„Es sind ihre inneren Werte, auf die ich wirklich stolz bin.“

Foto: Sabrinity

„Doktor-Mutter“ Gertrud Siebers aus Madfeld

„Über mich möchtest du einen Artikel im WOLL Magazin schreiben?“ Kopfschüttelnd schaut Gertrud Siebers mich an. „Aber ich bin doch gar nichts Besonderes. Ich stehe nie im Mittelpunkt.“

Mit dem Mittelpunkt hat die 97-jährige Madfelderin natürlich recht, denn dort steht sie tatsächlich nie. Sie ist die gute Seele im Hintergrund, die mit viel Herz, Humor und Fleiß durchs Leben geht. Selbst im eigenen Garten ist sie noch aktiv und erzählt mir, was sie gerade alles an Obst eingekocht hat. Sofort bekomme ich einen tollen Tipp, wie die Birnen besonders lecker werden.

Auch sonst sieht es im mollig warmen und gemütlichen Haus nicht nach Langeweile aus. Schnell stellt sich heraus, dass die Nähmaschine die wichtigste Maschine des Hauses ist, denn wenn die mal kaputt ist… Herrliche Patchwork-Teile werden dort von Gertrud Siebers sorgfältig und akkurat genäht. Kissenbezüge, Decken, Wichtel und vieles mehr. Ihr Traumberuf war Handarbeitslehrerin, aber stattdessen hat sie ihre gelähmte Mutter 20 Jahre lang gepflegt.

Überall hängen Fotos ihrer großen Familie. Immerhin sind es fünf Kinder und acht Enkelkinder, die bis hin nach Kanada verstreut wohnen. „Ich habe eine tolle Familie. Auf die bin ich wirklich stolz“, strahlt sie. „Das sind alles ganz patente, liebe und nette Menschen geworden.“

Fast scheint sie ein bisschen erschrocken, dass sie „stolz“ gesagt hat, weil das ja so klingt, als ob sie sich da was drauf einbildet. Nein, das tut sie wirklich nicht. Aber sie hätte genauso gut sagen können, dass von ihren fünf Kindern vier einen Doktortitel haben oder sogar Professor sind, und dass selbst die ersten Enkel in Kürze Doktor sind. Aber das läge ihr total fern.

Die inneren Werte zählen

Für Gertrud Siebers war immer entscheidend, ihren Kindern ein gemütliches Nest zu geben und sie in Liebe und Freiheit aufwachsen zu lassen. „Man muss sie einfach gedeihen lassen und jeder wird anders. Hauptsache war immer, dass sie glücklich werden. Ich bin es ja sowieso schon. Wir haben oft zusammen gelacht und waren eine große, fröhliche Familie,“ erinnert sie sich an die Zeit, als alle noch im Hause waren.

„So einfach waren die Zeiten natürlich nicht. Mein verstorbener Mann war als selbstständiger Malermeister nicht gerade ein Großverdiener und ich war im Hause ganz schön ausgelastet.“ Gertrud Siebers blickt für uns zurück. „Mein Mann, der übrigens noch elf Geschwister hatte, war im Krieg Flieger und kam erst mit dreißig aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Er las immer Hefte über Sternenkunde und Technik und das faszinierte unsere Kinder früh und

weckte ihre Begeisterung für Technik und Wissenschaft. Wir haben sie gerne so gut es ging unterstützt und waren natürlich froh, dass es durch Bafög die Möglichkeit gab, ihnen ein Studium zu ermöglichen.“

Schnell will sie wieder auf ein anderes Thema kommen, denn sie möchte nicht ansatzweise prahlen von den Titeln ihrer Kinder. „Sie haben auch hart dafür gearbeitet“, weiß sie. „Es sind ihre inneren Werte, auf die ich wirklich stolz bin.“

Hier war immer was los!

Alle Kinder kommen gerne zu Familientreffen nach Madfeld. „Inzwischen sind wir aber so viele, dass wir uns nur ganz selten alle zusammen hier sehen können,“ so Tochter Tina. „Wir lachen dann immer viel und erzählen von den vielen kleinen Streichen damals“, fährt sie fort. „Da wurde kurzerhand mal das Wohnzimmer zum Turnraum umfunktioniert und Mama gab den Prellbock, an dem wir Bocksprung, Handstand und anderes üben konnten.“

„Oder der Wettbewerb, wer es schafft den Apfelpfannkuchen beim Wenden so hoch zu schleudern, dass er an der Decke kleben bleibt. Oder die „Schlüssel-Krankheit“ meines Bruders, der kurzerhand alle Schlüssel im Haus abzog und gut versteckte. Jahre später haben wir sie im Garten beim Umgraben gefunden“, schmunzelt sie.

„Was ich aber ganz besonders an meiner Mutter schätze“, so Tina weiter: „Sie ist so hilfsbereit und immer für alle da! Sie geht offen auf Menschen zu, ohne jegliche Vorurteile.“

Das Schlusswort überlassen wir aber Gertrud Siebers selbst: „Ein schlechter Tag ist ein Tag, an dem es nichts zu tun gibt. Aber das kommt nie vor“, stellt sie verschmitzt fest.