„Es war mir sofort klar: Helfen, egal wie!“

Stefanie Braun aus Westfeld-Ohlenbach gehört zu den ersten Helfern bei der verehrenden
Unwetter-Katastrophe im Ahrtal

Es sind Interviews wie diese, die einen innehalten lassen und fassungslos machen. Stellvertretend für unzählige Helferinnen und Helfer berichtet uns Stefanie Braun aus Westfeld-Ohlenbach über ihre Erlebnisse vor Ort. Es war die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, als es nicht aufhören wollte zu regnen. Unvorstellbare Wassermassen haben in dieser Nacht die Region Trier und das Ahrtal in der Eifel getroffen. Die Folgen: Viele Tote und Verletzte und Schäden in Milliardenhöhe.

„Eine einzige Nacht macht alles kaputt. Das kann sich keiner vorstellen, wie schlimm das aussah“, berichtet Stefanie Braun. Sie gehört zu vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, die von Anfang an vor Ort war. Doch wieso fuhr Stefanie am Tag nach der Unwetter-Katastrophe ins Flutgebiet? „Ich arbeite bei der Deutschen Welle (Auslandsrundfunk) in Bonn. Die ersten Tage war ich für die Live-Berichterstattung in den Flutgebieten unterwegs, während Freunde von mir einem betroffenen Kollegen in Ahrweiler geholfen haben.“

„Über die Sozialen Medien konnten wir entnehmen, dass aus scheinbar kleinen Bächen plötzlich reißende Ströme wurden“, erinnert sich Stefanie Braun. „Keiner, der es nicht gesehen hat, kann sich nur annähernd vorstellen, wie schlimm es dort aussah. Das ganze Ausmaß einer enorm zerstörerischen Kraft konnten wir erst gar nicht verstehen“, berichtet sie. Und weiter: „Niemand hätte so etwas für möglich gehalten.“ Es war ihr sofort klar: Helfen!

Kriegsähnliche Szenarien

Aber wo anfangen? Sie traute sich kaum, in Ecken und Bäume zu schauen, weil überall Gestank war und pure Zerstörung herrschte, und die Rettungsarbeiten noch anliefen. Die Häuser waren bis einschließlich der zweiten Etage einfach vollgelaufen. Und je weiter man in Richtung Ahr kam, desto kriegsähnlicher war das Szenario. Autos, LKW, Möbel, Gefrierschränke und eigentlich alles, was ein Haushalt hat, hing in Bäumen, Balkonen und – besonders krass: auf den Friedhöfen. Weggespülte Straßen, Mauern, Brücken, Grabsteine einfach alles zerstört. Verzweifelte Ohnmacht bei den Einheimischen, die plötzlich vor dem Nichts standen. Aber was noch viel schlimmer war, die Suche nach Angehörigen.

Quelle: privat
Fleißig im Ahrtal im Einsatz: Stefanie Braun aus Ohlenbach

In diesem Moment schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Mein Elternhaus in Ohlenbach liegt direkt an einem Bach. Was ist da passiert? Ein Anruf gibt Entwarnung. Nun hieß es volle Konzentration im Einsatzort.

Viele Menschen haben ihr Leben verloren, weil sie Ihr Hab und Gut retten oder ihr Auto aus der Tiefgarage fahren wollten. Augenscheinlich harmlose Orte wie Keller, Garage etc. wurden zu verhängnisvollen Todesfallen. Leben und Lebenswerke einfach ausgelöscht. Stefanie Braun, die versucht ihre Erlebnisse in Worte zu fassen, ringt immer wieder mit der Fassung. Sie beschreibt die Situation, die sie vor Ort erlebt hat, als unerträglich. „Die Zerstörung, die Leichen, die Not, das Elend, die Gerüche, die vollkommene Verwüstung, wo kein Stein auf dem anderen stand, ich glaube etwas Krasseres werde ich in meinem Leben nicht mehr erfahren. Ich weiß auch nicht, wie man es Leuten beschreiben soll, die nicht vor Ort waren.“

Außer Frage, dass sie hier nicht nur aus beruflichem Interesse berichtet. So schloss sie sich in ihrer Freizeit ihren bereits helfenden Freunden in Ahrweiler an. „Wir konnten ein Teil der Aufklärung werden und Hilferufe starten. Durch private Social-Media-Kanäle haben wir viele Menschen aus der Heimat erreicht, die ebenfalls schnellstmöglich am Start waren oder den Spendenaufrufen folgten.“ Angefangen mit Schlamm raustragen, weiter mit der Strom- und Wasserversorgung durch einen geliehenen LKW-Aufleger bis hin zu gebauten Behelfsduschen im Klettergerüst der Grundschule – plötzlich war man „Krisenmanager“ und improvisierte bei allem was möglich war.

Aus Fremden wurden Freunde

Duschen war so enorm wichtig, weil der Schlamm konterminiert war. Fäkalien, Heizöl, Benzin – die Seuchengefahr war durchaus gegeben. „Aber das war dir alles egal. Du wirst so demütig, wenn du siehst wie schnell sich das Leben ändern kann, wie schnell alles kaputt ist. Du hast angefasst, was anzufassen war. Du hast funktioniert und geholfen, wie jeder, der dort war“, erzählt Stefanie Braun. Fremde wurden zu Freunden. Die Helfer wuchsen schnell zur großen Gemeinschaft heran, die alle ein Ziel hatten: Nicht darüber nachdenken, anpacken und helfen.

Aus vier Mediengestaltern, die nur einem Freund im Keller helfen wollten, wurde ein monatelanger Hilfseinsatz. Inzwischen haben sie ein zwölfköpfiges privat organisiertes Versorgungscamp in Altenburg, wo Baustoffe und Werkzeuge gesammelt und ausgegeben werden. „Der Zusammenhalt in der Not hat echt gutgetan. Irgendwie fühlen wir mit den Menschen im Katastrophengebiet. Uns verbindet eine Geschichte, die wir aus unseren Köpfen nicht löschen werden. Die groben Aufräumarbeiten sind bis heute nicht abgeschlossen. Aber das, so Stefanie Braun, wird auch noch lange dauern. Die Wasser- und Stromversorgung wurde noch nicht überall wiederhergestellt. Es wird nichts mehr so sein, wie es war. Unzählige Häuser sind bereits und werden auch noch abgerissen, weil sie nicht mehr bewohnbar sind.

Stefanie Braun beschreibt trotz aller Traurigkeit und vielen nachhaltigen schockierenden „Bildern“ und Geschichten über diese Naturkatastrophe die Gänsehautmomente: „Wenn ich das in diesem Kontext so sagen darf: die Hilfsbereitschaft der Menschen aus ganz Deutschland und im Speziellen auch aus dem Sauerland war echt eine wahre Flutwelle. Damit meine ich die tatkräftige Unterstützung der Freiwilligen genauso, wie die Geld- und Sachspenden. Unfassbar. Die kalte Jahreszeit jetzt, die wird noch einmal heftig. Bis die Heizungen wieder laufen, die vier Wände egal in welcher Form wieder bezogen werden können, wird noch viel Zeit ins Land gehen.“