspechte als Patienten. Mittlerweile sind sie rar geworden. Heute bringen uns Finder eher Grünspechte.“ Andere einst bedrohte Tierarten nehmen dagegen wieder zu. So erholten sich in den letzten Jahren drei ausgewachsene Biber in der Station.
Alle waren von der Staumauer des Diemelsees abgestürzt. „Vermutlich junge Männchen auf der Suche nach einem neuen Revier“, vermutet Reichel. Einen hatte es richtig übel erwischt: „Er hatte sich das Schlüsselbein gebrochen und die Schneidezähne ausgeschlagen.“ Drei Monate blieb er da. Reichel fütterte ihn per Spritze mit einem Brei aus gekochten Möhren und geraspelter Rinde, bis der Bruch geheilt und die Zähne nachgewachsen waren. Nun streift der Biber wie seine beiden Artgenossen wieder in der Region am Diemelsee herum.
Umweltbildung für Schulen
Wenn es zeitlich passt, engagiert sich das Team außerdem für die Umweltbildung. Entweder fährt es in Schulen oder Schulklassen besuchen die Auffangstation. Dafür gibt es sogar einen eigenen Unterrichtsraum. Doch trotz des großen Einsatzes steht die Essenthoer Mühle vor Herausforderungen. Die Kosten für Futter, Medikamente und Betrieb steigen, zugleich nimmt die Zahl der Pfleglinge zu: Allein 2024 kümmerte sich die Station um 1.400 Tiere. Ihr Trägerverein erhält zwar Zuschüsse des Landes Nordrhein-Westfalen, doch das reicht nicht aus. Seit Jahren ist die Station auch auf Spenden angewiesen, um bestehen zu können. Ihre Finanzierung ist also eine weitere anspruchsvolle Aufgabe, die Reichel und ihr Team übernehmen, um den Naturschutz zu fördern. „Diese Arbeit liegt uns am Herzen. Wir setzen alles daran, um sie noch lange fortzuführen.“
www.essenthoer-muehle.de