Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn Menschen offen aufeinander zugehen

Seit 30 Jahren lebt Hongxia Zheng jetzt schon im Sauerland und setzt sich unermüdlich für die deutsch-chinesische Verständigung ein. Mehr noch: Sie erklärt deutschen Mitbürger/innen, die geschäftlich oder privat mit China zu tun haben, was es im „Land der Mitte“ zu beachten gilt. Auch umgekehrt, also wenn Chinesen private oder berufliche Kontakte in Deutschland suchen, bekommen sie gern Unterstützung von Frau Zheng.

Geboren wurde Hongxia Zheng in Zentralchina, in der Nähe der alten Kaiserstadt Xi’an mit der weltweit berühmten Terrakotta-Armee. Sie studierte Germanistik, gewann eine Kurzgeschichten-Ausschreibung und wurde deshalb 1989 nach Arnsberg eingeladen. Vier Wochen wollte sie ursprünglich bleiben. Es kam anders: Die Studentenunruhen in Beijing ließen eine Rückreise nicht zu. Hongxia Zheng blieb, sie absolvierte eine Ausbildung zur Hotelkauffrau, arbeitete im Im- und Exportbereich. Nach der Geburt Ihres ersten Kindes machte sie sich Anfang 2000 selbstständig als Beraterin und Dolmetscherin für Firmen, die in China investieren oder produzieren wollen. Sie arbeitet als Dozentin an mehreren Volkshochschulen und Gymnasien und als Lehrbeauftragte für Chinesisch an der FH-SWF Meschede. Jahr für Jahr führt sie Reisegruppen der VHS, der FH oder Gymnasien durch China.

Ihr Deutsch ist perfekt, ihre Aussprache akzentfrei, was sie beides gern herunterspielt mit der Bemerkung: „Naja, nach so langer Zeit in Deutschland, ist das doch nichts Besonderes.“ Darüber ließe sich vortrefflich streiten, aber wir wollen mehr von und über Hongxia Zheng erfahren:

Was bedeutet Ihr Name?

In China kann jedes beliebige Schriftzeichen als Vorname verwendet werden. Mein Vorname bedeutet hong = rot und xia = Wolkenfarbe in der Dämmerung. Die adäquate deutsche Übersetzung wäre Morgen- oder Abendrot. Den Nachnamen Zheng könnte man mit Müller, Meier, Schulze in Deutschland vergleichen, er zählt zu den verbreitetsten chinesischen Nachnamen. Nomen est omen stimmt bei mir: Ich bemühe mich von morgens bis abends gut gelaunt, zuversichtlich und fröhlich zu sein.

Wie lange haben Sie gebraucht, um so gut Deutsch zu sprechen?

Ich habe in China vier Jahre Germanistik studiert. Als ich 1989 nach Deutschland kam, musste ich mich am Anfang doch sehr an die Alltagssprache gewöhnen. Denn das, was ich an der Universität gelernt habe, war eher förmlich. Allerdings hat mir die gründliche Ausbildung in der deutschen Grammatik sehr gute Dienste erwiesen. Dazu muss man wissen, dass die chinesische Grundgrammatik im Vergleich zur deutschen recht einfach ist: Es gibt keine Konjugationen der Verben, bei Hauptwörtern fast keine Ein- oder Mehrzahl und keine Fälle. Die deutsche Grammatik ist für Chinesen, die Deutsch lernen wollen, eine große Herausforderung. Der Vorteil in meinem Fall war, zu meiner Anfangszeit im Sauerland, dass ich die einzige Chinesin weit und breit war, so dass ich immer Deutsch sprechen musste. Dadurch lernte ich sehr schnell.

Umgekehrt unterrichte ich sehr gerne Chinesisch für Deutsche. Wie gesagt, ist die chinesische Grammatik im Vergleich zur deutschen sehr überschaubar. Chinesische Schriftzeichen zu lernen, ist dagegen für die Deutschen eine erhebliche Hürde: Ein gebildeter Chinese beherrscht 3.000 bis 5.000 Schriftzeichen. Um sich im Alltag zurecht zu finden, braucht man ca. 1500 Schriftzeichen. Deutsche Schüler/innen lernen im Grundkurs ca. 200. Für die Stufe I der Chinesisch-Sprachprüfung braucht man ca. 300 Schriftzeichen. Eine exotische Sprache, wie Chinesisch, ist sicherlich nicht einfach zu lernen, weil dafür die Gelegenheit zum Üben fehlt. Deswegen ermutige ich meine Schüler und Studenten immer, eine Reise nach China zu machen oder dort ein Auslandssemester zu absolvieren. Auch wenn es unzählige Dialekte in China gibt, sprechen die meisten Chinesen Hochchinesisch: Mandarin.

Was war für Sie zunächst fremd und ungewohnt in Deutschland?

Es mag komisch klingen: Aber als Erstes ist mir der deutsche Terminkalender aufgefallen: Jeder, den ich traf, führte diesen Zeitplaner, der mir völlig unbekannt war. In China verabredet man sich auch heute noch privat meistens spontan. In Deutschland wird der Kalender gezückt und ein Termin vereinbart. Dieses Organisieren, Strukturieren und minutiöse Planen waren mir fremd, aber es hat mich auch beeindruckt, obwohl ich die chinesische Spontaneität teilweise vermisst habe. Fremd war mir auch, dass sich in Deutschland Männer und Frauen bei der Begrüßung umarmen. Aber damit habe ich von Anfang an kein Problem gehabt, weil es ja meinem Naturell entspricht.

Wie reagieren die Mitmenschen auf Sie?

Wenn mir jemand einzureden versucht, die Sauerländer seien stur, kann ich nur vehement widersprechen: Vor 30 Jahren war ich sicherlich für die meisten Sauerländer die erste leibhaftige Chinesin, die sie zu Gesicht bekamen. Ich kann mich ausschließlich an herzliche, fröhliche und wissbegierige Reaktionen erinnern. Da kam mir echtes Interesse entgegen. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn Menschen offen

aufeinander zugehen. Ähnlich reagieren auch die chinesischen Landsleute, wenn ich auf meinen jährlichen Fahrten mit deutschen Touristen ein chinesisches Dorf besuche. Alle wollen die „exotisch“ hellen, blonden Haare der Europäer so gern einmal anfassen und staunen über die Blässe ihrer Haut. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn Menschen offen aufeinander zugehen. Die Sauerländer gehören für mich eindeutig zu diesen offenen Menschen.

Sind Sie eher eine Deutsche mit chinesischen Wurzeln oder eine Chinesin, die in Deutschland lebt?

Beides stimmt. Ich schätze mich als sehr privilegiert ein. Ich habe das Glück, in zwei so reichhaltigen Kulturen aufgewachsen zu sein und leben zu dürfen. Das ist etwas Wunderbares!

Wo liegen heute Ihre beruflichen und privaten Schwerpunkte?

Beruflich liegt mein Schwerpunkt auf dem Chinesisch-Unterricht und Dolmetschen und Beraten für deutsche und chinesische Unternehmen. Sobald Corona endlich besiegt ist, freue ich mich wieder auf meine Reisen mit interessierten Menschen nach China.

Zum Abschluss möchte ich gern den berühmten Konfuzius zitieren: Wenn drei Menschen zusammen sind, ist bestimmt einer dabei, von dem ich etwas lernen kann. (三人行,必有我师)*

So ist es auch bei den Menschen weltweit: Wenn du offen bist, werden sich die Mitmenschen dir gegenüber auch öffnen. Es gibt so viele Gemeinsamkeiten, die wir alle weltweit und werthaltig nutzen können und sollten.

Hongxia Zheng, geb. 1966 ist verheiratet mit Dr. Gerhard Brüser, dem früheren VHS-Leiter in Arnsberg. Sie haben zwei erwachsene Kinder. Frau Zheng dolmetscht für Behörden und Firmen und berät deutsche und chinesische Unternehmen in Kontakt- und Kommunikationsfragen.

Die Bedeutung der chin .Schriftzeichen:
„三(san =drei) 人(ren =Menschen)行(xing =gehen),必(bi =müssen)有(you =es gibt, haben)我(wo =mein)师(shi =Lehrer, Meister)“.
Die Satzstellung ist auf altem Chinesisch.