Fuckeltherapie

Quelle: Hans-Dieter Schmatz

Wie ein Arnsberger beim Schrauben seine Lebensfreude wiederfand

Gestern noch stand man mit seiner Lebenspartnerin mitten im Leben und genoss jeden Tag zusammen, dann ist sie auf einmal weg und nichts mehr wie vorher. Nach dem Tod eines geliebten Menschen fällt es dem trauernden Partner schwer, Licht am Ende des Tunnels zu sehen und die Freude am Leben wiederzuentdecken. So ging es auch Hans-Dieter Schmatz (87) aus Arnsberg, nachdem er seine Frau verloren hatte. Wie er seine Traurigkeit überwand und was sein altes Hobby damit zu tun hatte, wollte er dem WOLL-Magazin gern persönlich erzählen, um Menschen in ähnlicher Situation neuen Mut zu machen.

Ich habe 1950 in einer Neheimer Ford-Vertretung auf der Mendener Straße eine Lehre zum Kfz-Handwerker begonnen. Mein altes Fahrrad mit einem Lutz-Hilfsmotor war für die 22 Kilometer von Arnsberg nach Neheim genau richtig. Ohne Motor ist man im Land der tausend Berge ja sonst ewig unterwegs. Mein radfahrender Kollege konnte meinen Windschatten nutzen und so sausten wir mit 25 km/h durch die Gegend. Als passionierter Schrauber hat mich dann früh das Oldtimerfieber erwischt. Bis heute habe ich zwanzig klassische Fahrzeuge eigenhändig restauriert, vom verrosteten Fahrrad bis zum 230SL, der noch in meiner Garage steht. Viele Arnsberger werden meinen knallroten VW Käfer 1302 kennen, mit originalem AR-Kennzeichen. Den habe ich schon seit 1971 und er ist immer noch 100 Prozent rostfrei. Und der TÜV hatte in 53 Jahren nie etwas zu bemängeln, Ehrensache.

Quelle: Hans-Dieter Schmatz

Meine liebe Frau Edeltraud war ebenfalls Oldtimerfan. Wir waren ein tolles Team und 63 Jahre verheiratet, bis sie 2022 leider verstarb. Unsere gemeinsamen Hobbys, der Arnsberger Oldtimer-Club und 25 Jahre lang die Organisation der Sauerlandrallye, haben uns viel Spaß gemacht. Keiner konnte so schnell und präzise die Keile in den Ventilhals einfädeln wie Edeltraud, wenn ich mal wieder ohne Zange die Ventilfedern zusammendrückte. Auf Oldtimertreffen und Fahrzeugmärkten hat sie mit ihrem unglaublichen Fachwissen geglänzt und selbst Experten verblüfft. Einmal waren wir auf einem Trödel und gingen an einem großen Haufen Fahrzeugschrott vorbei. Meine Frau schaute sich den im Vorbeigehen nur ganz kurz an und zog mich dann am Ärmel: „Guck mal, da sind R50-Teile, brauchtest du nicht noch Ventile?“ So war sie.

Nach ihrem Tod ging es mir lange Zeit miserabel. Um mich von tiefer Trauer und bösen Träumen abzulenken, habe ich mir einen Ruck gegeben und im „Oldtimermarkt” nach Ablenkung gesucht. Und siehe da, kurze Zeit später hatte ich mein nächstes Projekt gefunden und direkt bestellt: eine „Rex am Riemen“, 38 Kubikzentimeter, 0,7 PS, defekt, 190 Euro. Dabei handelt es sich um ein NSU-Herrenfahrrad mit einem Rex-Hilfsmotor. Das Teil sah ziemlich mitgenommen aus und Ersatzteile gab es auch nicht, also musste ich die alle selbst anfertigen. Während der Arbeit vergaß ich dann meine Sorgen und mir ging es nach und nach immer besser. So wurde mein Hobby zum Retter in der bösen Gedankenwelt. Heute ist aus der alten Rex übrigens ein neuwertiges Moped geworden. Mit nur einem Liter kommt man ganze 100 Kilometer weit!

Quelle: Hans-Dieter Schmatz

Unser Sohn Frank hat das Fuckel-Gen von Edeltraud und mir geerbt. Ich kann mich noch erinnern, wie er einmal ganz allein einen schweren Ventildeckel abgeschraubt und auf dem Teppich in seinem Kinderzimmer gründlich gereinigt hat. Da war er gerade acht Jahre alt. Der Teppich war natürlich hin und meine Frau nicht gerade begeistert von der Bescherung. Ich glaube, dass wir Oldtimerfreunde dem schönsten, wenn auch rostigstem Hobby der Welt frönen. Die Stunden in der Garage ersetzen wohl den Psychotherapeuten. Wenn man nach schweißtreibender Arbeit einen kleinen Hilfsmotor oder einen 70 Jahre alten 170 PS-Brocken zum ersten Mal in der Scheune startet und nach einigen Fehlzündungen ein kräftiger Auspuffton erklingt und der Motor sogar Vollgas willig annimmt, um Sekunden danach in einen ruhigen Leerlauf zu verfallen, ist das ein Gefühl, das man einem Laien kaum beschreiben kann. Altersbedingt werden meine Objekte zwar kleiner, weil die PS in den Armen zurückgehen, die Freude am gelungenen Ergebnis jedoch bleibt.

Grüße aus dem Ölsumpf!
Ihr Hans-Dieter Schmatz