Es gibt viel zu tun im Sauerland.

Interview mit Dr. Volker Verch, Unternehmensverband Westfalen Mitte

„Als regionaler Arbeitgeberverband unterstützen wir mit einem breiten Leistungsspektrum unsere Mitgliedsunternehmen zielgerichtet und kompetent. Wir vertreten unsere gemeinsamen sozialpolitischen Interessen gegenüber Politik, Behörden, Gewerkschaften und anderen Organisationen vor Ort sowie auf Landes- und Bundesebene.“ So lautet die Vorstellung des Unternehmensverbandes Westfalen Mitte auf seiner Homepage. Die Mitgliedschaft im Unternehmensverband ist freiwillig, steht jedem Unternehmen unabhängig von Branche und Betriebsgröße offen und ist auch für Betriebe der Metall- und Elektro-Industrie ohne Tarifbindung möglich. Welche Unternehmen aus dem Sauerland Mitglied beim Unternehmensverband sind, lässt sich nur erahnen. Eine Mitgliederliste gibt es nicht. Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Westfalen Mitte ist Dr. Volker Verch. Wir haben mit ihm im Büro in der Goethestraße in Neheim über das Thema „Karriere und Ausbildung im Sauerland – Arbeiten, wo andere Urlaub machen“ gesprochen.

WOLL: Für welche Regionen/Kreise in Westfalen ist der Unternehmensverband Westfalen Mitte zuständig, dessen Geschäftsführer Sie sind?

Dr. Verch: Der Unternehmensverband Westfalen Mitte hat als klassischer Arbeitgeberverband seine Zuständigkeit für den kompletten Hochsauerlandkreis sowie den Kreis Soest, einen Großteil des Kreises Unna, Hamm und noch kleine Teile des Münsterlandes. Der Unternehmensverband Westfalen Mitte ist einer der größten Verbände in Nordrhein- Westfalen. Ich sage immer mit einer gewissen Begeisterung: Wir spielen auf zwei Spielfeldern. Zum einen in Südwestfalen und zum anderen in Richtung westfälisches Ruhrgebiet. Dieser Brückenschlag von der ländlichen Region im Sauerland in das westfälische Ruhrgebiet hinein, von Hamm über Unna Richtung Dortmund, ist als Verband natürlich sehr interessant.

WOLL: Somit sprechen Sie auch für die Unternehmen im Sauerland. Welche Unternehmen sind das? Welche Unternehmen sind Mitglied?

Dr. Verch: Wir haben bei unseren Mitgliedsunternehmen eine sehr gemischte Struktur. Das gilt für das gesamte Gebiet, aber insbesondere für den Hochsauerlandkreis. Natürlich gehören viele Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie dazu. Das sind die Schwerpunktindustrien in unserer Region und auch die Schwerpunktindustrie des Verbandes. Dazu gehört das gesamte Spektrum der Metall- und Elektroindustrie, vom Leuchtenhersteller über den Anlagenbauer bis hin zum klassischen verarbeitenden Gewerbe. Wir haben aber nicht nur Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, wir haben auch Banken, Brauereien und Chemieunternehmen unter unseren Mitgliedern. Deswegen sagen wir ein bisschen salopp: Wir sind ein Sprachrohr der Wirtschaft. Denn es ist ja nicht nur so, dass wir über unsere Dienstleistungen die Interessen der Firmen vertreten und ihnen konkret helfen, sondern wir vertreten diese Interessen auch auf verschiedenen politischen Ebenen. Ob das in der Regionalpolitik ist oder in Gremien, in denen wir die Interessen der Arbeitgeber wahrnehmen. Auch für die regionale Presse sind wir regelmäßig Ansprechpartner zu wirtschaftlichen Themen.

WOLL: Ausbildung und Karriere im Sauerland. Wo steht die Region im Sommer 2023?

Dr. Verch: Wenn Sie heute mit Unternehmern sprechen und fragen, was sie bewegt, was bei ihnen schwierig ist, was die große Herausforderung ist, dann wird, anders noch als vor vielen Jahren, der Fachkräftemangel an erster Stelle genannt. Natürlich neben Personalkosten und der sehr schwierigen Energiesituation. Insofern ist das ein Thema, das mittlerweile sehr aktuell und das auch bei den Unternehmen sehr präsent ist. Dem müssen wir uns stellen: alle Beteiligten, Politik, Verbände, Gewerkschaften, aber auch natürlich die Wirtschaftsunternehmen selbst. Es ist so, dass man heute viel mehr um Fachkräfte werben muss. Was bewegt Menschen, sich hier bei den Firmen, vom Mittelstand bis zum großen Unternehmen, zu bewerben? Das Ringen um Fachkräfte wird immer schwieriger. Der Fachkräftemangel ist ein Thema in den Unternehmen und eine große Herausforderung.

WOLL: Welche Branchen sind besonders von den Problemen betroffen?

Dr. Verch: Eigentlich alle. Man muss sagen, der Fachkräftemangel zieht sich durch die gesamten Branchen. Wenn Sie mit Gastronomen sprechen, sind die teilweise schier verzweifelt, weil sie keine Leute mehr kriegen. Das ist auch in der Metallund Elektroindustrie ganz extrem. Das geht vom klassischen Facharbeiter bis hin zum gut ausgebildeten Ingenieur. Man muss Personal finden: vom normalen Facharbeiter bis hin zur Top-Führungskraft. Auch wenn Sie die Banken nehmen, wenn Sie die Ernährungsindustrie nehmen, die Chemieindustrie, das Handwerk, die Gastronomie, sie alle sind gleichermaßen betroffen.

WOLL: Was tut der Unternehmensverband Westfalen Mitte und was tun die Mitgliedsunternehmen, um die Probleme anzupacken und die Situation zu verbessern?

Dr. Verch: Unternehmen verstehen es immer besser, ihre Arbeitgeberattraktivität zu vermarkten. Und sie sind ja auch attraktiv. Wenn Sie eine Tour durch die Unternehmen machen, dann werden Sie rundum moderne, zukunftsorientierte Arbeitgeber finden. Man muss ja zwischen den Arbeitgebern als solches und der Region unterscheiden. Die Arbeitgeber in unserer Region haben durch die Bank attraktive Stellen mit einem relativ guten Entgeltniveau zu bieten. Zudem hat man in den Unternehmen flache Hierarchien. Man hat kurze Entscheidungswege, interessante Arbeitsplätze. Insofern ist das Sauerland nicht nur landschaftlich schön, sondern auch durch die Arbeitgeber sehr attraktiv. Dabei betreiben Arbeitgeber immer mehr Marketing. Vielleicht nicht so klassisch, wie meine Generation das kennt, sondern mehr über Soziale Medien, um sich bei Bewerbern darzustellen. Das hilft. Wir haben im Sauerland nach wie vor eine sehr hohe Ausbildungsquote. Ausbildung ist eines der wichtigsten Themen, mit denen man dem Fachkräftemangel begegnen kann. Ausbildung spielt bei unseren Unternehmen eine sehr wichtige Rolle. Da ist viel investiert worden, gerade in den letzten Jahren. Es ist sehr positiv, wenn man seinen Nachwuchs selbst heranziehen und ausbilden kann, und es ist ein Aushängeschild, dass gerade in unserer Region die Unternehmen einen hohen Ausbildungsanteil haben.

WOLL: Warum sollten sich Männer und Frauen aus anderen Regionen für eine Ausbildung oder eine Karriere im Sauerland entscheiden?

Dr. Verch: Da kann man viele Dinge nennen. Die Arbeitgeber sind insofern attraktiv, als dass sie interessante Arbeitsbedingungen bieten, die auch eine gute Work-Life-Balance ermöglichen und gute Entgelte beinhalten. Irgendwann geht es um den Lebensunterhalt, vielleicht darum, eine Familie zu ernähren. Man darf auch nicht vergessen, dass wir exzellente Perspektiven in den Unternehmen bieten. Es ist ja nicht so, dass nach der Ausbildung Schluss ist, sondern fast jeder hat die Möglichkeit einer Weiterqualifizierung, und das wird auch von den Unternehmen hier sehr stark gefördert. Die Unternehmen bilden die jungen Leute weiter, um sie zu entwickeln. Deswegen haben die Menschen in unseren Unternehmen sehr gute Perspektiven, über Weiterbildung und Qualifizierung Karriere im Unternehmen zu machen. Man darf aber nicht nur an die Ausbildung denken, sondern man muss auch an die Zeit danach denken. Denn wenn jemand mit 18 oder 20 Jahren in eine Ausbildung geht und bis 67 arbeiten wird, muss er sich den Veränderungen stellen, die zwangsläufig in der Arbeitswelt auf uns alle zukommen. Wenn man in bestimmte Unternehmen hineinschaut, ist man immer wieder erstaunt, was an klassischen und innovativen Qualifizierungsmöglichkeiten angeboten wird. Man muss die Chancen, Möglichkeiten und Perspektiven, die geboten werden, um sich weiter zu qualifizieren, nutzen. Unsere Region ist eine Mittelstandsregion. Da hat man andere Möglichkeiten als in einem großen Konzernunternehmen. Hier wird noch viel direkter miteinander gesprochen und es entsteht eine persönlichere Ebene als zum Beispiel bei einem Trainee-Programm in einem Konzern.

WOLL: Sollten die Unternehmen das noch mehr nach außen sichtbar machen?

Dr. Verch: Unternehmen brauchen ein gutes Employer Branding, müssen sich also selbst als attraktive Arbeitgeber präsentieren. Das kann über Führungspersonen oder über Soziale Medien geschehen. Da muss jeder seinen eigenen Weg fin-den. Es gibt einige, die das sehr personenbezogen machen. Viele machen das auch über umfassende Informationen. Jeder hat natürlich auch eine Internetpräsenz, in der es einen Bewerber-Bereich gibt, oder ein Karriereportal. Da listen die Unternehmen schon einiges auf und als Bewerber sieht man, was erwartet und was geboten wird.

WOLL: Die Portale sind sehr gut, und sie haben den Punkt Karriere sehr ausführlich auf junge Leute abgestimmt. Trotzdem gibt es gute Beispiele, wo Unternehmen das, was sie darstellen, auch direkt zu den Menschen bringen, und bei anderen steht es eben nur auf der Webseite.

Dr. Verch: Die Frage ist eben: Wie werde ich in der Region auch bei den Jugendlichen als interessanter Ausbildungsbetrieb bekannt? Die Unternehmen suchen auch andere Wege neben der Darstellung im Karriereportal, neben der Darstellung in der Öffentlichkeit, in den sozialen Netzwerken. Viele pflegen, und das unterstützen wir als Verband immer wieder, Patenschaften zu Schulen. Da geht es dann um Vermittlung von Praktika, Kontakt zu Arbeitsagenturen, zu den Ausbildungsberatungen. Unsere Unternehmen bieten sehr gute Praktika an und bemühen sich in der Zusammenarbeit mit den Schulen sehr. Auch wir leisten hier seit langem über das Netzwerk „Schule-Wirtschaft“ einen wichtigen Beitrag, um die Akteure zusammenzubringen. Daher sage ich immer, dass Ausbildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik auch irgendwo Schulpolitik sind. Denn wir als Verbände fordern immer wieder, dass gerade seitens der Politik die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass in den Schulen die Berufswahlorientierung gewährleistet ist. Denn wir müssen akzeptieren, auch wenn uns das nicht gefällt, dass in den Elternhäusern die Beratung oder Begleitung in der Form oft nicht da ist. Das müssen dann andere übernehmen, und da spielt natürlich die Arbeitsagentur eine entscheidende Rolle, aber vor allem die Schulen. Hier muss eine Berufswahlorientierung stattfinden und mit den Unternehmen zusammengearbeitet werden, wie es z.B. auch über das Landesprojekt „KAoA“ (Kein Abschluss ohne Anschluss) stattfindet. Hier lernen Schüler über Berufsfelderkundungen schon Unternehmen kennen. So sichert man auch den Nachwuchs von morgen. Wir bieten jungen Menschen eine Perspektive. Und das ist wichtig, dass ein junger Mensch, der 16, 17 oder 18 Jahre alt ist, eine Entscheidung trifft, was für eine Ausbildung und was für einen Weg er einschlagen möchte, egal, ob das ein Abiturient, jemand aus der Sekundarschule oder aus der Förderschule ist. Jeder hat einen individuellen Beratungsbedarf. Jeder muss mitgenommen werden. Und da ist es wichtig, dass die Schulpolitik dafür sorgt, dass wir für Kooperationen mit Arbeitsagentur und Unternehmen ausreichend Kapazitäten haben. Natürlich wird schon das ein oder andere angeboten, aber da geht noch mehr.

WOLL: Was sagen Sie jungen Menschen aus dem Sauerland, die sich nach Schule, Studium und Ausbildung mit einer Beschäftigung außerhalb des Sauerlandes auseinandersetzen?

Dr. Verch: Das Bedürfnis, auch einmal andere Gegenden oder andere Arbeitgeber kennenzulernen und aus dem Sauerland herauszukommen, ist nachvollziehbar. Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Qualität der Unternehmen und die Arbeitsbedingungen in der Heimatregion im Bewusstsein der jungen Menschen bleiben. Dann kommen Sie auch gerne mit den Erfahrungen, die sie in anderen Regionen gemacht haben, wieder ins Sauerland zurück. Spätestens bei der Familiengründung erkennen viele, wie wichtig die Lebensqualität in unserer ländlichen Region ist, und dass man außerdem auch hier einen Top- Arbeitsplatz bei Weltmarktführern finden kann.

WOLL: Gibt es nennenswerte Beispiele von Unternehmen im Sauerland, die das Ausbildungs- und/oder Fachkräfteproblem kreativ und zukunftsweisend gelöst haben?

Dr. Verch: In der Tat. Wir haben ja ein ganz breites Spektrum. Wir haben die Industrie mit den kleinen und großen Unternehmen, den klassischen Mittelstand. Wir haben den Einzelhandel, den Gastronomiebereich, und wir haben das klassische Handwerk – alle suchen dringend Nachwuchs. Da gibt es eine breite Palette an Angeboten, z.B. sind Praktika und Ferienarbeit sehr gute Möglichkeiten, wichtige, praktische Erfahrungen in der Berufswahlorientierung zu machen. Damit kann ein Betrieb nicht nur seine Urlaubszeit überbrücken, sondern auch zeigen, was für Ausbildungs- und Arbeitsplätze angeboten werden. Und es ist so, dass gerade in unserer Region Ferienarbeit eine große Tradition hat. Das haben viele Unternehmen in den Jahren aus guten Gründen auch ausgebaut.

WOLL: Gibt es koordinierte Aktionen und Maßnahmen der Sauerländer Unternehmen aus Industrie, Handwerk, Handel und Dienstleistung, um das Fachkräfteproblem anzugehen?

Dr. Verch: Es gibt unter anderem den von der Landesregierung initiierten Ausbildungskonsens. In diesem Ausbildungskonsens arbeiten die Kammern, die Verbände, die Gewerkschaften, die Arbeitsagenturen und die Kommunen zusammen. Das gemeinsame Ziel ist die qualifizierte Ausbildung aller ausbildungsfähigen und -willigen Jugendlichen. Vor allem möchte ich auf das regionale Netzwerk www.karriere-hier.de hinweisen, eine Initiative des Ausbildungskonsens Hellweg-Sauerland in Kooperation mit Radio Sauerland und Hellweg Radio. Darüber hinaus gibt es aber natürlich auch noch weitere Koordinierungen und koordinierte Aktionen. Hier zu nennen ist zum Beispiel das Zertifikat „Familienfreundliches Unternehmen im HSK“, das Unternehmen aus dem Sauerland bereits seit 10 Jahren nutzen, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber nachzuweisen. Denn die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist auch ein wichtiger Baustein in der Fachkräftesicherung.

WOLL: Noch etwas, was aus Ihrer Sicht zum Thema „Karriere und Ausbildung im Sauerland“ zu sagen wäre?

Dr. Verch: Ich kann immer nur wieder an junge Menschen appellieren, sich rechtzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen, zu schauen, was das Sauerland zu bieten hat, in der Industrie, im Handwerk oder auch im Handel und in der Gastronomie, und dann auch den Kontakt aufzunehmen. Wir bieten eine sehr gute Perspektive mit Zukunft in unserer Region. Dass es bei uns schön ist, das merkt man natürlich schnell, dass es hier aber auch sehr viele hervorragende Arbeitgeber gibt, die attraktive, gut bezahlte und interessante Stellen bieten, dass sieht man erst, wenn man sich damit beschäftigt. Daher gilt auch für die Arbeitgeber, dass sie das immer wieder an die Öffentlichkeit tragen müssen, um Menschen für sich zu gewinnen.

WOLL: Vielen Dank für das Gespräch!