Es ist gut anders zu sein

Aus Worten wird Musik

Wir müssen uns unbedingt mal sehen. Wir müssen uns kennenlernen. Dieser Wunsch stand hinter der Rezension eines Buches mit dem durchaus verwirrenden Titel „Kann ich nicht = will ich nicht“. Das Buch hat Sigrid Alberti aus Arnsberg geschrieben. WOLL-Praktikant Kalle Blömeke hatte das Buch in der WOLL-Herbstausgabe rezensiert. Am zweiten Tag im November habe ich Sigrid Alberti in der Buchhandlung WortReich in Arnsberg getroffen. Wer Sigrid Alberti ist und was die Biografie so einzigartig macht, steht im Vorwort des schmalen Buches. Lassen wir die Autorin zu Wort kommen. (hh)

VORWORT
Eine Biografie zu schreiben, bedeutet vieles: Rückschau halten, schonungsloses Erinnern und Stellung beziehen. Konventionell würde das als Prosatext Form nehmen. Liebe Leserinnen und Leser, konventionell könnt ihr von mir nicht erwarten! So gerne ich heute schreibe, mindestens ebenso sehr missfällt mir das Vorhersehbare, das bereits Dagewesene und Modellhafte. Das Leben ist schließlich bunt, also sollten es unsere Ausdrucksformen auch sein!

Nein, Prosa, das ist nicht meine Welt. Ich fühle mich bei den Querdenkern der Dichtung daheim, diesen Träumern und genauen Beobachtern, die in wenigen Zeilen die Welt offenlegen und hinterfragen können. Doch all jene, die nun romantische Zeilen und ein vorgefertigtes Reimschema erwarten, muss ich enttäuschen. Meine Dichtung kennt keinen formellen Rahmen und stellt nicht den Anspruch, die Realität durch eine rosarote Brille zu betrachten. Dichtung geht auch anders, direkter, ehrlicher – vielleicht sogar gnadenlos. Mich beschäftigen so viele Themen, bei denen es notwendig ist, die Scheuklappen abzulegen und genau hinzusehen: Politische und gesellschaftliche Verwerfungen sind mir ebenso Herzensthemen wie die Integration von benachteiligten Menschengruppen. Dichten heißt auch, den Finger in die offenen Wunden unserer Gemeinschaft zu legen. Heilung ist nur dann möglich, wenn wir über Verwerfungen und Missstände ins Gespräch kommen.

Meine Biografie ist eine Krankheitsgeschichte. Manch einer würde es wohl gar als Leidensgeschichte titulieren. Während es zutreffend ist, dass ich viel Schmerz erfahren habe, sehe ich mein Leben unter einer anderen Überschrift stehend: Hoffnung. Zuversicht und Kampfgeist sind darüber hinaus jene Wörter, die meinen Weg wohl am ehesten abbilden. In der Politik und im Kampf für mehr Gerechtigkeit bin ich widerspenstig. Ebenso im Umgang mit meiner Krankheit. Nicht aufgeben wurde mir zum Mantra, zum Motto, zur Devise. Die Menschen in meinem Umfeld haben mir viel nicht zugetraut, gesagt: „Das kannst du ja gar nicht! “ – Ihnen möchte ich heute zurufen: „Kann ich nicht ist = will ich nicht!“ Damit meine ich, dass der Wille ein entscheidender Motor ist. Wenn er eingerostet ist, bleibt das Lebensschiff mitten im Ozean des Schicksals stehen. Es liegt an uns allen, diesen Motor frei von Schäden zu halten, indem wir ihn warten und pflegen. Statt auf konventionelles Motoröl, das Sinnen nach Geld oder Macht, habe ich stets auf das Prinzip Hoffnung gesetzt. Rückschläge im Leben passieren, sie können uns dazu zwingen, dass wir uns neu orientieren müssen. So war es auch bei mir. Mein Leben ist anders verlaufen, als ich es mir in Kindertagen am Schoß meiner geliebten Oma sitzend erträumt hätte. Ihre Güte und Liebe strahlten so stark, dass sie bis heute in meinem Herzen einen Quell gebildet haben, der mich speist und antreibt. Ihr widme ich dieses Buch.

Ein Buch, das anders ist – so wie ich. Widerspenstiger, als man es von Dichtung vielleicht gewohnt ist. Gleichzeitig schlummert in ihr jedoch vor allem eins: der Keim der Zuversicht. Ich lade euch ein, liebe Leserinnen und Leser, mit mir auf eine Reise zu gehen, die neben Schicksalsschlägen, schwierigen Beziehungen und Seeleneinblicken vor allem einem Thema untergeordnet ist: der menschlichen Courage. Lasst uns gemeinsam ausziehen und Mut beweisen! Mut zum Anderssein. Mut zum Querdenken. Und in Erinnerung an meine Oma: Mut zur bedingungslosen Liebe.

Quelle: WOLL Magazin

Nachtrag

Eine schwierige Kindheit, eine das Alltagsleben stark beeinträchtigende Diagnose, diverse Schicksalsschläge, verlorene Freundschaften und eine gescheiterte Ehe – es gibt genug Gründe, wieso Sigrid Alberti den Mut und die Hoffnung verlieren hätte können. Doch trotz aller Widrigkeiten hat es die von Morbus Addison Betroffene geschafft, sich ihre Lebensfreude und -kraft zu bewahren. Wie ihr das gelungen ist und ihre persönliche Lebensgeschichte erzählt sie in Gedichtform. Mit der Kraft der Liebe (auch und vor allem zu sich selbst) und der Fähigkeit, die Perspektive zu ändern, ist vieles möglich – im Kleinen wie im Großen.