Freiheit und Glück: Attendorner Airbus-Pilot macht Segelfl ugschein

Foto: Severin Baltes

Tilman Brenne: „Der Luftsportclub ist für viele von uns wie zweite Familie!“

Helden der Lüfte, Legenden der Lüfte – wer weiß, ob irgendwann nicht auch Tilman Brenne (28) aus Attendorn zu ihnen gehören wird. Auf dem Flugplatz in Heggen, seit vielen Jahren Heimatflughafen des Luftsportclubs Attendorn-Finnentrop, treffen wir ihn an einem sonnigen Wochenende bei seiner größten Leidenschaft: der Fliegerei. Mit Schildkappe, Sonnenbrille, T-Shirt, Jeans und dem gepackten Fallschirm auf dem Rücken steigt er bestens gelaunt in das enge Cockpit des doppelsitzigen Schulungsseglers vom Typ „ASK 21 B“ – ein schnittiges Segelflugzeug mit 17 Metern Spannweite, gebaut in der Rhön. Hinter Tilman sitzt – ebenfalls mit Fallschirm auf dem Rücken – Carsten Behrendt, Tilmans Vereinskamerad und Fluglehrer.

Segelflugzeug statt Airbus Fluglehrer?

Habe ich richtig gehört? Oh ja! Tilman Brenne nimmt an diesem schönen Wochenende bei bester Thermik mit seinem Fluglehrer Carsten einen weiteren Anlauf für den Segelflugschein. „Das hat doch was“, sagt der lebenslustige Attendorner, der einen ganz anderen Flugschein längst in der Tasche hat. Als Berufspilot für die Schweizer Fluggesellschaft Swiss fliegt der 28-Jährige einen Airbus-A320. Routiniert, aber höchst konzentriert und kaum wiederzuerkennen sitzt er dann als erster Offizier auf dem Co-Piloten-Platz, wie er die Passagiermaschine etwa über die schneebedeckten Schweizer Alpen von Zürich nach Venedig steuert.

Foto: Severin Baltes
Foto: Severin Baltes

Kurz vor dem Start in Heggen bespricht Fluglehrer Carsten mit seinem Flugschüler das zu absolvierende Programm: „Das Wetter ist super. Lass uns zwei Loopings fliegen!“ Tilman nickt kurz. Dann wird das Cockpit geschlossen und das Schleppseil eingeklinkt.  

Von der Geige zum Flugzeug

„Eigentlich stand ich vor der Frage, ob ich Musik studieren sollte“, erzählt Tilman rückblickend, denn schließlich hatte er im Landesjugendorchester Nordrhein-Westfalen die erste Geige gespielt. Das Vorhaben lag auch deshalb nahe, weil seine Mutter in Attendorn das Jugendorchester des Rivius-Gymnasiums, „Die Große Viel- Harmonie“, leitet. „Ich habe immer gesagt: Ich möchte aus dem Sauerland weg!“ Aber meine Freunde haben mir stets im Ohr gelegen: „Wenn du mal ein paar Monate in Heggen auf dem Flugplatz warst, dann wirst du merken, dass das ohne nicht mehr geht!“– und das ist definitiv der Fall! Ich komme aus Zürich regelmäßig hier hoch. Es ist ein etwas verrückter Haufen Menschen, der einen Querschnitt durch die Gesellschaft darstellt. Aber es ist egal, wer man ist, wie viel man verdient, ob man studiert hat oder ohne Ausbildung macht, was einem gefällt. Uns verbindet alle dieses einzigartige Hobby. Der Verein ist für viele wie eine zweite Familie. Ich bin seit 2014 hier im Luftsportclub. Parallel zum Beginn meiner Flugkarriere habe ich angefangen zu fliegen. Und hoffe nun, meinen Segelflugschein nächstes Jahr fertigmachen zu können.“

Nach einer guten Dreiviertelstunde in der Luft, mit zwei Loopings hoch über dem Biggesee, landet Tilman das Segelflugzeug wieder souverän auf der grünen Landebahn in Heggen. Auf die Frage, wie es war, antwortet er: „War relativ unterhaltsam. Kunstflug ist nicht unbedingt das Ziel, was ich hier verfolge, aber es ist schon witzig, so ein Looping. Das ist so, wie wenn man das erste Mal vom Drei-Meter-Brett springt. Am Anfang traut man sich nicht. Hat man es aber einmal gemacht, dann kann man nicht mehr aufhören!“

Das erste Abheben mit Passagieren

Tilmans Premiere als Co-Pilot bei der Schweizer Luftfahrtgesellschaft fand im Frühjahr 2019 statt. Der Flug ging von Zürich nach Kopenhagen. Er war gerade 27 Jahre jung. Ein Erlebnis, das er nie vergessen möchte: „Das erste Abheben mit Passagieren war für mich wie ein kleiner Befreiungsschlag. Bereits 2012 hatte ich mich bei der Lufthansa beworben, bin so viele Umwege gegangen und habe andere Sachen gemacht und dann war es nach sieben Jahren endlich soweit. Der Moment, auf den ich seit meinem Abitur stetig hingearbeitet habe … Ein unbeschreibliches Gefühl. Lange hat das aber nicht angehalten, weil der Lotse uns schon kurze Zeit nach dem Abflug via Funk eine neue Route zukommen ließ und man schnell wieder zum Arbeiten gebracht wurde. Auch wenn es nicht so aussieht: Im Cockpit gibt es immer was zu tun.“

Foto: Severin Baltes
Foto: Severin Baltes

Sieben verflixte Jahre lagen hinter ihm, Jahre der lehrreichen Umwege. Weil sein Wunsch, Pilot bei der Lufthansa zu werden, wegen eines Tarifstreiks nicht klappte, hatte Tilman erstmal als Flugbegleiter bei der Lufthansa gearbeitet „und den Getränkewagen durch die Kabine geschoben“. Danach durfte er auf die Pilotenschule: allerdings nicht bei der Lufthansa, sondern bei der Schweizer Swiss, die er erfolgreich absolvierte. Als er dort ebenso erfolgreich das Auswahlverfahren abgeschlossen hatte, war nochmal ein Jahr Zwangspause angesagt, „weshalb ich dringend einen Job suchte“.

Technisches Verständnis

Den fand er in einer „Stanzerei“ im benachbarten Plettenberg. Schon seit seinem 16. Lebensjahr hatte er in dem kleinen Unternehmen, das der Familie seiner beiden Freunde gehört, an Motorrädern und Autos schrauben dürfen „und auf diese Weise viel handwerkliches Geschick und auch technisches Verständnis erlangt. So kam es, dass ich innerhalb von knapp zwei Monaten alles notwendige Wissen beigebracht bekommen und dann den Rest des Jahres als Maschineneinrichter in der Produktion gearbeitet habe“. Das sagt er nicht ohne Stolz und danach wurde Tilman von der Swiss als Co-Pilot angestellt. Geschafft!

Kapitän zu werden bleibt sein festes Ziel: „Von dem vierten Streifen auf der Schulter trennen mich noch einige tausend Flugstunden und viele Erfahrungen, die ich jetzt als Co-Pilot machen muss, bevor ich die Verantwortung für das Ganze übernehmen kann und darf“, so der junge Berufs- und Hobbyflieger, der wegen Corona erneut eine Zwangspause einlegen musste. Und deshalb zwischenzeitlich sein Können mal wieder in der Stanzerei unter Beweis stellte.

Corona – so seine Meinung – ordne die Luftfahrt neu. „Die Frage ist nur, wer am Ende dieser Krise noch übrigbleibt und vielleicht sogar gestärkt daraus hervorgeht.“

Was ihn am Segelfliegen reizt? „Dieses Gefühl von Freiheit und Glück. Ohne Motor durch die Kraft der Natur stundenlang durch die Luft zu gleiten, hat für mich etwas Erhabenes. Oder Elegantes? Außerdem fliegt man viel nach Gefühl und weniger nach Instrumenten, wie es zum Beispiel im Airliner der Fall ist. Das schult die Sinne, man bekommt ein besseres Gefühl für die Maschine, in der man sitzt, und es ist mir schon einige Male passiert, dass mich ein Kapitän nach der ersten gemeinsamen Landung gefragt hat, ob ich vorher schon Segelflieger war. Es hat also scheinbar auch noch einen sehr positiven Einfluss auf meinen Beruf!“

Dass dem tatsächlich so ist, bewies kein Geringerer als der zur Berühmtheit gelangte Captain Chesley Sullenberger, dem 2009 die spektakuläre Notwasserung eines Airbus-A320 auf dem Hudson River gelang. Sie ging als „das Flugzeug-Wunder von New York“ in die Geschichte ein. Alle Passagiere und die Crew überlebten. Seine langjährige Erfahrung als Segelflieger sei wohl mit entscheidend gewesen, den Airbus segelnd und heile aufs Wasser aufzusetzen – so „Sully“ Sullenberger.

Über die Alpen hinweg

Gefragt nach besonders schönen Erlebnissen als Airbus- Co-Pilot antwortet Tilman: „Ein besonderes Erlebnis ist es immer, am Wochenende bei guter Sicht und ohne Wolken nach Venedig zu fliegen. An solchen Tagen kann man bei den Fluglotsen die tiefstmögliche Flugfläche über die Alpen beantragen und dann sehr tief über die schneebedeckten Gipfel hinwegfliegen. Selbst für unsere Kapitäne ist dieser Anblick nach Jahrzehnten des Fliegens nach wie vor unbeschreiblich und unbezahlbar. Gleiches gilt für Wartezeiten, sogenannte Holdings. Wenn man am Funk nett fragt und es die Situation zulässt, darf man mit den Passagieren einen kleinen Alpenrundflug machen und wird dann wieder in Richtung Flughafen gelotst. Dadurch entsteht weder ökologischer noch ökonomischer Schaden und für unsere Passagiere ist es immer ein Highlight!“

Was macht die Geige? „Die spiele ich immer noch“, sagt er. Tilman ist in ein Orchester in Zürich eingetreten, das sich nur auf Filmmusik konzentriert. Natürlich hat er auch ein Lieblingsstück: die Streicherserenade von Tschaikowsky. „Das Stück sorgt bei mir immer für Gänsehaut, weil es zum Konzertprogramm einer Konzertreise durch China gehörte, an der ich als Geiger teilnehmen durfte“, erzählt er.

Letzte Frage: Was ist schöner, Attendorn von oben oder Attendorn vom Boden? – „Aus der Luft ist alles schöner!“